Im Schleudergang

Wie sich Marken an die Logik der Social-Media-Kanäle anpassen müssen

Im Schleudergang: Wie sich Marken an die Logik der Social-Media-Kanäle anpassen müssen
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Im Schleudergang: Wie sich Marken an die Logik der Social-Media-Kanäle anpassen müssen
Bei der Gen Y, Z und Alpha boomen Social Media. Wer die junge Zielgruppe erreichen will, muss mit seiner Marke hier präsent sein. Doch die Markenkommunikation folgt hier anderen Regeln als die Kommunikation in den klassischen Medien. Dirk Ziems und Thomas Ebenfeld vom Institut concept m haben die Nutzungspsychologie in Social Media untersucht und Regeln für die Werbung entwickelt.
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Die Social-Media-Kanäle stellen das Marketing vor neue Herausforderungen. Weil die Werbung den Zielgruppen folgt, ist nicht mehr das lineare TV das Leitmedium für Markenkommunikation für die jungen Konsumenten, sondern die schillernde Welt der Social Media. In einer morphologischen Grundlagenstudie, die wir im Sommer/Herbst 2023 auf Basis von Verhaltensbeobachtung und Tiefeninterviews mit 30 TikTok- und Instagram-Nutzern durchgeführt haben, konnten wir die besondere Nutzungspsychologie dieser Social Media beobachten und charakterisieren. Während die Verfassung beim Fernsehen durch lange Spannungsbögen, Lean-Back-Haltung und Sich-berieseln-Lassen gekennzeichnet ist, geht es bei Social Media interaktiv zu und der Erlebens-Flow wird durch ständig wechselnden Content fragmentiert. Es gibt keinen vorgegebenen linearen Strom von Inhalten, sondern einen Content, der im ständigen Klicken, Wegklicken und Swipen individuell entsteht.

Beim linearen TV ist der Werbeblock eine gelernte Unterbrechung, die auch als ein positives Kontrastprogramm zum eigentlichen Programm gesehen wird. Bei Instagram und erst recht bei TikTok sollte sich die Werbung in den Strom der Inhalte organisch einfügen. Unsere Forschung zeigt: Es verbietet sich, Werbeformate aus der TV-Werbung unverändert in die Social-Media-Kanäle einzuspeisen. Sie sind in diesem Umfeld Fremdkörper, die sofort weggekickt und weg-„geswiped“ werden. Ihre Wirkung verpufft. Unsere Forschung zeigt auch, dass man die verschiedenen Kanäle in der schillernden Welt von Social Media keinesfalls über einen Kamm scheren darf. Markenauftritte auf Facebook gehorchen anderen Regeln als die auf Instagram oder TikTok.

Um diese Regeln genauer zu verstehen, ist ein Blick auf die Evolution der sozialen Netzwerke hilfreich. Alle Stile der Social Media lehnen sich immer an Kommunikationserfahrungen aus dem Alltag an. Und diese so übertragenen Erfahrungen werden mit einem Belohnungssystem versehen, dem es gelingt, die Nutzer regelrecht abhängig zu machen. In unseren Interviews hörten wir immer wieder, dass die Nutzer schockiert darüber sind, wie sehr sie in diesen Netzwerken gefangen sind.

Facebook: die familiäre digitale Nachbarschaftsparty

Am Anfang stand Facebook; das Studentennetzwerk hat sich seit 20 Jahren enorm verbreitetet und inzwischen Milliarden Nutzer. Facebook versetzt – bildlich gesprochen – in die psychologische Verfassung einer Nachbarschaftsparty. Es sind Freunde da und man lernt neue Freunde kennen. Alle Besucher haben gute Laune, alle Gäste zeigen sich von ihrer besten Seite, erzählen von ihren Hobbys und Reisen. Es entwickelt sich im Wesentlichen eine positiv gestimmte Haltung, weil alles, was berichtet wird, auch positiv ist oder zumindest so eingefärbt wird. Für die ernsthafte Erörterung familiärer oder gesundheitlicher Probleme ist auf einer Nachbarschaftsparty kein Platz, und bei Facebook verhält es sich dementsprechend. Allerdings: Facebook dient auch als Ort für empörte Aufrufe über Missstände in der Welt. Die Belohnung für Facebook-Nutzer sind die Likes, und je mehr der User davon sammelt, desto besser darf er sich in seinem Leben fühlen. Ein Like ist ein digitales Schulterklopfen.

