Sind Sie eine Diva, Marianne Rosenberg?

Mag die Musik von Dua Lipa und Miley Cyrus: Sängerin Marianne Rosenberg.

Mag die Musik von Dua Lipa und Miley Cyrus: Sängerin Marianne Rosenberg.

Hannover. Frau Rosenberg, Sie singen auf Ihrem neuen Album das knackige Discolied „Tanzen“, das davon handelt, den ganzen Mist um uns herum mal zu vergessen und einfach tanzen zu gehen.

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Ja! Disco ist immer im Kommen. Diese Rhythmen, dann noch die Streicher obendrauf, das ist genau mein Ding. Und tanzen? Wir kennen es ja noch von den 1920er-Jahren, als die Menschen ausgeflippt und ausgelassen den Tanz auf dem Vulkan zelebrierten. Dieses Gefühl habe ich mit dem Song aufgreifen wollen. Man kann sich ja so richtig high tanzen, und alle Sorgen um sich herum sind plötzlich verschwunden.

Gehen Sie tanzen, in Clubs?

Nee, in Clubs gehe ich lieber zum Quatschen mit Freunden. Aber zu Hause tanze ich sehr gerne. Dort mache ich die Musik laut und tanze.

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Überzeugte Berlinerin

Ihre erste Single hieß „Mr. Paul McCartney“. Und als Marianne Rosenberg die aufnahm, war sie gerade einmal 14 Jahre alt. Kurz zuvor hatte sie einen Talentwettbewerb in Berlin gewonnen. Dort wurde sie 1955 geboren, und dort lebt sie noch heute. Anfang und Mitte der 1970er-Jahre war sie mit Schlagern wie „Fremder Mann“, „Er gehört zu mir“ und „Marleen“ extrem erfolgreich. Mehrmals nahm sie an Vorentscheidungen für den ESC-Vorläufer Grand Prix Eurovision teil. Kurz darauf verabschiedete sich die Sängerin von der Schlagerbranche. Sie arbeitete mit Musikern der Neuen Deutschen Welle zusammen, aber auch mit Rio Reiser und Blixa Bargeld. Später nahm sie auch Jazz- und Chansonplatten auf. Mit ihrem 20. Studioalbum „Im Namen der Liebe“, das zu ihrem 50-jährigen Bühnenjubiläum im Jahr 2020 herauskam, landete sie auf Platz eins der deutschen Charts. Ihr neues Album „Bunter Planet“ erinnert in den besten Momenten an Miley Cyrus und Cher. Spätestens, als sie in den Achtzigerjahren eine Zeit lang mit besonders schrillen Outfits und Auftritten von sich reden machte und zu politischen Themen Stellung nahm, avancierte die Sängerin zu einer Ikone der Schwulenbewegung. In ihrem Buch „Kokolores“ erzählt sie auch von ihrer Familie: Ihr Vater, Otto Rosenberg, war Holocaust-Überlebender und langjähriger Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Nahezu seine gesamte Familie, darunter seine zehn Geschwister, wurde im Nationalsozialismus ermordet. Marianne Rosenberg hat sechs Geschwister. „Mit so viel Geschwistern hast du keine Chance, abzuheben“, sagt sie. „Aber für das Leben war das eine sehr gute Schule.“

Sie vermischen auf dem Album Schlager mit Funk, Soul und Pop. Haben Sie darauf geachtet, dass Ihre Musik nicht zu traditionell, gar altbacken klingt?

Das war mir meine ganze Karriere lang wichtig. Schon die frühen Sachen klangen nach Disco und Soul und dem Sound of Philadelphia. Das war absolut nicht typisch für den deutschen Schlager. Und das, was ich gemacht habe, war auch kein deutscher Schlager. Meine Songs haben immer den Zeitgeschmack der weiten Welt adaptiert und in unsere kleine Heimat gebracht. Das ist etwas, was ich bis heute fortführe.

