83 Prozent mehr als im Vorjahr

Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland drastisch gestiegen

Teilnehmer einer Demonstration verbrennen eine selbst gemalte Fahne mit einem Davidstern im Stadtteil Neukölln. Die Zahl der antisemitischen Straftaten ist im vergangenen Jahr stark gestiegen.

Teilnehmer einer Demonstration verbrennen eine selbst gemalte Fahne mit einem Davidstern im Stadtteil Neukölln. Die Zahl der antisemitischen Straftaten ist im vergangenen Jahr stark gestiegen.

Berlin. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) hat für das Jahr 2023 einen dramatischen Anstieg antisemitischer Vorfälle in Deutschland verzeichnet. Das geht aus dem Jahresbericht des Verbands hervor, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Die Meldestellen dokumentierten demnach im Jahr 2023 4782 antisemitische Vorfälle – fast 83 Prozent mehr als im Vorjahr.

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„58 Prozent aller im vergangenen Jahr bekannt gewordenen antisemitischen Vorfälle fanden nach dem 7. Oktober statt“, sagte Rias-Geschäftsführer Benjamin Steinitz dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Allein im Oktober waren es 1200 Vorfälle, in den neun Monaten davor durchschnittlich 215.“ Der Angriff der Hamas und anderer islamistischer Terroristen auf Israel bedeutete auch in Deutschland eine Zäsur. „Es kam sowohl zu Fällen extremer Gewalt, zu Angriffen als auch zu Bedrohungen“, sagte Steinitz und nannte ein Beispiel aus Sachsen: „Dort wurde eine Frau von einer Gruppe Männer antisemitisch und sexistisch beleidigt. Einer sagte zu ihr, dass sie aussehe wie eine Jüdin. Ein anderer drohte, dass sie sich zwei Wochen lang nicht bewegen könne, wenn er erst mal anfange.“

Verheerende Wirkung für jüdische Communitys

Die Massaker im Süden Israels am 7. Oktober hätten darauf abgezielt, so viele Jüdinnen und Juden zu töten wie möglich, sagte Steinitz. „Wenn diese Taten geleugnet oder verherrlicht werden – oder gar mit einer Wiederholung gedroht wird –, hat das für jüdische Communitys auch in Deutschland eine besonders verheerende Wirkung.“ Nach Eskalationen im Nahostkonflikt habe es in den vergangenen Jahren immer wieder auch Zunahmen antisemitischer Vorfälle in Deutschland gegeben. „Was jetzt anders ist, ist, dass das auslösende Ereignis selbst von so unglaublicher Brutalität geprägt war. Aus unserer Sicht steht der hohe Anteil an Gewaltvorfällen damit in Zusammenhang“, sagte Steinitz.

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Die zivilgesellschaftlichen Meldestellen im Rias-Bundesverband dokumentieren sowohl Gewalttaten, Bedrohungen oder Beleidigungen, aber beispielsweise auch Demonstrationen, auf denen es zu antisemitischen Äußerungen kommt.

Betroffenheitspädagogik an KZ-Gedenkstätten: Holocaust-Gedenktag 2023 *** NUR FUeR REDAKTIONELLE ZWECKE *** EDITORIAL USE ONLY ***<p>Viele Teilnehmer nehmen am Freitag, dem 27. Januar 2023 zum Gedenken des Holocaust-Gedenktag 2023 am ehemaligen KZ-Aussenlager Buchenwald in Witten-Annen teil; u.a. sind Schueler der Hardenstein- und Holzkamp- Gesamtschule dabei. Es sprechen, Dr. Martina Kliner-Fruck, Stadtarchiv, BM Lars Koenig DEU NRW Witten Copyright: WalterxFischer *** Holocaust Remembrance Day 2023 FOR EDITORIAL PURPOSES ONLY EDITORIAL USE ONLY p Many participants take part in the commemoration of Holocaust Remembrance Day 2023 at the former Buchenwald subcamp in Witten Annen on Friday, January 27, 2023 including students from Hardenstein and Holzkamp Comprehensive Schools Speaking Copyright: WalterxFischer doc7oo8txdwk7ba680sncn ,EDITORIAL USE ONLY

„Abschreckungspädagogik ist nicht mehr zeitgemäß“: Warum ein KZ-Besuch gegen Judenhass auf dem Schulhof nichts bringt

Immer wieder kommt es zu antisemitischen Vorfällen an Schulen. Um dieser besorgniserregenden Entwicklung etwas entgegenzusetzen, reiche es nicht aus, historisches Wissen über das Judentum zu pauken oder eine KZ-Gedenkstätte zu besuchen, kritisiert Judith Petzke. Im Interview erklärt die Bildungsforscherin, welchen Umgang mit dem Thema es stattdessen im Klassenzimmer braucht.

Ein dramatischer Anstieg antisemitischer Straftaten geht auch aus offiziellen Statistiken hervor. Der in der vergangenen Woche veröffentlichte Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 enthielt ein eigenes Sonderkapitel zu „Auswirkungen des Nahostkonflikts und Antisemitismus“. Demnach kam es im Oktober 2023 zu einem sprunghaften Anstieg antisemitischer Straftaten. Allein in diesem Monat zählen die Sicherheitsbehörden 1342 Straftaten – im Oktober 2022 waren es 208.

„Wir können längst nicht alle Vorfälle einem politischen Spektrum zuordnen“, sagte Benjamin Steinitz. „Doch von den Fällen, bei denen wir das können, kamen im vergangenen Jahr erstmals mehr aus dem Bereich des anti-israelischen Aktivismus als aus dem Bereich des Rechtsextremismus.“

Steinitz beklagt „Dröhnendes Schweigen“

Der nun vorgestellte Bericht umfasst nur das Jahr 2023 – die Zahl antisemitischer Taten bleibt aber hoch. „Der Krieg zwischen Israel und der Hamas hält weiter an und ist weiterhin ein Katalysator für antisemitische Vorfälle“, sagte Steinitz.

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Eine solidarische Anteilnahme am Leid von Palästinensern müsse legitim sein, erklärte er. „Uns geht es um Proteste, die in antisemitische Agitation umschlagen: Wenn das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird, wenn die Situation in Gaza mit dem Holocaust gleichgesetzt und dadurch die Shoah bagatellisiert wird und eine Täter-Opfer-Umkehr stattfindet.“

Zur besseren Bekämpfung von Antisemitismus müssten einerseits die Strafverfolgungsbehörden fortlaufend „auch für kodierte Formen des Antisemitismus sensibilisiert werden. In ihrer Arbeit muss den Perspektiven und dem Schutz von Betroffenen außerdem ein viel größerer Stellenwert beigemessen werden“, sagte Steinitz.

Es seien aber nicht nur staatliche Akteure, sondern auch die nicht-jüdische Zivilgesellschaft gefragt. „Seit Monaten geht ein dröhnendes Schweigen von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen aus“, kritisierte der Rias-Geschäftsführer. „Wenn es um rechtsextremen Antisemitismus geht, ist die Reaktion klar. Vor dem Hintergrund, dass es sich hier nicht um Rechtsextreme handelt, wird viel mehr um Positionierungen zu antisemitischen Demonstrationen und Vorfällen gerungen.“

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