Depressionen und riskantes Verhalten

Wirken sich Abnehmspritzen wie Wegovy auch auf die Psyche aus?

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Medikamente mit dem Wirkstoff Semaglutid („Wegovy“, „Ozempic“) sind als Abnehmspritzen beliebt. Einige körperliche Nebenwirkungen sind bereits bekannt. Es gibt aber auch den Verdacht, dass die Mittel die Psyche beeinflussen können. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA war in den vergangenen Monaten Berichten über Suizidgedanken und selbstverletzendes Verhalten nach der Injektion von Semaglutid und anderen Appetithemmern der gleichen Wirkstoffgruppe nachgegangen. Ebenso die europäische Arzneimittelbehörde Ema.

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Anhand der bisherigen Daten konnte die Ema noch keinen klaren Beweis dafür finden, dass die Medikamente dieses Verhalten ausgelöst hatten. Die Nebenwirkungen würden aber weiterhin überwacht, so die Behörde. Auch die FDA konnte bisher keinen eindeutigen Zusammenhang feststellen, wie sie Anfang des Jahres mitteilte. Man könne aber auch nicht sicher ausschließen, dass ein Risiko besteht. Ärzte und Ärztinnen sollten bei der Verschreibung von Semaglutid-Präparaten über diese Gefahr aufklären, sagte die FDA. Genauso sollten Patientinnen und Patienten ihren Arzt oder ihre Ärztin darauf ansprechen, wenn sich ihre Stimmung unter der Therapie verschlechtert.

Bei der Behandlung auf Risiko hinweisen

In den USA sind den Verschreibungsinformationen zu Wegovy und verwandten Arzneimitteln Warnhinweise beigefügt, dass Selbstmordgedanken auftreten könnten. Auch deshalb, weil dies bereits bei vielen anderen Abnehmmedikamenten beobachtet wurde. Personen, die Selbstmordgedanken oder selbstverletzendes Verhalten entwickeln, sollten das Medikament absetzen, Personen mit einer Vorgeschichte von Selbsttötungsversuchen oder ‑gedanken sollten Wegovy meiden, heißt es dort. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hielt es aufgrund der Ema-Ergebnisse nicht für erforderlich, solche Warnhinweise in die deutsche Packungsbeilage aufzunehmen.

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In einer im Januar veröffentlichten Studie war das Risiko für Selbsttötungsgedanken bei Patienten und Patientinnen unter der Behandlung mit Semaglutid niedriger als bei der Behandlung mit anderen Abnehmmedikamenten. Das bedeute aber nicht, dass das Risiko gleich null sei, sagte eine der beteiligten Autorinnen gegenüber den NBC News. Warum während der Therapie mit Appetithemmern Selbstmordgedanken auftreten, ist nicht abschließend geklärt. Es ist zum einen möglich, dass dies nur indirekt mit den Medikamenten selbst zusammenhängt, und zum anderen damit, dass der Genuss am Essen beeinträchtigt wird.

So werden Depressionen und Suizide auch nach Operationen wie einer Magenverkleinerung oder einem Magenbypass beobachtet, aus womöglich genau diesem Grund: „Es gibt viele Menschen, für die hat Essen die Funktion, etwas Gutes für sich zu tun, und sie essen aus Stress“, sagte Norbert Stefan, Endokrinologe und Professor für klinische und experimentelle Diabetologie am Universitätsklinikum Tübingen, vergangenes Jahr gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Wenn dann der Magen plötzlich so klein ist wie eine Apfelsine oder mir so übel wird, dass ich nicht mehr viel essen kann, fehlt mir etwas.“

Stoffwechsel verändert sich

Ohne dieses Ventil könnten psychische Beeinträchtigungen drohen. Deshalb würden Betroffene bei der Adipositaschirurgie psychologisch begutachtet und begleitet. Das sollte bei den Medikamenten, die den Appetit hemmen, ähnlich sein, findet Stefan. Falls jemand bestimmte Lebensmittel esse, um durch die Freude daran depressive Gefühle zu unterdrücken, funktioniere das unter den Appetithemmern weniger gut, sagte auch Caroline Apovian laut NBC News. Die Adipositasexpertin sitzt im wissenschaftlichen Beirat des Wegovy- und Ozempic-Herstellers Novo Nordisk.