Elektropop in den 1990ern

Liefen Ihre Musik und der Zeitgeist meistens parallel?

Überhaupt nicht. Ich habe mit dem Album „Luna“ 1998 zu einer Zeit Elektropop gemacht, als es viel zu früh war und diese Musik als schräg und progressiv galt. Ich war immer zu früh. Nur vor vier Jahren mit „Im Namen der Liebe“ war ich einmal und endlich mal zur richtigen Zeit mit der passenden Musik am Start.

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Prompt erreichte das Album in Deutschland die Spitze der Charts.

Was mich sehr, sehr gefreut hat. Ich halte überhaupt nichts davon, das Alter der Menschen zum Thema zu machen, aber mit 65 auf Platz eins zu stehen, das fand ich schon cool.

Miley Cyrus - hier mit „Dolly Hair“-Look - gehört zu den jungen Musikerinnen, deren Sounds Marianne Rosenberg inspirieren..

Miley Cyrus - hier mit „Dolly Hair“-Look - gehört zu den jungen Musikerinnen, deren Sounds Marianne Rosenberg inspirieren..

Wer beeindruckt Sie musikalisch zurzeit?

Die Sounds von Dua Lipa oder von Miley Cyrus haben mich absolut inspiriert. Diesen Sound wollte ich reinholen in meine Platte. Ich gucke mir generell gern an, was die Musikerinnen und Musiker machen, die nach mir auf die Welt gekommen sind, und finde viele von denen sehr spannend und kreativ. Ich bin überhaupt nicht jemand, die denkt: „Ach ja, früher war die Musik viel besser, und heute taugt das alles nichts mehr.“

Deshalb klingt „Keine Zeit“ auch ein bisschen nach „Flowers“ von Miley Cyrus?

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Oh ja, „Flowers“ war ein absolutes Lieblingslied von mir. Das ist ja im Prinzip retromäßig und hat die ganzen modernen Elektroelemente weitgehend draußen gelassen. Das fand ich super charmant. Dann habe ich mir gedacht, ich brauche unbedingt auch einen Song wie „Flowers“ (lacht).

Endlich prägen auch Frauen den Pop

Miley Cyrus, Dua Lipa, Taylor Swift, Beyoncé – was denken Sie als Feministin darüber, wie sehr Popmusik inzwischen von Frauen geprägt wird?

Ich sage „endlich und wunderbar“. Besonders schön finde ich, dass viele dieser jungen Frauen auch die Regisseurinnen ihrer Karriere sind und selbst das Sagen haben. Wenn jetzt noch Frauen im Musikbusiness in Führungspositionen gelangen würden, würde ich es noch besser finden. In all den Jahren hatte ich nur zwei Frauen als Plattenbosse, und ich mache diesen Job seit 54 Jahren. Frauen sind noch immer oft in diesen typischen Positionen wie Backgroundsängerin oder Tänzerin. Natürlich gibt es auch tolle Produzentinnen oder tolle Schlagzeugerinnen, aber es gibt noch längst nicht genug.

Sie selbst standen schon als Kind auf der Bühne und haben mit 14 Jahren Ihre erste Single rausgebracht.

Das ist richtig, ich kam sehr jung in dieses Business. Ich musste die ganzen Weisungen erdulden, was man in diesem Beruf zu tun und zu lassen hat. Ich war damals auch nicht sehr aufmüpfig oder kämpferisch. Mein langer Weg der Emanzipation begann dann so mit 22, 23, was eigentlich spät ist.

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Langer Weg der Emanzipation

Würden Sie es heute guten Gewissens einem Mädchen empfehlen, so früh einzusteigen?

