NIM Market Decisions Day

Was KI nicht hat: Mut, Neugier, Empathie und Weisheit

Ranga Yogeshwar beim NIM Market Decisions Day
pua
Ranga Yogeshwar beim NIM Market Decisions Day
Seitdem der GfK Verein sich auf Marktentscheidungen von Konsumierenden und Unternehmen konzentriert und auch so heißt - Nürnberg Institut für Marktentscheidungen NIM -, befindet sich das Marketing im Fokus. So steht der NIM-Tag folgerichtig unter dem Motto „KI. MACHT. Marketing.“ Und alle drei Begriffe werden umfassend betrachtet im Ofenwerk in Nürnberg – mit 350 Besucherinnen und Besuchern und Top-Speakern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Medien.
Teilen

Der selbsternannte „Erklärbär“ Ranga Yogeshwar musste zuletzt die Euphorie doch etwas bremsen. Natürlich ist auch er begeistert von den fantastischen Möglichkeiten der Technologie: „AI is awesome“ zitiert er immer wieder die Kalifornier. Aber er benennt auch einige Schattenseiten und deckt problematische Entwicklungen auf.

Aber zunächst die Frage: Wie verbreitet ist Generative Künstliche Intelligenz (GenKI) eigentlich im Marketing? Spricht man mit Führungskräften und Entscheidern aus der Wirtschaft, so arbeiten bereits alle damit. Fabian Buder vom NIM stellt eine Studie vor, die 600 B2C-Marketer nach ihrer Einschätzung telefonisch befragt hat. In Deutschland, Großbritannien und den USA ergaben sich keine Unterschiede. Einig war man sich auch im primär fokussierten Einsatzgebiet: der Analyse von Daten und der Marktforschung, aber auch in der Automatisierung von Prozessen und der Kreation. Warum? schneller, günstiger, besser. Wobei hinter dem „günstiger“ Manche noch ein Fragezeichen setzen. Obwohl 58 Prozent der Befragten angeben, dass sie sich bereits gut oder sehr gut mit KI im Marketing auskennen, gibt es einige Herausforderungen. Wie man genau den „Human in the Loop“ einbaut, welche ethischen und rechtlichen Fragen der Einsatz von KI hervorbringt, da sind sich nur noch knapp ein Drittel der Befragten sicher, genau Bescheid zu wissen. Hier geht es zu der NIM-Studie.

Wir werden zum KI-Dirigenten

Wie die einzelnen Anwendungsfelder des Marketings mit Generativen-KI-Tools bespielt werden können, weiß Jens Polomski. Der LinkedIn-Influencer zeigt, dass die Zeit, zu der nur Nerds damit etwas anfangen konnten, längst vorbei ist. Alle Formate (Audio, Video, Text, Daten, Code) lassen sich mittlerweile in einander verwandeln, der Zugang durch natürliche Sprache ist möglich und auch das Programmieren wird kinderleicht. So jedenfalls der Plan. KI-Tools entwickeln längst KI-Tools. Der erste vollkommen mit KI-produzierte Werbespot von Toy’sRUs ist in beeindruckend kurzer Zeit entstanden, ob er auch wirksam ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Message von Polomski: Werdet zum Dirigenten und macht Euch die KI-Tools zu eigen.

Das Colgate-Logo mit Zahnlücke

Christian Niederauer ist bei Colgate-Palmolive global für Insights zuständig und berichtet aus der Unternehmenspraxis. Er weiß, dass alle Bereiche des Business von GenKI betroffen sind. Der Aspekt, 20 Prozent der Zeit bei der Suche nach einer Information sparen zu können, scheint ihm besonders wertvoll. Mit einer gut gepflegten Datenbank mit 200.000 Reports, die Colgate offenbar schon lange hat, bekommt das Marketing seine Frage „was wissen wir eigentlich über…“ in kurzer Zeit beantwortet. Auch die Suche nach Innovationen werde stark verkürzt und mithilfe von mit KI generierten Synthetischen Befragten kann aus Hunderten Ideen sehr schnell die Spreu vom Weizen getrennt werden. Für Niederauer wichtig: Der Mensch sollte immer ein Auge auf das Tun der Technik haben – auch im Prozess der Insights-Gewinnung. Er zitiert Phillippe De Ridder mit dem Satz: „AI won’t replace innovators. But innovators who use AI will definitely replace those who don’t.”

