Kommentar

Chaostage in Frankreich: Macrons Neuwahl-Entscheidung erschüttert das Land

Der französische Präsident Emmanuel Macron wendet sich an die französischen Wähler, nachdem er nach der vernichtenden Niederlage seiner Partei gegen die Rechtsextremen bei der Europawahl vorgezogene Neuwahlen ausgerufen hat.

Der französische Präsident Emmanuel Macron wendet sich an die französischen Wähler, nachdem er nach der vernichtenden Niederlage seiner Partei gegen die Rechtsextremen bei der Europawahl vorgezogene Neuwahlen ausgerufen hat.

Paris. Eine Frage wird in politischen Kreisen in Frankreich derzeit ganz ernsthaft und keineswegs unberechtigt gestellt: Ist Emmanuel Macron verrückt geworden? Ist er ein politischer Brandstifter, der leichtfertig seine eigenen Mitstreiter, Minister wie Abgeordnete, in einen aussichtslosen Wahlkampf schickt, sein Land dem Chaos und vielleicht einer rechtsextremen Regierung ausliefert? Ein selbstherrlicher Narzisst, der sich noch dem Sieg nahe glaubt, während er am Abgrund steht?

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Frankreichs Präsident, dessen programmatisches Bekenntnisbuch 2016 den Titel „Revolution“ trug, ist bekannt für provokante Coups. Doch sein letzter Versuch, einmal mehr die Menschen aufzurütteln, könnte nach hinten losgehen. Für ihn und für das ganze Land.

Frankreich erlebt eine schwere politische Krise

Seine Ankündigung am Abend der EU-Wahl, als Konsequenz aus dem schlechten Abschneiden seiner Partei und dem Triumph des rechtsextremen Rassemblement National (RN) die Nationalversammlung aufzulösen und in Rekordzeit neue Parlamentswahlen anzusetzen, hat eine schwere politische Krise eingeleitet. Alle Parteien sind betroffen. Die konservativen Republikaner stehen vor der Spaltung und versuchen mit allen Mitteln, ihren Chef loszuwerden, der eine Zusammenarbeit mit dem RN einging und damit die einst stolze Regierungspartei seinen persönlichen Karriereplänen opferte.

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Die Parteien des linken Lagers, die bei wichtigen Themen wie der Haltung zur EU, zur Atomenergie, zur Unterstützung der Ukraine oder zum Krieg in Nahost weit auseinanderliegen, gingen ein ebenso opportunistisches wie für ihr Überleben unverzichtbares Bündnis ein. Es zählt so überraschende Neuzugänge wie Ex-Präsident François Hollande, einen Intimfeind des weiterhin einflussreichen Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon. Die schnelle Einigung hat Macron kalt erwischt, der auf die ewige Zerstrittenheit der Linken setzte, um die Sozialdemokraten unter ihnen anzuziehen.

09.06.2024, Frankreich, Henin-Beaumont: Die französische Rechtsaußen-Führerin Marine Le Pen verlässt die Wahlkabine vor der Stimmabgabe bei den Europawahlen. Die Europawahl begann am 6. Juni und in Deutschland wird am 9. Juni gewählt. Foto: Aurelien Morissard/AP +++ dpa-Bildfunk +++

Die Konservativen und Le Pen – bröckelt die Brandmauer in Frankreich schon?

Es war ein absoluter Tabubruch: Der Chef der französischen Republikaner, Éric Ciotti, kündigte an, mit dem rechtsextremen Rassemblement National (RN) zusammenarbeiten zu wollen. Ein zynischer und opportunistischer Akt, dessen Motive leicht zu durchschauen sind, kommentiert Birgit Holzer.

Frankreichs politische Entwicklungen haben Seifenoperpotenzial: Jeden Tag kommt eine neue überraschende Wende. Dazu gehörte auch die in ihrer Klarheit bewundernswerte Botschaft des Kapitäns der französischen Nationalelf, Kylian Mbappé, vor allem an junge Leute, wählen zu gehen – und zwar nicht die Extremen. Der 25-jährige Spitzensportler zeigte damit eine Größe, die vielen politischen Verantwortlichen fehlt.

Macrons eigenen Worten zufolge wollte er einen Befreiungsschlag, eine Klärung der Lage – erreichen könnte er das Gegenteil. Weil er seit 2022 nur noch über eine relative Mehrheit in der Nationalversammlung verfügte, wurde er abhängig von der Opposition, mit der er keine Kompromisse fand. Die Blockade könnte sich nach dem zweiten Wahlgang am 7. Juli noch verschärfen – entweder mit noch uneindeutigeren Mehrheitsverhältnissen oder mit einer sogenannten „Kohabitation“, die der Mittepräsident mit einer rechtsextremen Regierung eingehen muss.

Ausgerechnet Macron warnte, Europa könne sterben

Es ist eine Vorstellung, die rund ein Drittel RN-Wähler entzückt, aber Millionen Franzosen entsetzt und damit das Land tief spaltet. Tausende gingen auf die Straßen, um gegen die Banalisierung einer Partei, die auf den Ausschluss von Minderheiten setzt, zu demonstrieren. Das RN-Programm besteht aus teuren Versprechen, deren Finanzierung unklar ist – die Finanzmärkte reagieren bereits, was die ohnehin angespannte Haushaltslage verschärft. Allen Argumenten zum Trotz wollen viele Wähler die Rechtsextremen „einfach mal ausprobieren“ und den etablierten Parteien eine Lektion erteilen; und zuallererst dem Präsidenten, der als arrogant und abgehoben gilt. Eine Lektion, die auch teuer für sie selbst werden könnte

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Fünf Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele geht Frankreich unsicheren Zeiten entgegen. Es gleicht in diesen Tagen einem fiebrigen Patienten, dessen geplagter Körper jeden Tag von neuerlichen Anfällen erschüttert wird. Vor der EU-Wahl warnte Macron in dramatischen Worten, Europa sei sterblich. Der tödliche Stoß könnte ausgerechnet aus seinem eigenen Land kommen. Ein rechtsextrem regiertes Frankreich droht auch die EU zu blockieren.

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