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FDP-Ukraine-Expertin im Interview Marie-Agnes Strack-Zimmermann: „Der Kanzler hat autistische Züge – man erreicht ihn nicht“

Von Karolina Meyer-Schilf und Lucas Wiegelmann | 29.05.2024, 01:12 Uhr

Marie-Agnes Strack-Zimmermann wurde mit ihrem entschiedenen Ukraine-Kurs zu Deutschlands bekanntester FDP-Politikerin. Nun wechselt sie nach Europa. Ein Gespräch über Olaf Scholz, Kriegsrhetorik im Wahlkampf und Namensverwechslungen mit der Bildungsministerin.

Als ihre Kandidatur bekannt wurde, galt sie als Coup: Mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann schickt die FDP ihre derzeit neben Christian Lindner bekannteste Persönlichkeit in den Europawahlkampf. Doch ihre Kampagne mit schrillen Slogans, von „Oma Courage“ bis „Eurofighterin“, verfängt bisher nicht. Umfragen sehen die Liberalen bei vier bis fünf Prozent.

Strack-Zimmermann versucht, mit Arbeitswut dagegenzuhalten. Als sie im vierten Stock des Redaktionsgebäudes in Osnabrück zum Interview erscheint, rechnet sie vor, wie viele Termine sie im Wahlkampf absolviert, „viel mehr als Ursula von der Leyen“. Dann liest sie vom Bildschirm ihrer Smartwatch ab, in welcher Schule genau sie vorhin noch auf Wahlkampfbesuch war. Und bricht im Anschluss noch auf zu einem Auftritt in einem Kulturzentrum.

Das Interview mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann

Frau Strack-Zimmermann, Sie haben vor Ihrer Zeit als Politikerin in einem Buchverlag gearbeitet und unter anderem die berühmten Jugend-Erklär-Bücher „Was ist was?“ vertrieben. Welches Buchcover würden Sie nehmen, wenn Sie ein „Was ist was“-Buch über die deutsche Ampelkoalition entwerfen müssten?

Ich würde den „Was ist Was“-Band „Deutschland“ um Fotos von Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner ergänzen und eine kleine Ampel ins Bild stellen. Als ich als Kommunalpolitikerin in Düsseldorf eine Ampelkoalition ausgehandelt habe, habe ich anschließend eine kleine Kinderampel geschenkt bekommen, die auch leuchten konnte. Also viel Fantasie braucht es nicht. 

Wie fantasievoll ist die Stimmung gerade in der Berliner Ampel-Koalition?

Alle Beteiligten registrieren die Herausforderungen. Deutschland braucht eine Wirtschaftswende, um das wirtschaftliche Wachstum zu entfalten, um unseren Wohlstand zu erhalten und unsere Sicherheit zu gewährleisten. Wir werden Antworten auf alle Herausforderungen finden müssen. Aber die Wege zu diesem gemeinsamen Ziel sind eben verschieden. Überraschend ist das nicht wirklich, bei so unterschiedlichen Partnern. Als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses kann ich nur sagen: Wir arbeiten in der Ampel grundsätzlich an der Sache orientiert sehr gut zusammen. Auch mit den meisten Sozialdemokraten, die die sicherheitspolitische Lage anders einordnen als ihr eigener Kanzler. 

Vom Berater des Bundeskanzlers stammt der berühmte Satz über Sie: „Die Alte nervt“ …

… „boah, die Alte nervt“ …

…richtig, „boah“. Wie schauen Sie umgekehrt auf die Zusammenarbeit mit dem Kanzler zurück, jetzt, da Sie ja bald nach Brüssel gehen?

Ich bin Olaf Scholz erst begegnet, als ich ihm nach seiner Wahl zum Bundeskanzler persönlich gratuliert habe. Aus der Opposition heraus habe ich ihm mal vorgeworfen, wie jemand Kanzler werden will, der beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg als Erster Bürgermeister sicherheitspolitisch so versagt und zugelassen hat, dass Chaoten die ganze Stadt nach links drehen. Nach seiner Wahl zum Bundeskanzler war ich neugierig, wie er sein Amt ausfüllt. Nach drei Jahren stelle ich fest, dass er geradezu autistische Züge hat, sowohl was seine sozialen Kontakte in die Politik betrifft als auch sein Unvermögen, den Bürgern sein Handeln zu erklären. Man erreicht ihn nicht, weil er ein krasser Rechthaber ist. 

Gilt das nur für das Thema Ukraine?

Das betrifft alle Belange und wird mir auch von seinen Parteifreunden bestätigt. Er gestaltet Politik ausschließlich nach Umfragen. Er ist bei Angela Merkel erfolgreich in die Schule gegangen. Stimmungen werden gemessen, und dann wird sich an die Spitze der Bewegung gesetzt. Die Aufgabe eines Politikers ist es aber nicht, den Menschen nach dem Mund zu reden, sondern Politik zu gestalten und es den Landsleuten zu erklären.

Stimmt es eigentlich, dass die Leute Ihren Namen oft verwechseln mit dem Ihrer Parteifreundin, der Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger?

