Der Einfluss der regionalen Küche

Warum traditionelle Gerichte gerade wiederentdeckt werden

Auch wenn wir internationaler essen denn je: Traditionsgerichte sind beliebt.

Auch wenn wir internationaler essen denn je: Traditionsgerichte sind beliebt.

Hannover. Herr Kofahl, was war Ihr Lieblingsessen als Kind?

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Als Kind aß ich sehr gerne Kartoffelpuffer mit Apfelmus. Die mag ich auch heute noch sehr gerne, obwohl ich inzwischen wohl Lasagne bolognese als mein Lieblingsessen bezeichnen würde.

Hat die regional geprägte Küche eine Rolle in Ihrer Familie gespielt?

Ja, ganz klar. Meine Familie väterlicherseits kommt aus Norddeutschland, daher auch das Kartoffelpuffergericht. Meine Mutter hingegen kommt aus Italien und brachte tolle Pasta- und Polentagerichte mit in die Familienküche.

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Zur Person

Daniel Kofahl, Sohn eines deutschen Vaters und einer italienischen Mutter, ist Di­plom-Soziologe. Er hat Konsum-, Kommunikations-, Medien- und Kultursoziologie studiert und war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Ökologische Lebensmittelqualität und Ernährungskultur der Universität Kassel. Seit mehreren Jahren ist er als Dozent an verschiedenen Hochschulen und Universitäten tätig. Kofahl leitet das Büro für Agrarpolitik und Ernährungskultur (APEK), das rund um Themen wie Ernährungswissenschaft und Food Business arbeitet. Er ist unter anderem Co-Autor der Bücher „Kulinarische Ethnologie“ und „Kulinarisches Kino. Essen und Trinken im Film“.

Weißwurst und Obazda in Bayern, Himmel un Ääd, also Kartoffelpüree, Zwiebeln und Apfelmus , am Niederrhein – wie sind typische regionale Gerichte entstanden?

Man kann von einer kulinarischen Koevolution, also einer Art Anpassung, von lokal verfügbaren Ressourcen, regionalen Wertkonzepten der Küche und dem Geschmack der Menschen sprechen. Das heißt, bestimmte Zutaten sind in einer Gegend besonders gut anzubauen oder zu beziehen, sie passen zu den Lebenseinstellungen der Menschen, also zum Beispiel zu ihrer Religion oder in den Arbeitsalltag. Und dann werden Speisen und Gerichte entwickelt, die denjenigen immer besser schmecken und an die sie sich gewöhnen. Ein bisschen Zufall gehört aber auch immer dazu, wie bei der bayerischen Weißwurst, die im 19. Jahrhundert von einem Metzger „erfunden“ wird, weil er nicht genug Schafsdärme für seine Kalbwürste hatte und sie kurzerhand in Schweinedärme füllte, die dann gebrüht anstatt gebraten werden mussten.

Ernährungsexperte: Daniel Kofahl.

Ernährungsexperte: Daniel Kofahl.

Löst sich dieser regionale Bezug heute, in Zeiten von Mobilität und einem Digital Lifestyle, auf?

Zum einen ja, weil man flexibler in Bezug auf die angebotene Vielfalt der kulinarischen Angebote wird und auch leichter das ausprobieren kann, was jemand quasi am anderen Ende der Welt in den sozialen Netzwerken publik macht. Zum anderen gibt es aber auch eine Rückbesinnung, eine Wiederentdeckung des Traditionellen. Da es eine Zeit lang aus dem Blick geriet, wirkt vieles „Alte“ auf einmal wieder „neu“ und macht sich als kulinarische Reinnovation interessant.

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Esskultur der Esskulturen

Gibt es so etwas wie eine typisch deutsche Küche überhaupt?

Die deutsche Küche ist eine Esskultur der Esskulturen und der kulinarischen Regionen. Das heißt, sie ist vielfältig zwischen Schleswig-Holstein und Bayern, zwischen Sachsen und dem Saarland. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, wie eine große traditionelle Lust an Fleischgerichten und Wurstsorten, an deftigen Soßen oder sättigenden Kohlenhydraten wie der Kartoffel. Und es gibt die genannten Lokalspeisen, mit denen man regionale Besonderheiten betont, aber doch zumeist mit einem bodenständigen Charakter und nicht allzu viel Schnörkel.

