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Wie Bluetooth Auracast technisch selbst mit alten Smartphones funktioniert

Auracast per Tap. Hier muss ein Smartphone rangehalten werden. (Bild: Bluetooth SIG)
Auracast per Tap. Hier muss ein Smartphone rangehalten werden. (Bild: Bluetooth SIG)
Bluetooth Auracast verspricht für viele eine große Hilfe zu werden. Doch wie funktioniert das System und was braucht man dafür? In unserem zweiten Teil betrachten wir die technischen Hintergründe von Bluetooths neuem Broadcastsystem und was die Technik mit Hörhilfen gemein hat.

Nachdem wir im ersten Teil "Warum Alt und Jung beim nächsten Bluetooth-Wearable auf Auracast-Unterstützung achten sollten" bereits einen Überblick über das neue Projekt der Bluetooth Special Interest Group (SIG) gegeben haben, betrachtet Notebookcheck.com im zweiten Teil die Grundvoraussetzungen des Systems. Denn für Auracast gibt es einige Voraussetzungen zu beachten, die sowohl die Hardware als auch die Software betrifft. 

Außerdem gibt es ein paar technisch interessante Details bis hin zur Herkunft. Denn eines ist klar: Auracast funktioniert nicht einfach so. Der Standard ist recht neu und ohne Anpassungen und teilweisen Neukauf geht gar nichts. Das gilt sowohl für das Empfangen wie auch das Senden über einen Broadcast-Transmitter.

Neue Headsets sind nötig …

Ohne neue Hardware geht es mit Bluetooth Auracast nicht. Zwingend notwendig ist die hardwareseitige Unterstützung nämlich in Ohrstöpseln, Kopfhörern, Headsets, Lautsprechern oder Hörgeräten. Ein Headset, das die technischen Hardwaregrundlagen für Bluetooth Auracast nicht beherrscht, kann auch in Zukunft kein Auracast empfangen. Diese Aussage wurde klar und deutlich von der SIG gemacht.

Absolutes Minimum für Headsets ist dabei Bluetooth 5.2 inklusive LE-Audio-Unterstützung. Außerdem muss das Public Broadcast Profil installiert werden, was sich vielleicht per Softwareupdate lösen lässt.

Tatsächlich gibt es bereits einige Kopf- und Ohrhörer, für die ein Update angekündigt wurde oder – wie im Fall der Galaxy Buds2 Pro – schon durchgeführt wurde. Samsungs Beispiel zeigt dabei gut, wie weit in die Vergangenheit eine Updatefähigkeit reichen kann. Denn die kleinen Ohrstöpsel sind schon eine Weile auf dem Markt. Seltsamerweise bewirbt Samsung die Funktion auf seinen Produktseiten aber nicht.

Ob ein Update für etwas ältere Hardware kommt, ist freilich unklar. Insbesondere für günstige Bluetooth-Hardware ist das wohl kaum zu erwarten. Das zeigte die Vergangenheit schon häufiger.

Je nach eigenem Anspruch ist diese Voraussetzung für Auracast also eine einigermaßen handhabbare Investition. Und mit etwas Glück, geht es mit einem Update.

… neue Smartphones eigentlich nicht

Bei Smartphones, Tablets und Notebooks sieht es hingegen anders aus. Die bereits genannten Voraussetzungen für die Hardware sind zwar wünschenswert, aber nicht notwendig. Es gibt Grundvoraussetzungen, doch die liegen relativ weit in der Vergangenheit. So weit, dass die "neueren" Windows Phones theoretisch noch eine Auracast-Unterstützung bekommen könnten – sollte sich jemand finden, der sie entwickelt.

Wichtig ist eigentlich nur die Existenz einer Bluetooth-LE-Funkeinheit (BLE). Das reicht, um mehr oder weniger indirekt mit Auracast zu kommunizieren. Der Trick: Per BLE kommuniziert das Notebook oder Smartphone mit den Kopfhörern und leit sich dessen Auracast-Scan-Fähigkeit aus. Sprich, das Notebook lässt die Kopfhörer scannen und die Kopfhörer übermitteln das Ergebnis. Über diesen Umweg geht es dann in einen Broadcast, selbst wenn das Smartphone nicht weiß, was Auracast ist.

Das soll auch keine merkbaren Verzögerungen auslösen, so die Bluetooth SIG. Der Umweg hat also keinen prinzipiellen Nachteil beim Signalweg, da sich beim Verbinden eh der Kopfhörer in das Signal einklinkt. Und das auch vollständig ohne Wissen des Auracast-Senders, da es keinen Rückkanal gibt. Das kennt man vom Radio.