Das ist wirklich kurios und begleitet uns, seit wir beide 2017 in den Bundestag eingezogen sind. So landete ich schon mal vor der Wohnung von Frau Stark-Watzinger, weil der Bundestagsfahrdienst mich dorthin gefahren hatte, anstatt mich nach Hause zu bringen. Ich hatte während der Fahrt auf mein Handy geschaut und nicht gemerkt, dass wir falsch unterwegs waren.  Auch Markus Lanz hat sie in seiner Sendung mal mit „Frau Strack-Zimmermann“ angesprochen. Inzwischen geschieht es aber nur noch selten. 

In Ihrem Bereich, der Verteidigungspolitik, geht es vor allem um den Krieg in der Ukraine. Die Lage der ukrainischen Truppen ist dramatisch. Wann ist der Moment gekommen, in dem Sie sagen: Der Westen muss sich neu überlegen, welches militärische Ziel für Kiew überhaupt noch erreichbar ist?

Es geht schon längst nicht mehr ausschließlich um die Ukraine. Die ganze Welt ist betroffen von Putins imperialistischen Aggressionen. Wir registrieren massive russische Cyberangriffe auf unsere Infrastruktur und Angriffe durch russische Trolle im Internet. Dieser Despot versucht uns auch durch verbale Attacken – Atomwaffenübungen an der Grenze zur Ukraine und die Drohungen, die Seegrenze der Enklave Kaliningrad in der Ostsee zu verschieben – zu verunsichern, nicht zufällig kurz vor der Europawahl. Putin nimmt massiv Einfluss auf unsere Köpfe und zündelt weltweit, weil er sein ursprüngliches Ziel, die Ukraine in 14 Tagen zu besiegen, nicht erreicht hat. 

Wann würde Kiew siegen, wie definieren Sie das?

Die Ukraine hat dann gewonnen, wenn Putin kapiert, dass der Einsatz seiner Armee nicht zum Ziel führt und er einen zu hohen Preis dafür zahlen muss. Die Aussage mancher westlicher Politiker, das würde nie geschehen, verstört. Ich darf daran erinnern, dass es auch für viele unvorstellbar schien, dass die Vereinigten Staaten in Vietnam den Krieg verlieren und auch Russland in Afghanistan den Krieg verloren hat. Es gibt auch Grenzen für eine militärische Großmacht, vor allem dann, wenn sie es mit einem tapferen Volk zu tun bekommt, welches nicht hinnimmt, besetzt zu werden. 

Der Ukraine-Krieg prägt Ihre ganze Europa-Wahlkampagne. Selbst bei ganz anderen Themen wie Bürokratieabbau oder Inflation benutzen Sie Vokabeln wie „Verteidigen“ und „Kämpfen“. Wer hatte die Idee, einen Angstwahlkampf zu führen?

Mein Hinweis darauf, dass wir die Wirtschaft wieder entfesseln müssen, dass es, um unsere Freiheit zu erhalten, einer wirkungsvollen Verteidigung bedarf, dass es um Europa geht und uns nicht egal sein darf, was passiert, das hat mit Angst nichts zu tun.

Was es auch ist, die FDP-Umfragewerte sind aktuell für Europa sogar noch leicht schwächer als für die Bundespolitik.

Bei den Umfragen wird nach Parteienpräferenz gefragt. Am Ende aber werden Personen gewählt. Darüber entscheiden die Bürgerinnen und Bürger bei dieser Wahl.  Wenn sie die CDU ankreuzen, bekommen sie Ursula von der Leyen, und es wird sich in Brüssel nichts ändern. Wenn sie die FDP ankreuzen, bekommen sie Marie-Agnes Strack-Zimmermann und ein tolles Team, und es wird sich viel ändern: weniger Bürokratie und ein stärkeres Europa innerhalb einer immer komplizierteren Welt.

Die FDP hätte bessere Umfragewerte, wenn die Menschen dabei stärker an Sie denken würden?

Ich bin seit dem 6. Januar im Wahlkampf unterwegs und begegne unvorstellbar vielen Menschen. Und natürlich hoffe ich, dass mein und das Engagement meiner Parteifreunde Früchte trägt. 

Sie haben kürzlich über die schlechten Umfragen gesagt: „Ich verstehe es nicht so ganz.“ Ist das noch Ratlosigkeit oder schon Resignation?

Ich resigniere nie. Die Umfragewerte für die FDP verstehe ich allerdings nicht. Es gibt genug Menschen in Deutschland, die wissen, dass es ohne die FDP mehr Schulden auf Kosten der nächsten Generation gäbe, sowohl in Deutschland als auch in Europa, bei gleichzeitig mehr Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger. So werden wir alle unsere Wirtschaftskraft verlieren. Jetzt mache ich Wahlkampf und in der Tat keine Wahlmeditation. Es ist ein Ringen um Wählerstimmen, und dem stelle ich mich.

Was macht es mit Ihnen, dass Sie dabei so oft angefeindet werden, von allen möglichen Protestgruppen, linken und rechten gleichermaßen?

Nichts.

Warum nicht?

Weil vieles davon nur dazu dienen soll, mich mundtot zu machen. Wir haben in Deutschland 64,9 Millionen wahlberechtigte Bürger. Darunter sind auch Leute, die Putin und sein verbrecherisches Vorgehen akzeptieren oder sogar begrüßen. Für die bin ich Projektionsfläche. Wenn wir anfangen, in Deckung zu gehen, wenn wir unsere Meinung verstecken aus Angst vor gesellschaftlichen oder physischen Nachteilen, dann hat nicht nur die Demokratie verloren, sondern unser Frieden in Freiheit.