Wenn es nicht so ein bedingungsloser Flug von einer kleinen Motte ins Licht ist, und wenn jemand Erfahreneres vielleicht mit Rat und Tat zur Seite steht, dann finde ich das nicht ungesund. Wenn da eine echte Musikbegeisterung und eine Faszination zu spüren ist und nicht nur der Drang, Aufmerksamkeit zu bekommen, dann sollte man das ruhig unterstützen und freilassen. Ich finde es toll, wie sehr viele junge Leute von Anfang an ihre eigenen Songs schreiben, ihre eigenen Sachen erfinden und schon sehr früh eine wahnsinnige Kreativität haben. Warum sollte ich das verurteilen? Überhaupt haben wir kein Recht, Menschen, die jünger sind, in irgendwelche Richtungen zu weisen. Und heute 14 zu sein ist anders, als vor 50 Jahren 14 gewesen zu sein.

In welcher Hinsicht?

Damals war man mit 14 ein Kind. Man hatte keinerlei Mitspracherecht, auch nicht gegenüber den Eltern. Heute werden die Kinder sehr viel mehr mit einbezogen in Familienentscheidungen.

Mit knackigen Discorhythmen: "Bunter Planet".

Mit knackigen Discorhythmen: "Bunter Planet".

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Sie haben das neue Lied „Freiheit“ zusammen mit der jungen Kollegin Namika geschrieben. Es handelt davon, dass die Neugier stärker sein sollte als die Vernunft. Ist das bei Ihnen immer der Fall gewesen?

Ja, total. Ich wollte mich nie einsperren oder in ein Korsett zwängen lassen. Das beste Beispiel: Ich wollte meine erste Karriere seinerzeit richtig zerstören.

Sie meinen die Schlagerkarriere mit „Er gehört zu mir“, „Marleen“ und anderen Hits, die Sie hatten, als Sie um die 20 waren?

Genau. Niemand verstand, warum ich das nicht einfach weitermachte. Alle fragten sich, ob ich keinen Erfolg will. Aber ich finde, dass ich mit der Abkehr von diesen Liedern damals meine Persönlichkeit gerettet habe. Ich wollte nicht, dass 30-jährige Männer für mich die Lieder und die Texte schreiben. Ich musste erst mal wissen, wo ich selbst hingehen wollte. Dieses Bild, das von mir in der Öffentlichkeit entstanden war, das musste ich damit in Einklang bringen, wer ich in Wirklichkeit war. Und ich musste gucken, was ich erreichen möchte. Dazu musste ich leben und auch Fehler machen. So bin ich eben mit Blixa Bargeld und Rio Reiser in der Berliner Schaubühne aufgetreten.

Auftritte mit Rio Reiser und Blixa Bargeld

Stimmt es, dass Sie wegen Reiser anfingen, eigene Lieder zu schreiben?

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Ja, das war Anfang der Achtzigerjahre. Das war eine tolle, bewegende Zeit für mich. Damals fing meine eigene, ganz persönliche musikalische Entwicklung an. Und auch wenn ich nicht immer den Supererfolg hatte, habe ich bei jeder Produktion dazugelernt und mich getraut, ganz verrückte Bühnenshows zu machen. Rio hat mich ermutigt, selbst zu schreiben. 1984 ging das los. Sein Rat war, alles, was ich unterwegs erlebe oder aufschnappe, aufzuschreiben. Das habe ich gemacht.

Sie sind eine Ikone der LGBTQ-Bewegung und stehen für eine vielfältige, offene Gesellschaft. Lag der Albumtitel „Bunter Planet“ auf der Hand?

Das Lied „Bunter Planet“ kam von Leslie Clio. Ich habe mich dazugesellt, habe den Songtext noch weiter geöffnet, denn es soll um Diversität der Menschen in allen Formen und allen Bereichen gelten. Mir war wichtig, auszudrücken, dass die Menschen gleichberechtigt sind, egal, woher sie kommen, woran sie glauben oder wen sie lieben.

Erinnerung an Bob Dylan und Joan Baez

„Bunter Planet“ ist ein Friedenslied?