Der Nachteil des Konzepts: Nach derzeitigem Stand muss dies über eine App oder anderweitige Software umgesetzt werden. So hat es die Bluetooth SIG mithilfe von Qualcomm auch geschafft, die iPhones im Demobereich dazu zu bringen, sich in Auracasts einzuklinken. Eigentlich kann Apples iOS mit Auracast-Broadcasts nichts anfangen.

Alternativ gibt es auch die Möglichkeit, per QR-Code einen Kanal auszusuchen oder per Tapping auf einer entsprechenden Fläche. Vermutlich wird hier NFC genutzt.

Die Frage bleibt dann nur, ob sich jemand findet, der für die jeweiligen Betriebssysteme eine Auracast-Anwendung schreibt oder ob die Betriebssystem-Entwicklungsabteilungen es selbst in die Hand nehmen. Die Qualcomm-Software ist nämlich eine reine Entwicklungssoftware, die nicht für den öffentlichen Markt bestimmt ist. Wer ein iPhone hat, der sollte also nicht auf Qualcomm hoffen.

Großes Problem ist hierbei die Kommunikation der Beteiligten. Android ist beispielsweise Auracast-fähig. Doch der Begriff wird in der Dev-Dokumentation gar nicht genutzt. Man verwendet Broadcast. 

Für Windows 11 gibt es auch schon eine Umsetzung von Bluetooth LE Audio, verklausuliert als neue Möglichkeiten für die Zukunft. Wer ein wenig in Windows-Blog von Microsoft stöbert, wird auch hier feststellen, dass das Wort Auracast eigentlich nicht existiert.

Informationen zu Apple hat Notebookcheck.com nicht gefunden. Das wundert allgemein auch nicht, da der Hersteller bei solchen Techniken gerne gar nichts sagt und sie dann einfach umsetzt. Aus sehr lautem Schweigen ließ sich hier und da während der CES aber Hoffnung heraushören.

Partymodus oder Mehrkanalmodus

Ist die Umsetzung erst einmal gelungen, geht es an die praktische Verwendung. Mit acht Kanälen lässt sich Bluetooth Auracast recht fein einteilen. Das ist nach derzeitigem Stand, was ein Sender abstrahlen kann.

Kanäle ist hier aber nicht im traditionellen gemeint, sprich mit fixen Frequenzbereichen, denn Bluetooth ist eigentlich dafür bekannt, anderen "Störern" aus dem Weg zu "hüpfen". Frequency-Hopping Spread Spectrum oder FHSS nennt sich das, damit Bluetooth ungestört auch bei vollem 2,4-GHz-WLAN-Band funken kann.

Mit den acht Kanälen lässt sich dabei viel machen. Denkbar ist etwa ein Raumklang-Setup, denn Auracast kann auch verschlüsselt Daten senden. Ergo meldet man seine Lautsprecher an den jeweiligen Auracast-Kanal an. Das würde einer 7.1- oder 5.1.2-Anlage entsprechen. Für ein komplettes Dolby-Atmos-Setup reicht es also nicht.

Großer Vorteil: Auch hier gilt Auracast. Während im Wohnzimmer alle acht Känäle von Lautsprechern empfangen werden, könnte man für die Küche noch zwei weitere Lautsprecher für Rechts und Links verteilen. Das lässt sich in einem Umkreis von 100 Metern noch beliebig erweitern. Sprich, wenn es mehr Lautsprecherleistung braucht, lassen sich simpel neue Lautsprecher ins System einhängen. Und wer eine Gartenparty macht, der kann das Ganze ohne Passwort senden lassen, damit auch die Nachbarn ihre Lautsprecher auf das Auracast einstimmen können.

Da wären wir beim nächsten wichtigen Einsatzzweck. Ein typisches Beispiel sind etwa Flughäfen und Ansagen oder auch Fernseher mit Nachrichten in Wartesälen. Hier wird der Ton typischerweise ohne Passwort ausgestrahlt. Umsetzbar wären Mehrsprachigkeit oder auch benachbarte Auracasts, die sich nicht überlagern. Wer schon einmal an einem deutschen Bahnhof war, der weiß beispielsweise, dass die Deutsche Bahn nicht selten unterschiedliche Ansagen benachbarter Bahnsteige gleichzeitig abspielt. Mit Auracast kann sich der Fahrgast aussuchen, welcher Bahnsteig gehört werden soll. 

Ein Segen für die Hörgeräte-Industrie

Bluetooth Auracast ist dabei auch für Menschen mit einer Hörschwäche eine große Erleichterung. Jemand, der schwer hört, der hat mit gleichzeitigen Ansagen erst recht Probleme. Auracast löst das und kam tatsächlich durch eine Initiative der Hörgeräteindustrie zustande.

