„Die DB ist ein Abbild Deutschlands“

EM-Chaos: Ruiniert die Bahn gerade den deutschen Ruf?

Bei der Bekanntgabe der Partnerschaft zwischen Deutscher Bahn (DB) und der Uefa zur Europa­meisterschaft 2024 werden der EM-Pokal und ein entsprechend gestalteter ICE vorgestellt.

Bei der Bekanntgabe der Partnerschaft zwischen Deutscher Bahn (DB) und der Uefa zur Europa­meisterschaft 2024 werden der EM-Pokal und ein entsprechend gestalteter ICE vorgestellt.

Sicherlich, für deutsche Ohren klang es wie eine Warnung.

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„Noch nie war die Bahn international so sehr in eine Europa­meisterschaft eingebunden“, sagte der Bahn-Fernverkehrs­vorstand zwei Wochen vor Turnier­beginn.

Doch auch andere wussten Bescheid: „Wir hoffen, dass die Deutsche Bahn bei dieser EM ihre beste Leistung zeigt“, unkte der schweizerische National­mannschafts­direktor.

„Fußball sorgt nicht dafür, dass die Züge pünktlich fahren, er repariert keinen kaputten öffentlichen Sektor“, prognostizierte der britische „Guardian“.

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Doch es im Vorfeld zu ahnen und es dann wirklich zu erleben ist noch mal etwas anderes.

Als ein Journalist des britischen „Independent“ gleich bei seiner allerersten ICE-EM-Fahrt auf freier Strecke stehen blieb, riet ihm der Schaffner dazu, bei Reisen mit der Deutschen Bahn immer eine Stunde Puffer einzuplanen. Miguel Delaney twitterte es halb belustigt, halb schockiert. Ein italiensicherer Journalist bezeichnete den Fernverkehr im „Spiegel“ als „katastrophal“. Sein positiver Gesamteindruck werde von den verspäteten ICEs geschmälert.

Sonderzüge und mehr Sitzplätze helfen nicht

Das Urteil mit der größten Strahlkraft fällte bislang die „New York Times“: „Euro 2024 und deutsche Effizienz – vergessen Sie alles, was Sie zu wissen glaubten“, übertitelt die Zeitung ihre EM-Bestands­aufnahme und erzählt dann über die Bahn, was wir alle schon lange wissen.

Dass sie chronisch unpünktlich ist, dass Züge einfach nicht kommen, dass sie ihr Ziel ohne Vorwarnung ändern können. „Verbindungen werden verpasst und Menschen alleingelassen.“ Nun ja.

Dabei ist es nicht so, als habe die Bahn nicht alles probiert: 10.000 zusätzliche Sitzplätze im Fernverkehr, mehr Wagen, 14 täglich fahrende Sonderzüge, so kündigte sie vor der EM an. Bauarbeiten wurden vorgezogen, faire Sonderpreise von 29,90 Euro angeboten, die Spielorte in regionale Cluster eingeteilt, damit die Anreise für die Fans kurz bleibt.

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Stadionbesucher kommen an der S-Bahn-Station Olympiastadion an. In der ersten EM-Woche gab es viel Kritik – vor allem aus dem Ausland – an der Deutschen Bahn.

Stadionbesucher kommen an der S-Bahn-Station Olympiastadion an. In der ersten EM-Woche gab es viel Kritik – vor allem aus dem Ausland – an der Deutschen Bahn.

Doch auch die beste Vorbereitung kann nicht wettmachen, dass jahrzehntelang das Netz verrottete, Missmanagement den Konzern durchdrang. „Er müsste irgendwo in der Nähe von Solingen hängen, also von daher drücken wir die Daumen“, sagte EM-Botschafterin Célia Šašić, als sie im TV-Studio auf den mit ihr angekündigten Turnier­direktor Philipp Lahm wartete. Er schaffte es zur zweiten Halbzeit, sein Zug kam zu spät.

Versaut die Bahn jetzt nicht nur den Deutschen die Laune, sondern auch all ihren Gästen? Über die Historie der Bahn schreibt die „New York Times“: „Es ist sicherlich nicht schwer zu erkennen, wie sich ein Kreislauf des Scheiterns entwickelt hat oder warum es während des laufenden Turniers so dysfunktional läuft.“

Die Analyse ist richtig. Doch nun ein ganzes Turnier an der Minusleistung der Deutschen Bahn aufzuhängen wäre nicht fair.

Die Uefa macht es sich leicht

Zum einen liegt ein ebenso großer Teil des Problems bei den Nahverkehrs­betrieben. Beispiel Gelsenkirchen, das prominenteste bislang. Selbst zwei Stunden nach Abpfiff stauten sich Tausende englische und serbische Fans auf den Straßenbahnsteigen am Stadion. Sie beschwerten sich über zu wenige und vollgequetschte Züge, Ausfälle, mangelnde Kommunikation. Die englische Fanorganisation schrieb in einem Statement, man sei „bestürzt“ über die Zustände.

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Auch vor dem Eröffnungsspiel in München blieben U-Bahnen auf dem Weg zur Arena stehen, teilweise in Tunneln, es bildete sich ein Rückstau, der die Anreise immer weiter verzögerte. Auch woanders klagen Fans über kaputte Züge und stickige Abteile. Offensichtlich sind einige Städte damit überfordert, wenn die Besucher – im Gegensatz zu Bundesliga-Spielen – fast ausschließlich mit dem ÖPNV anreisen. Die Verantwortung dafür trägt aber der jeweilige kommunale Betreiber, nicht die Bahn.