Das stimmt. Natürlich hat so eine Zeile wie „Wir schmeißen Blumen gegen Kriege“ auf einmal eine Bedeutung, die sie vor zweieinhalb Jahren noch nicht hatte. So, wie sich unser Leben und die Zeit gerade gestaltet, fühlt sich ein solcher Song nun noch mal anders an. Was in diesem Fall was Schönes ist. Auf einmal denke ich bei diesen Zeilen an Bob Dylan und Joan Baez.

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Was kann Musik ausrichten?

Musik kann eine ganze Menge. Wir sollten ihre Wirkung auf keinen Fall unterschätzen. Vielleicht ist sogar Kunst schlechthin jetzt der Schlüssel dazu, dafür zu kämpfen, was wir alles haben und bewahren wollen. Vielleicht liegt die Power auf den Bühnen, in der Malerei, im Theater. Das wäre ja nicht das erste Mal, dass von dort Einflüsse und Anregungen kommen, die weit hineinwirken in die Gesellschaft.

Engagement gegen rechts

Sie singen „Ich träume von Blumen, von Wiesen, von Frieden“. Mussten Sie Ihren Traum vom Frieden in der Tradition von Joan Baez begraben?

Ich mag naiv klingen, aber einen Satz wie „Frieden schaffen ohne Waffen“ finde ich nach wie vor nicht absurd. Ich sage es mit John Lennon: „Imagine“. Dieser Song drückt bis heute zu 100 Prozent aus, was ich denke und fühle. Den Glauben an uns habe ich nicht verloren. Ich denke immer noch, dass wir alle mit Liebe auf die Welt kommen. Es ist verrückt, dass wir dieses Paradies, auf dem wir leben, zerstören.

Haben Sie den Wunsch, mit Ihrer Musik die Menschen zu einen?

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Absolut. Das ist etwas Wundervolles. Bei mir im Publikum begegnen sich Menschen, die sich im sonstigen Leben niemals begegnen würden.

Mit Musik Menschen einen

„Diva“ hieß Ihr vorheriges Album 2022. Sehen Sie sich als Diva in der Tradition von großen Diven wie Barbra Streisand, Cher, Bette Midler?

Ich sehe mich in keiner Tradition. Ich verbeuge mich aber natürlich vor diesen toughen, großartigen Frauen. Die Selbstironie einer Bette Midler finde ich großartig. Oder Maria Callas. Die größte Diva der Welt, wunderbar. Luciano Pavarotti ist aber auch eine Diva. Der Begriff „Diva“ ist leider zweckentfremdet worden und wird eingesetzt, wenn die Leute eigentlich „Zicke“ sagen wollen.

Sie setzen sich zeitlebens geben Diskriminierung, gegen rechts ein. Ihr Vater Otto Rosenberg war Auschwitz-Überlebender und später langjähriges Vorstandsmitglied des Zen­tral­rats Deutscher Sinti und Roma. Wie sehen Sie die Gesellschaft gerade? Einerseits häufen sich Angriffe auf die Demokratie, andererseits stehen Menschen zusammen und gehen auf die Straße. Sind Sie eher optimistisch oder pessimistisch gestimmt?

Das hält sich im Moment die Waage, ich möchte aber an das Positive glauben. Ich will an Mitgefühl glauben, an Respekt und an Toleranz. Ich denke, Freiheit ist ein ganz wichtiges Wort. Die ganzen Freiheiten, die andere Menschen für uns hart erkämpft haben, für die müssen wir wirklich einstehen. Von allein bleiben sie nicht bestehen. Wir müssen etwas dafür tun.

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Sie sind in Berlin zur Welt gekommen und haben immer in Berlin gelebt. Die perfekte Stadt für Sie?

Ich reise sehr gern und genieße es, mir die Welt anzuschauen. Aber ich möchte nirgendwo anders leben. Ich hänge an Berlin. Und möchte mich Marlene Dietrich anschließen, die einst sagte: „Zum Glück bin ich Berlinerin.“

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