Regeln für Markenauftritte bei Facebook. Bei Facebook funktionieren die Markenauftritte am besten, die sich in das Muster des Familiären, des Heimeligen und des Persönlichen einfügen. Facebook ist ein guter Marktplatz für Produktwerbung, die sich in den Alltag der Nutzer einpasst. So etwa die neue Wärmepumpe, die Urlaubsreise, das Boxspringbett oder lokale Werbung für das neue Café im Stadtteil. Die großen Marken können sich auf Facebook positiv ins Spiel bringen, wenn sie sich thematisch in die familiäre Facebook-Welt einfügen. So werden etwa auf der Dr.-Oetker-Markenseite Kuchenrezepte vorgeführt, wie man sie im eigenen Heim backen will. Bei GoPro lebt das Urlaubsabenteuer auf, so wie beim Freizeitsportler aus der Nachbarschaft.

Snapchat: die digitale abgeschottete Teenie-Party

Von der alle Generationen einschließenden Welt von Facebook setzte sich ab 2011 das Netzwerk Snapchat ab, das besonders auf die Bedürfnisse der Jugendlichen zugeschnitten war. Das Feature, dass die Posts sich nach dem Betrachten in Luft auflösen, entspricht deren Bedürfnis nach Geheimhaltung. So wie auf einer (abgeschotteten) Teenie-Party, auf der man Grenzen austestet, aber am Morgen danach nicht unbedingt mehr daran erinnert werden möchte. Snapchat ist die Möglichkeit, pubertäre Teeniewelten in all ihrer Vergänglichkeit ins Digitale zu transferieren. Die Snapchat-Spielereien mit Fotos mit Masken und Katzenohren haben sich inzwischen überlebt. In Deutschland spricht Snapchat aktuell nur noch die Zielgruppe der 9- bis 11-Jährigen an - auch wenn ein  Snapchat-Account erst ab 13 Jahren erlaubt ist und dies auch kontrolierte werde - und ist als Kommunikationskanal für die meisten Marken wenig relevant.

Instagram: Style-Book für grandiose Selbst-Inszenierung

Nach Snapchat entstand die Sehnsucht nach einer wertigeren Selbstinszenierung – in diese Bresche sprang Instagram, das bereits 2010 gegründet wurde. Instagram bietet den Usern eine Welt, in der alles ästhetisch und durchgestylt ist. Das Programm des Netzwerks ähnelt dem einer Glamourzeitschrift: Das eigene Zuhause, der Urlaub am Meer, das neue Auto, das modische Outfit – alles ist vorzeigbar trendy, stylish und ästhetisch schön. Das Belohnungssystem war die Instagramability des eigenen Lebens, die Gewissheit, mit seinen eigenen Inhalten in der ästhetischen Liga von Influencern und Stars mitzuspielen. Die ständige Selbst-Stilisierung und narzisstische Selbstinszenierung führen auf Dauer jedoch in den „Glossiness-Burn-out“. Der Zwang zur optischen Perfektion und die Fakeness der Influencer lässt auf Dauer den Kontakt mit der Wirklichkeit verlieren. Entsprechend hat sich der Charakter von Instagram aktuell in Richtung bemühter Authentizität weiterentwickelt. Die Influencer berichten nun von ihren Alltagsproblemen, beispielsweise wenn sie gerade ein Kind bekommen haben.

Regeln für Markenauftritte auf Insta. Die Style-Book-Aufladung des Kanals macht Instagram zum Eldorado für Markenauftritte, insbesondere von Fashion- und Lifestyle-Brands. Denn auf Instagram ist alles inszeniert, also fügen sich die Brands auch perfekt ins Bild. Entsprechend ist Product-Placement allgegenwärtig. Jedes Kleid, jede Handtasche einer Influencerin ist eine Werbeanzeige. Die Wendung ins Authentische verlangt aktuell aber auch nach Modifikationen beim Markenauftritt. Statt stilistischer Perfektion und ewigem Hochglanz wird nach mehr Alltagsnähe verlangt. Es soll nicht zu glatt aussehen, sondern ein Stück weit auch normal gelebt werden. Diese Neujustierung lässt sich an Nuancen der Execution festmachen, die inzwischen gut ankommen, wie beispielsweise hippe Locations, bei denen man im Hintergrund „dreckige“ Graffiti sieht.
Die Autoren
Dirk Ziems, concept m
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Dirk Ziems
erforscht seit 30 Jahren mit der morphologischen Psychologie Markenkommunikation und hat für verschiedene Medienunternehmen zahlreiche Grundlagenstudien zu traditionellen und neuen Medienkanälen veröffentlicht. Er ist Mitbegründer der Global Research Boutique concept m und der Marketingberatung Flying Elephant.

Thomas Ebenfeld, concept m
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Thomas Ebenfeld
ist Psychologe und Experte für tiefenpsychologische Marketingforschung. Er ist Mitbegründer der Global Research Boutique concept m und der Marketingberatung Flying Elephant. Schwerpunkte seiner Arbeit sind kulturpsychologische Grundlagenstudien, Forschung zur gesellschaftlichen Transformationen, sowie die Untersuchung von Marken, Medien und Kommunikation im globalen Kontext.

