„Die Banknoten stapelten sich beinahe bis zur Decke“

Wie die DDR ihr Vermögen entsorgte: Das Milliardengrab von Halberstadt

Beinahe wie bei Dagobert Duck: im Geldspeicher von Halberstadt.

Beinahe wie bei Dagobert Duck: im Geldspeicher von Halberstadt.

Schnell musste es damals gehen. Kein DDR-Bürger und keine DDR-Bürgerin sollte etwas von der Aktion bemerken. Die Zeit drängte. Allerdings ist es nicht so leicht, etwas geheimzuhalten, wenn allabendlich Lastwagen anrollen und einen riesigen Stollen ansteuern, eskortiert von NVA-Soldaten.

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Die Halberstädter hätten damals gemerkt, dass etwas vonstattenging, sagt Lysann Goldbach, Leiterin des Konzernarchivs der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Es war ja auch spektakulär, was sich im April 1990 in den Thekenbergen im „Komplexlager 12 der Nationalen Volksarmee (NVA)“ abspielte, einem ursprünglich im Zweiten Weltkrieg von KZ-Gefangenen unter tödlichen Qualen angelegten Höhlensystem: Ein untergehender Staat entsorgte sein einstiges Vermögen.

Knapp 109 Milliarden DDR-Mark in Scheinen mit einem Gewicht von 3000 Tonnen wollte die DDR-Staatsbank hinter zwei Meter dicken Betonwänden auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen. Das Geld würde schnell verrotten. Jedenfalls hatten Fachleute es so prognostiziert.

Mehr Schein als Sein

Ein paar Monate später wurde die DDR aufgelöst: Am 3. Oktober 1990 trat der Einigungsvertrag in Kraft. Bereits nach der Währungsunion am 1. Juli galt die D-Mark auch im Osten als Zahlungsmittel. Das DDR-Geld war nun nicht mehr gültig. Die Scheine waren wertlos. Oder etwa doch nicht?

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Darüber macht sich Regisseurin Natja Brunckhorst im Kinospielfilm „Zwei zu eins“ (Start: 25. Juli) Gedanken. Ein Häuflein abenteuerlustiger Ex-DDR-Bewohner und -Bewohnerinnen beweist 1990 in der Fiktion kriminelle Kreativität.

Mehr Schein als Sein: 500-Mark-Scheine hatte die DDR-Regierung zwar drucken lassen, aber nie ausgegeben. Auch dieses Papiergeld landete im Stollen von Halberstadt.

Mehr Schein als Sein: 500-Mark-Scheine hatte die DDR-Regierung zwar drucken lassen, aber nie ausgegeben. Auch dieses Papiergeld landete im Stollen von Halberstadt.

Tatsächlich wurden erst viel später, im Juli 2001, zwei Diebe auf frischer Tat von einem Wächter erwischt. Über Lüftungsschächte waren ein Lackierer und ein Hausmeister, Anfang 20, in den Stollen eingedrungen. „Rucksackweise wollten die beiden das Geld davonschleppen“, so Goldbach.

Die Kreditanstalt als Rechtsnachfolgerin der DDR-Staatsbank war bereits hellhörig geworden: Unter Sammlern kursierten plötzlich muffige DDR-Geldscheine, darunter welche von besonderem Wert: Noten von 200 und 500 Mark, für die Liebhaber leicht das Zehnfache bezahlten. Solche Scheine hatte die DDR-Bevölkerung aber niemals in den Händen gehalten. Die Nationalbank hatte sie zwar Mitte der Achtziger drucken lassen, aber dann nicht ausgegeben.

Arbeiter und Bauern im Staat wären sonst bei solchen Beträgen womöglich ins Grübeln gekommen, ob das mit der Gleichheit in ihrer sozialistischen Gesellschaft stimmte. Oder waren manche DDR-Bewohner doch gleicher als andere? Die Banknoten blieben im Berliner Tresor.

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Wie bei Dagobert Duck

„Nach dem Auftauchen der Scheine war klar, dass wir etwas unternehmen mussten“, sagt KfW-Sprecherin Christine Volk, „schon um keine Menschenleben zu gefährden in diesen endlosen Gängen, in denen man sich verirren kann.“ Volk war bei der Expedition mit Bauhelm und Taschenlampe dabei, als das Milliardengrab inspiziert wurde.

Wie in einem Geldspeicher von Dagobert Duck muss es sich damals angefühlt haben. Allerdings handelte es sich um einen düsteren und felsigen Geldspeicher. „Die Banknoten haben sich beinahe bis zur Decke gestapelt“, so Volk. Sechs Meter hoch und Hunderte Meter lang war der Stollenteil mit dem Papiergeld.