Die klaustrophobischen Szenen gingen in den sozialen Medien viral, auch die „New York Times“ greift die Beispiele rund um die Gelsenkirchener Arena auf, um ihre These vom chaotischen Turnier zu untermauern.

Fernab der Bahnen verlief auch der Einlass am Stadion unglücklich. In München bildeten sich lange Schlangen, weil das Leitsystem für die Fans rund ums Stadion offenbar versagte. Journalisten beschwerten sich darüber, dass Zugangstore, die sie sich mit den vielen Freiwilligen und Mitarbeitern teilten, teilweise zu schmal waren und es sogar zu „körperlichen Auseinandersetzungen“ zwischen Ordnern und Medien­vertretern gekommen sei.

Diese Probleme hängen wiederum an der Uefa, die während der EM das Hausrecht in den Stadien besitzt. Zuletzt lief es nicht gut: Auch bei den von ihr ausgerichteten Champions-League-Finals kam es etwa wie 2022 in Paris zu tumultartigen Einlassszenen. Nun schmuggelte sich beim EM-Eröffnungsspiel ein Youtuber als falsches Maskottchen ein.

„Die Deutsche Bahn liefert, wie sie auch sonst liefert.“

Andreas Schär,

Geschäfts­führer der Euro 2024 GmbH, im ZDF

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Auch diese Eindrücke tragen dazu bei, dass den Deutschen das Organisations­talent abgesprochen wird. Das ZDF sammelte entrüstete Journalisten­stimmen. Diese EM sei nicht annähernd so gut organisiert, wie man es sich vorgestellt hatte, sagte „Independent“-Journalist Delaney. Er hatte zuvor bereits vom am schlechtesten organsierten Turnier geschrieben, das er erlebt habe. Er sei schockiert über die Organisation, sagte ein schwedischer TV-Journalist: „Es ist unglaublich. Vom Transport bis zu Sicherheits­fragen.“

Immer wieder kommen sie auf die Anreise zurück – und damit auf die Deutsche Bahn, die nun mal oft am Anfang einer gelungenen Stadionreise steht. Die Uefa hat ihrerseits schon begriffen, wie die Schuld­mechanismen laufen. Gegenüber dem ZDF sagt der Geschäfts­führer der Uefa Euro 2024 GmbH: „Die Deutsche Bahn liefert, wie sie auch sonst liefert.“

Ist die Deutsche Bahn ein Abbild des Landes?

Doch muss man deshalb gleich den Deutschen ihre Tugenden von „Effizienz, Verlässlichkeit, Funktionalität“ absprechen, wie es die „New York Times“ macht?

2006 freute sich die Welt mit den Deutschen über das Sommer­märchen, die Stimmung hellte das wenig emotionale Image als Export­weltmeister auf. Und jetzt, 2024, mit dieser EM-Organisation, wähnt die Welt uns auf dem Weg in den Abgrund?

„Die DB ist ja ein Abbild Deutschlands, in ihrem Charakter, in ihrem Gesundheits­zustand“, sagte sogar Richard Lutz in einem Krisen­interview mit der „Zeit“ vor einigen Wochen. Der Bahnchef höchstselbst.

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Doch diese ständige Symbolisierung von Bahn und Land tut weder dem Konzern noch der Gesellschaft gut. Für Medien wie der „New York Times“ mag die Überhöhung ein hilfreiches Erklärmuster sein, doch es überstülpt auch viele andere Eindrücke der bisherigen Turnierhälfte.

Deutsche, die anderen Fans Bier vom Balkon zuwerfen und verlorene Handys bei der Polizei abgeben, singende Taxifahrer und allenthalben Euphorie über die vielen Fußball­verrückten im Land. Als Gastgeber macht Deutschland gerade einen ganz guten Job – und verkehrt für vier Wochen all die anderen Klischees, die sonst so über sie kursieren, ins Gegenteil: Humorlosigkeit, Steifheit, Distanziertheit.

Zwar lobt die „Times“ gegen Ende des Artikels auch die positiven Seiten des EM-Sommers, doch in der Überschrift steht etwas anderes. Ja, die hiesige Infrastruktur ist miserabel. Doch es wäre schade, wenn nun vor allem das Transport­versagen als neue Kerneigenschaft des Landes hängen bliebe. Dass die angebliche deutsche Effizienz oft nichts anderes als blind ausgelebte Regelwut ist, hatte schon eine BBC-Journalistin vor Jahren treffend beschrieben.

Zum Glück gibt es noch die National­mannschaft selbst, die mit ihrer Spielfreude ein ganz anderes Bild von Deutschland prägen kann – und ihr Standort­wissen bislang klug einsetzt. Anders als etwa die Schweiz oder die belgische Nationalelf (Verspätung vorm Rumänien-Spiel gestern: nur zehn Minuten – Glückwunsch!) verlässt sich die DFB-Elf nicht auf die Deutsche Bahn. Sie reist lieber gleich mit dem Bus an. Heimvorteil genutzt.

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