TikTok: dilettantisch, anarchisch, useful und cute

Im Rahmen der Evolution der Social-Media-Kanäle ist TikTok, das 2016 gegründet wurde und mittlerweile mehr als eine Milliarde Nutzer erreicht, der vorläufige Endpunkt. TikTok stellt eine vollständige Befreiung von Perfektionszwängen auf Instagram dar, denn hier darf sich das Improvisierte, Dilettantische und Anarchische ungebremst ausbreiten. Wenn sich der Nutzer durch die TikTok-Reels swiped, erlebt er eine Tour de Force durch alle Emotionsregister – von lustig bis aufregend, peinlich bis nützlich, verrückt bis cute. Ein Besuch der Seite wirkt sich psychologisch betrachtet wie eine Art Survival-Training in einer wechselhaften Welt der ständigen Überraschungen und völligen Orientierungslosigkeit aus. In unseren Interviews erfahren wir, dass die Nutzer bei TikTok hängen bleiben, weil sie die ständige Herausforderung bindet, in dem Wirrwarr der ständig wechselnden Clip-Fragmente die Kontrolle zu behalten. Dabei kommen sie nach einiger Zeit in einen seelischen Zustand zwischen Brain-Jogging und Brain-Washing, in dem sie die Zeit vergessen.

Regeln für Markenauftritte bei TikTok. Eine Grundregel für branded Content bei TikTok ist, dass man als Marke dort keine Werbeclips einstellen sollte, sondern branded TikToks. Denn fertig durchproduzierte „normale“ Werbeclips wirken bei TikTok wie Fremdkörper, die sich nicht in die ansonsten unperfekte User-generated Clip-Sprache einfügen. Brand-Clips, die nicht wie TikToks herüberkommen, handeln sich zwei Probleme ein: Erstens werden sie nach Sekunden weggewischt, und zweitens beschädigen sie die Absendermarke, weil klar wird, dass diese offenbar TikTok nicht verstanden hat. Die Angleichung der Brand-Clips an den TikTok-Stil kommt jedoch einem Balance-Akt nahe. Denn für viele Marken steht der anarchische und schräge Stil der TikToks im Widerspruch zu der erwachsenen Markenpersönlichkeit. Ein Beispiel: Eine Bank schaltet ein TikTok, in dem ein Bankmitarbeiter aufgeregt in der Schalterhalle herumhopst und mit Geldscheinen um sich wirft. Der Clip schafft zwar aufgrund seiner Schrägheit den Sprung über die Aufmerksamkeits-Schwelle. Aber er beschädigt potenziell das Image der Finanzdienstleister-Marke, von der man ein Mindestmaß an Seriosität erwartet.

Social Media bedarf strategischer Guidance

Unsere Wirkungsanalyse zeigt, dass die Aussteuerung von Markenkommunikation auf den Social-Media-Kanälen kein triviales Unterfangen ist. In der Praxis erleben wir dabei immer wieder zwei typische Vorgehensweisen, die problematische Folgen haben: Einerseits werden für Broadcast-Kanäle entwickelte Kampagnen nahezu unverändert in Social-Media-Kanäle verlängert. Dann ergibt sich das Problem, dass die Clips auf Instagram oder TikTok wie Fremdkörper wirken. Oder man überlässt es den meist jungen Social-Media-Experten in den Kommunikationsabteilungen, für Instagram und TikTok passende Clips zu produzieren. Das kann zu dem Problem führen, dass die Kreationen überhaupt nicht zu den Markenwerten passen, die man in der Broadcast-Kommunikation über Jahre aufgebaut hat.

Der Entwicklung von Markenkommunikation für die Social Media sollte deshalb eine Strategie-Bestimmung vorausgehen. Leitfragen dafür können sein: Mit welchen Botschaften soll die Zielgruppe erreicht werden? Welcher Social-Media-Kanal (Facebook, Instagram, TikTok) ist für das Brand-Messaging besonders geeignet? Wie weit muss sich die Marken-Kommunikation an die stilistische Logik von Facebook, Instagram und TikTok angleichen? Wie kann die Integration in die bisherige und die sonstige Kommunikation auf den Broadcast-Kanälen bewahrt bleiben?

Oft wird die Entwicklung der Instagram- und TikTok-Clips als besonders kreativer Prozess angesehen, der durch Marktforschung eher gestört als unterstützt wird. Aber ähnlich wie die Entwicklung klassischer TV-Spots lässt sich auch die Social-Media-Kreation durch Pre-Testing verschiedener Routen optimieren. Dafür hält die morphologische Werbewirkungsforschung eine ganze Reihe von qualitativen und quantitativen Test-Tools bereit, unter anderem das Tool der Social-Media-BuzzTypes. 

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