Volk erinnert sich genau, welch emotionale Szenen sich unter Tage abspielten. „Ich selbst komme aus dem Westen, aber unter uns waren ehemalige DDR-Bürger. Sie trafen auf die Währung, die sie den Großteil ihres Lebens begleitet hatte, und das in einer unvorstellbaren Menge.“

Verpackt in Plastik

Viele Scheine hätten damals beinahe noch druckfrisch ausgesehen. Im Rückblick verwundert das nicht: Manche Bündel waren in Plastik verschweißt gewesen, als man sie in aller Eile abgeladen hatte. Da hätte noch so viel Buttersäure nicht geholfen, das Verrotten zu beschleunigen.

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Das Münzgeld hatte die DDR einschmelzen lassen. Aber wieso hatte man die Scheine 1990 nicht nachhaltig entsorgt? „Das Schreddern wäre viel zu teuer gewesen“, sagt Chefarchivarin Goldbach. Und wegen des hohen Baumwollanteils hätten sich die Scheine nicht einfach verbrennen lassen. Vor diesem Problem stand gut ein Jahrzehnt später auch die KfW.

Dieses Mal musste eine endgültige Lösung gefunden werden: Per Radlader wurden die Scheine aus dem Stollen geholt. „In einem Trommelsieb wurden sie gesäubert“, sagt Volk. Die Reinigungsaktion hatte ganz praktisch-pekuniäre Gründe: „Schließlich mussten wir die Entsorgung nach Gewicht bezahlen.“

Geld wird zu Schlacke

Die Fracht ging per Lastwagen auf ihre endgültig letzte Reise zur Verbrennungsanlage ins niedersächsische Buschhaus bei Helmstedt. 620 Millionen Geldscheine wurden mit Hausmüll vermengt, bevor sie bei 1200 Grad in Flammen aufgingen. Hier verbrannte Geld, das mehr als vier Jahrzehnte lang Zahlungsmittel für rund 17 Millionen Menschen war. Die Schlacke diente als Kiesersatz beim Straßenbau.

Wie viel über die Jahre gestohlen worden war? Goldbach zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wir kennen ja nur die Fälle, in denen ermittelt wurde.“ Die beiden Täter von 2001 erhielten Bewährungsstrafen von je vier Monaten. Goldbach vermutet, dass über die Jahre noch mehr Beute gemacht wurde. In Halberstädter Wohnungen wurden Scheine konfisziert. In halb Europa tauchten sie bei Sammlern auf.

Filmreif ist diese Geschichte allemal: Regisseurin Brunckhorst erzählt sie in Starbesetzung mit Sandra Hüller und Ronald Zehrfeld. Letztlich bekommen in der leicht (n)ostalgischen Komödie mit kapitalismuskritischem Touch beide Deutschlands ihr Fett weg.

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Gebührend gefeiert wird im Film die Wirkung des Geldes. Was man alles damit hätte anfangen können! Sogar ein paar Originalscheine durften bei den Dreharbeiten verwendet werden. Am Filmende steht ein Dostojewski-Zitat: „Geld ist gedruckte Freiheit.“ Regisseurin Natja Brunckhorst sagt, Geld habe nun mal eine rauschhafte Wirkung, ähnlich einer Droge. Und: „Es löst Gier aus – das sieht man ja auch im Film.“

Zudem sei 1990 ein besonderer Sommer gewesen: „Vieles war absurd, die alten Regeln galten nicht mehr, die neuen waren noch nicht da. Ein Jahr lang war vieles möglich.“ Zeitzeugen hätten Brunckhorst gesagt: „Das war die beste Zeit meines Lebens.“ Von diesem Aufbruchsgefühl erzählt ihr Film. Später seien viele Hoffnungen enttäuscht worden.

Heute stößt Archivarin Goldbach auf Ebay immer noch auf 500-Mark-Scheine aus DDR-Beständen. Manchmal macht sie sich die Mühe, die Verkäufer und Verkäuferinnen darauf hinzuweisen, dass sie Hehlerware im Angebot hätten.

Der Sammlerwert ist allerdings zwischenzeitlich extrem gesunken. Sie selbst hat von allen Scheinen je drei im Tresor verstaut, so wie sich das für eine ordentliche Archivarin gehört. Einige wenige Exemplare aus dem Halberstädter Milliardengrab sind in Museen zur DDR-Geschichte zu bewundern.

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