Verletzlicher Weltstar

„Musik – ich vermisse sie sehr“ – Berührende Doku „I Am: Celine Dion“

Auftritt bei den Grammys: Céline Dion präsentierte bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit langem den Preis für das Album des Jahres (an Taylor Swift) während der 66. jährlichen Grammy Awards. In der Doku "I Am: Céline Dion" erzählt sie von ihrem Leben mit dem Stiff-Man-Syndrom.

Auftritt bei den Grammys: Céline Dion präsentierte bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit langem den Preis für das Album des Jahres (an Taylor Swift) während der 66. jährlichen Grammy Awards. In der Doku "I Am: Céline Dion" erzählt sie von ihrem Leben mit dem Stiff-Man-Syndrom.

Nach einer Weile spürt der Therapeut, dass die Patientin seine Hand wieder drücken kann. Tränen strömen aus den Augen der Frau. „Wenn sie in die Krämpfe zurückfällt, machen wir einen Notruf“, informiert der Therapeut einen Mann, der in der Tür steht. Dann jedoch entkrampft sie, wimmert, weint.

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Der Kamera wird erlaubt, alles zu zeigen

Die Kameras sind dabei, sie dürfen alles zeigen, die strohigen Haare, das erschöpfte Gesicht. Die Patientin ist Céline Dion, Sängerin, Superstar. Sie leidet am Sfiff-Man-Syndrom (SMS), einer Autoimmunerkrankung. Die Muskeln rebellieren gegen den Körper. Ein bis zwei Personen unter einer Million Menschen sind betroffen, Frauen doppelt so häufig wie Männer. Dion hatte die Diagnose Ende 2022 bekanntgegeben, der geplante Europaflügel ihrer „Courage World Tour“ wurde abgesagt. Zuvor schon hatte sie ihre Konzertresidenz Las Vegas aufgegeben.

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Die Doku „I Am: Céline Dion“, die jetzt beim Streamingdienst Amazon Prime Video zu sehen ist, erzählt eine Geschichte vom Bruch im großen Traum, wie sie zuletzt ähnlich bei Apple TV+ in „Still – A Michael J. Fox Movie“ zu sehen war. Der Schauspieler Fox („Zurück in die Zukunft“) war eines morgens mit einem Zucken im Finger aufgewacht, dem Vorboten seiner Parkinson-Erkrankung. Bei Dion war es eine Erhöhung der Stimme, die am Morgen nach einem Auftritt erfahrungsgemäß tiefer hätte sein müssen. „It freaked me out“, erinnert sie sich an ihr Befremden damals. Es war der Anfang. 17 Jahre sei das nun her.

Die Regisseurin Irene Taylor Brodsky setzt das Leben mit der Krankheit gegen Bilder aus der glücklichen Vergangenheit. Der Kinderstar Dion erzählt da in weißer Bluse und schwarzem Lederröckchen von seinen Hoffnungen, „ein internationaler Star zu werden, mein ganzes Leben lang singen zu können“.

Wenn du schnell gehen willst, geh allein, wenn du weit kommen willst, geh zusammen.

Céline Dion über ihre Bnd und ihr Team

Das jüngste von 14 Kindern des Waldarbeiters und Pensionswirts Adhémar Dion aus der kanadischen Provinz Québec wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Oft war so gut wie nichts im Kühlschrank und die Mutter zaubert trotzdem ein Essen für alle auf den Tisch. Die Mutter schreibt auch mit an Dions erstem Song. Mit 12 nimmt sie ihr erstes Album auf, mit 20 hat sie in Frankreich und Québec schon 14 Alben auf dem Markt. Sie gewinnt 1988 in Dublin den ESC, damals noch Grand Prix Eurovision de la Chanson - für die Schweiz.

Vollblutsängerin Dion scattet mit dem Bass, singt mit der Bitarre

Wenige kennen sie bis dahin außerhalb des französischsprachigen Raums, bis sie sich 1990 entschließt, auch in Englisch zu singen. Der Titelsong zu Disney-Film „Die Schöne und das Biest“ (1992), der „Titanic“-Song „My Heart Will Go On“ (1997). Zahllose Hits, Nummer Eins folgt auf Nummer eins – aus Dion wird eine weltweite Künstlerin.

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Was man für eine Gruppe bezahlter Musiksoldaten hielt, war die gewachsene und loyale Band einer Vollblutmusikerin. „Wenn du schnell gehen willst, geh allein, wenn du weit kommen willst, geh zusammen“, sagt Dion.