Dementsprechend weit sind die Teilnehmer dieser Branche. Auf der CES waren erstaunlich viele Hörgeräte zu sehen, die bereits Auracast können. Im Netz finden sich auch zahlreiche Hinweise für kommende Updates, bis hin zu Cochlea-Implantaten. Laut Bluetooth SIG gibt es einen weiteren Effekt. Bisher haben Hörgeräte besonderes Equipment, um sich in induktive Höranlagen zu klinken. Auch das ist ein Broadcast-System, jedoch aus alten analogen Zeiten und sehr stark von der Distanz abhängig.

Laut Bluetooth kostet dieses Telecoil-System auch Platz in den Hörgeräten, den man mittlerweile lieber für Akkus nutzen würde. In Zukunft könnten induktive Audioanlagen also überflüssig werden, die oft auch räumlich begrenzt installiert sind. Am Flughafen Berlin-Brandenburg ist das etwa nur der PRM-Bereich (People with Reduced Mobility) des Terminal 1, der damit ausgerüstet ist. Und selbst das ist etwas Besonderes.

Da WLAN-Access-Points schon heute gelegentlich mit Bluetooth ausgestattet sind, wäre zu erwarten, dass zukünftige WLAN-Installationen Auracast mehr oder weniger mit bringen. Bis 2050 sollen laut WHO 2,5 Milliarden Menschen unter einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Hörschwäche leiden. Während Sehhilfen heutzutage akzeptiert sind, sind Hörhilfen aber noch immer mit einem Stigma belastet. Wenn die Hörhilfe in Zukunft einfach nur das Headset ist, ist damit vielen Menschen geholfen.

Und wann geht's los?

Enttäuschend ist jedoch die bisherige Reaktion aller Beteiligten der Industrie – abseits der Hörgeräteindustrie. Apple mit seinen eigentlich fortschrittlichen Barrierefreiheitsfunktionen hat auf seinen Webseiten nach unseren Informationen nichts. Bei Microsoft sieht man zwar Fragen von Hörgerätenutzern, die bereits wissen, dass selbst Cochlea-Implantate mit Auracast ausgestattet werden, doch ob Windows das können wird? Völlig unklar. Man kann wohl aber in beiden Fällen davon ausgehen, dass Apple und Microsoft sich darum kümmern. Schließlich sind beide wichtige Mitglieder der Bluetooth SIG.

Sehr weit ist Google mit Android, sodass auch die Hoffnung für ChromeOS besteht. Das ist aber nicht garantiert. Auracast funktionierte nativ bereits mit dem Pixel 6 auf der CES-Demo. Auch das Galaxy S23 Ultra kann seit OneUI 6.0 Auracast. Doch nur weil dieses oder jenes Gerät einer Android-Betriebssystemgeneration Auracast beherrscht, heißt das nicht, dass dies alle können. Wir haben durchgepatchte Android-Geräte gesehen, in denen die Auracast-Einstellungen nicht auffindbar waren.

Es ist ein sehr seltsamer Mix an aktiven Unterstützern und passiven Marktbegleitern, den man beobachtet. Für manche Unternehmen ist es derzeit – zumindest auf PR-Seite – kein Thema, auch wenn man davon ausgehen kann, dass sie wohl in großer Anzahl an Auracast arbeiten.

Derweil gibt es aber noch sehr viel zu lernen. Die Bluetooth SIG unterstützt hierbei die Beteiligten mit vielen Dokumenten. Am 8. Januar 2024 erschien etwa der aktualisierte Best Practice Guide für einfache Auracast-Sender (PDF). Wie die SIG Notebookcheck.com zudem sagte, soll in den nächsten Wochen eine Hilfestellung erscheinen, die insbesondere das Thema Auracast-Implementierung auf alten Geräten thematisieren soll. 

Die Special Interest Group will also explizit Auracast auch auf alten Geräten ermöglichen, sodass die künftige Kundschaft nur die Headsets neu beschaffen muss und nicht etwa Notebook, Tablet oder Smartphone. Das ist freilich keine Garantie, doch die Zeichen stehen gut. 

Das gilt aber nicht nur für potenzielle Empfänger. Auch für Sendegeräte ist laut Bluetooth SIG eine große Anzahl an Retrofit-Lösungen in Entwicklung. Das dürften dann vor allem Dongles sein, die etwa an Notebooks oder Fernseher gesteckt werden. Beim Smartphone dürfte das schwieriger werden, da diese Art von Zubehör in dem Segment eher ungewöhnlich ist.

Quelle(n)

Eigene Recherchen / Bluetooth SIG / CES 2024

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Autor: Andreas Sebayang,  9.02.2024 (Update:  9.02.2024)