Suizidale Gedanken? Hier bekommen Sie Hilfe

Telefon-Hotline (kostenfrei, 24 h), auch Auskunft über lokale Hilfsdienste: 0800 - 111 0 111 (ev.) 0800 - 111 0 222 (rk.) 0800 - 111 0 333 (für Kinder / Jugendliche)

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Eine weitere Theorie besagt, dass durch Stoffwechselveränderungen beim Abnehmen Botenstoffe im Gehirn beeinflusst werden. Kanadische Forschende vermuten, dass dadurch bei einem Magenbypass das Neuropeptid Y nicht mehr richtig reguliert wird. Veränderte Spiegel dieses Botenstoffs werden mit Suchtverhalten, Depressionen und Suiziden in Zusammenhang gebracht. Auch unter der Therapie mit Semaglutid und ähnlichen Abnehmmitteln wird der Spiegel des Neuropeptids Y beeinflusst – offenbar sogar direkt durch die Medikamente. Inwieweit in der Folge die Stimmung beeinflusst wird, ist aber noch nicht abschließend geklärt.

Patienten handeln unüberlegt

In jedem Fall können Appetithemmer aus der Gruppe der GLP-1-Rezeptor-Agonisten, zu denen Semaglutid gehört, die Blut-Hirn-Schranke überwinden. So können sie direkt im Gehirn eine Wirkung entfalten, die nicht vollständig untersucht ist. Vor wenigen Tagen warnten der Gastroenterologe Raymond Playford und der Psychiater Martin Deahl in einer Veröffentlichung vor weiteren möglichen psychischen Effekten. Sie hatten beobachtet, dass Menschen unter einer Therapie mit den Abnehmspritzen plötzlich wichtige Lebensentscheidungen trafen, wie die, sich scheiden zu lassen oder umzuziehen. Teils schienen diese Entscheidungen unüberlegt oder waghalsig.

Die Forscher machen den veränderten Hirnstoffwechsel dafür verantwortlich. Sie vermuten, dass die Abnehmmittel das Denken beeinflussen, und zwar sowohl durch Stoffwechselveränderungen, die durch die verminderte Nahrungsaufnahme und den Gewichtsverlust ausgelöst werden, als auch „durch direkte Effekte auf die Hirnfunktion“.

Medikamente regen Glückshormon Dopamin an

Im Gehirn könnten die Medikamente die Bildung des Botenstoffs Dopamin anregen. Bei Parkinsonmedikamenten mit dopaminartiger Wirkung sei bereits bekannt, dass sie impulsives Verhalten wie Spielsucht und Hypersexualität fördern können, heißt es in der Veröffentlichung. Patienten und Patientinnen würden bei diesen Medikamenten davor gewarnt, bei Semaglutid hingegen bisher nicht, kritisieren Playford und Deahl.

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Aber könnte auch einfach ein verändertes Lebensgefühl dafür verantwortlich sein, dass sich adipöse Menschen plötzlich anders verhalten, wenn sie abnehmen? Daran glaube er nicht, sagte Playford auf Nachfrage des RND. Die Effekte würden früh, zu Beginn der Therapie beobachtet. Zwar könne sich der Lebensstil auch dadurch verändern, dass jemand sich durch den Gewichtsverlust fitter fühlt und anders aussieht. Dies seien aber eher langfristige Folgen, die sich noch nicht so früh zeigen würden.

In einer Studie mit Mäusen wurde ebenfalls beobachtet, dass Semaglutid die Dopaminausschüttung anregt. Dabei wurde aber auch ein positiver Effekt festgestellt: So verringerte sich dadurch die Lust auf Alkohol, weshalb die Autorinnen und Autoren GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie Semaglutid sogar als mögliche Medikamente zur Behandlung von Süchten ins Spiel bringen. Solche teils gegenteiligen Effekte bei verschiedenen Personengruppen seien bekannt, sagte Playford. Sie ließen sich damit erklären, dass jeder Mensch von Natur aus unterschiedlich hohe Dopaminspiegel hat.

Playford und Deahl empfehlen, die Effekte der Medikamente auf das Gehirn genauer zu untersuchen, und raten zur Vorsicht, ehe diese besser untersucht sind: „Bis dahin sollten Patienten und Patientinnen, die eine Therapie mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten beginnen, davor gewarnt werden, vorschnell wichtige Lebensentscheidungen zu treffen“, schreiben die Forscher.

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