Dion Zwillingssöhne halten die Krankheit auf Distanz

Ihre Zwillinge Eddy und Nelson (13), zwei ihrer Kinder mit ihrem 2016 an Krebs verstorbenen Mannes und Managers René Angélil, sind auch im Film. Ihr Lachen scheint die Krankheit für Augenblicke aus Dion zu nehmen. Hinter der verhärmt wirkenden Frau, die älter wirkt als ihre 56 Jahre, sieht man die Dion aufschimmern, die man von den Fotos, aus den Videos kennt.

Auch blüht sie auf, wenn sie durch die Lagerhalle streift, in der der Glamour von gestern ruht. Hier sind ihre Bühnengarderoben und ihre Galakostüme eingemottet – Spezialanfertigungen, so extravagant, „das es auffällt, würde man sie zweimal tragen“. Dion zeigt Dior, und erzählt von ihrem eigenwilligen Verhältnis zu Schuhen. „Wenn ein Mädchen ihre Schuhe liebt, dann macht sie sie passend“ sagt sie. „Von Schuhgröße 6 bis 10 – gib sie mir!“. Mit eingezogenen Zehen sei sie gelaufen. Sie lacht.

Ich will nicht mehr dass sie Schlange stehen, wenn ich keine Äpfel mehr zu geben habe.

Céline Dion über ihr Pflichtgefühl gegenüber ihrem Publikum

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Wenige Patienten heißt wenig Forschung. Therapeutische Maßnahmen können den Verlauf von SMS lindern, auch für deutliche Verbesserung der Lebensumstände sorgen. Dion war schon an einem Punkt, da konnte sie nicht mehr gehen, die Stimme war weg. Ob die Verbesserung dauerhaft ist, ob sie ausreicht, um noch einmal ins Rampenlicht einer Show zu treten? „Musik – ich vermisse sie sehr“, sagt Dion – flüsternd, den Tränen nahe, eine tapfere Gefangene ihres Körpers. „Aber auch die Menschen – ich vermisse sie.“

Höhepunkt des Films ist ein Studioaufenthalt. Die Stimme ist brüchig, hebt Dion sie an, klingt es kindlich, aber nicht kraftvoll. Ein Kampf. Die freundliche Lüge vom Mischpult („You‘re great“) wird durchschaut. Dion weiß, was sie geliefert hat. „Es gefällt mir nicht“, sagt sie, Enttäuschung im Gesicht. Zweiter Versuch. Das Ergebnis klingt deutlich besser – für eine Country- und Americanasängerin. „Beautiful“, sagt einer im Studio. Einsam geht Dion durch die Tür.

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Ähnlich wie Jon Bongiovi in der jüngst gestarteten Doku „Thank You, Goodnight: The Bon Jovi Story“ bei Disney+, der sagte, nur dann noch einmal mit der Band auf Tour gehen zu wollen, wenn er stimmlich wieder102 Prozent geben könne, will auch Céline Dion dem Publikum keine Show auf halber Kraft geben. Nur drückt sie es eben anders aus. Ein Apfelbaum sei sie gewesen, die Leute hätten Schlange gestanden, und jeder hätte einen Korb Äpfel von ihren schwer beladenen Ästen bekommen. „Ich will nicht mehr dass sie Schlange stehen“, sagt sie, „wenn ich keine Äpfel mehr zu geben habe.“

Und doch wirkt sie stark. Bei den Grammys 2024 trat sie auf, überreichte die Auszeichnung für das beste Album an Taylor Swift. „Wenn ich sage, dass ich glücklich bin, hier zu sein, dann meine ich das wirklich aus tiefstem Herzen“, sagte die kanadische Sängerin ihrem Publikum damals. Es war der anrührendste Moment einer an emotionalen Auftritten von Popmusiklegenden (Joni Mitchell, Tracy Chapman, Billy Joel) reichen Show. Gut sah Dion aus.

Dass vieles möglich ist, zeigte jetzt erst Michael J. Fox in Glastonbury, wo er beim Auftritt von Coldplay im Rollstuhl Gitarre spielte. Der Song hieß „Fix You“, ein Lied über Hoffnung und Heilung in scheinbar aussichtsloser Lage.

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„I Am: Céline Dion“, Doku, 103 Minuten Regie: Irene Taylor Brodsky (bei Amazon Prime Video)

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