Essen wir insgesamt viel internationaler und exotischer?

Selbstverständlich essen wir im Jahr 2024 internationaler als 1950 oder gar 1924. Sowohl der Massentourismus als auch Massenmedien und die globale Industrialisierung haben hier viel dazu beigetragen, dass Produkte und Speisen aus aller Welt interessant und auch verfügbar geworden sind. Durch die gastronomischen Angebote von internationalen Einwanderern nach Deutschland finden sich zudem die gastronomischen Angebote aus aller Herren Länder. Allerdings gilt in unserer modernen Welt immer auch ein „Sowohl als auch“-Prinzip. Das heißt beim Essen: Bei allem Internationalismus wird dann das Regionale, Nationale und Traditionelle wieder interessant, wird wiederentdeckt. Fraglos wird es dabei dann an die neuen Zeiten angepasst, zum Beispiel, was die Zutaten oder den Geschmack betrifft.

Manchmal wird das Essen zur Anstrengung

Hat sich dadurch denn auch unser Geschmack verfeinert? Viele ernähren sich ja nach wie vor von Tiefkühlpizza, Fleisch aus Massentierhaltung und Instantsuppen. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Menschen, die sich stark auf ihre Ernährung fokussieren: Sie wollen schlank sein, sich gesund ernähren, neue Kochtrends mitmachen, vermeintlich schlechte Lebensmittel aus ihrer Küche verbannen. Sprich: Warum ist das Essen so wichtig geworden?

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Es ist richtig, dass sich immer mehr Menschen durch alle Schichten und Milieus hindurch inzwischen auch in Deutschland gerne und ausgiebiger über Essen und Ernährung unterhalten. Das führt auch zu einer Sensibilisierung für Geschmacksfragen. Leider wird es aber für manchen auch zu einer Obsession, sich unter dem Blickwinkel eines zu isoliert gedachten Gesundheitsverständnisses oder einer allzu strengen Moral zum Essen positionieren zu wollen. Dann wird das alltägliche Essen oft zur Anstrengung, zur Belastung und Geschmack und Genuss leiden darunter. Hier wäre etwas ernährungskulturelle Entspannung ganz angenehm.

Ist denn der Genuss am Essen überhaupt gestiegen?

Für manche ist es das, weil sie sich mehr Zeit für das Essen nehmen, sich mehr damit auseinandersetzen und Essen und Trinken nun auch in Deutschland mehr und mehr als relevante Kulturpraktik anerkannt wird. Für andere wird es dagegen zur alltäglichen Herausforderung, weil es für sie schwierig ist, sich im Dschungel der Angebote von Speisen und Anspruchshaltungen an das Essen zurechtzufinden.

Wie lässt es sich lernen, eine gute Mahlzeit auch wirklich zu genießen?

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Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, hier ist sogar noch richtig Forschungsbedarf nötig. Als Faustregel kann man aber erst einmal anführen, dass man sich selbst daraufhin beobachten lernen muss, ob einem das Essen guttut, ob es einem schmeckt – oder ob man Dinge isst, die man nur isst, weil andere einem sagen, dies und das sollst du auf diese oder jene Art verzehren. Dann ist es sicherlich gut, sich mit anderen über Essen und Ernährung auszutauschen, ohne sich gegenseitig gleich dafür zu kritisieren, wenn der andere sich eben nach anderen Regeln ernährt als man selbst. Man kann sich inspirieren lassen, aber auch seinen eigenen Weg finden, bis man irgendwann zu einem ernährungskulturell gebildeten intuitiven Esser wird. Und selber kochen ist natürlich auch eine tolle Sache, um einen sinnlichen Zugang zu Lebensmitteln und zu Speisen zu bekommen. Habe ich selber erst recht spät gelernt, kann ich aber wirklich nur empfehlen!

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