Er hat dann noch ein paar Beispiele aus dem eigenen Haus im Gepäck. Eine Social-Media-Kampagne, bei der ein Smile-Generator-AI-Tool das Lächeln der Anwender auf das Colgate-Logo anpasst. Besonders auffällig bei einer Zahnlücke oder einer Zahnspange, weniger effektiv bei fehlenden Zähnen. Auch bei der Testung von Ideen für Werbespots sieht er Nutzen: Das Storyboard kann mit richtigen Menschen statt mit gescribbelten Figuren ausgestattet werden.

Der junge Marketingberater Urs Meier (Abitur 2021) warnt in seinem Vortrag „don’t confuse technologies with ideas“ und zeigt Beispiele, wo KI lediglich verwendet wurde, weil es gerade „in“ ist, die zündende Idee jedoch fehlt. Vorbildlich findet er hingegen Kampagnen wie die von der Kosmetikfirma Maybelline, wo eine U-Bahn, die mit einer überdimensionierten Wimper ausgestattet ist, an einer Mascara-Bürste vorbeifährt. Als Chief Creative Officer bei der Hamburger Agentur Garden of Youth zeigt er auch die virtuelle Welt in Spielen und Social Media, in der sich viele Kinder bewegen.

Ebenfalls aus Hamburg angereist war Mark Heitmann, der eine Professur für Marketing & Customer Insight hat und Co-Founder von Quantilope ist. Er berichtet aus seiner Forschung mit Belegen zur Effektivität von KI im Marketing. Aber dies sei nur zu erwarten, wenn die KI zuvor mit Customer Insights trainiert worden sei.

GenKI: Horror oder Heilsbringer?

Um den größeren gesellschaftlichen Rahmen der GenKI darzustellen, war Alena Buyx eingeladen. Die ehemalige Vorsitzende des deutschen Ethikrates fragt, ob Gern KI „Horror oder Heilsbringer“ ist und antwortet: beides. Es gelingt ihr, die 400-seitige Stellungnahme des Ethikrates in einen kurzen unterhaltsamen Vortrag umzusetzen. Ihre Kernbotschaft: Generative Künstliche Intelligenz ist eine Dual-Use-Technology, die ähnlich wie die Atomkraft zum Guten für die Menschheit eingesetzt werden kann, aber auch zum Bösen. Ihre Beispiele sind schnell einleuchtend: Eine KI kann die Faltung von Proteinen in wenigen Stunden entschlüsseln und damit die individuelle Medikation von Krebspatienten ermöglichen. Dieselben Algorithmen sind aber auch zur Herstellung von Biowaffen in der Lage. Eine KI, die ihrem Sohn ganz individuell helfen kann, sein Vokabeltraining zu verbessern, kann auch für Überwachung im Klassenzimmer und Social Scoring genutzt werden.
Sie beantwortet auch drei Kernfragen, die jeder Mensch, der sich mit der Technologie auseinandersetzt, vermutlich hat: Wird KI ein Bewusstsein bekommen? Ist KI intelligent? Kann KI verantwortlich handeln? Ihre Antwort und die des Ethikrates ist: NEIN. „Wenn wir glauben, dass es eine Intelligenz geben kann, die der menschlichen gleich kommt, dann werten wir unsere eigene Intelligenz ab“, sagt sie. Unsere Intelligenz sei emotional, sozial und verbessere sich in der Interaktion. „Gen KI wird der menschlichen Intelligenz nicht gleichkommen und auch nicht besser werden“, so Buyx Urteil.
Wenn wir glauben, dass es eine Intelligenz geben kann, die der menschlichen gleich kommt, dann werten wir unsere eigene Intelligenz ab
Alena Buyx

An diesem Punkt erinnern wir uns wieder an den ersten Redner an diesem Tag. Zack Kass nennt sich Futurist und ist der ehemalige Head of Go-To-Market bei OpenAI, dem Unternehmen, das den derzeitigen Hype mit der Veröffentlichung von ChatGPT 2022 gestartet hat. Auf der Bühne in Nürnberg macht er das große Bild auf und spricht nicht nur über GenAI, sondern auch über AGI, also einer Allgemeinen Künstlichen Intelligenz, die die Fähigkeit besitzt, jede intellektuelle Aufgabe zu verstehen oder zu lernen, die ein Mensch ausführen kann. AGI werde in wenigen Jahren Realität sein und dann werde man die Zeitrechnung ändern und die Jahrhunderte in „Vor-AGI“ und „Nach-AGI“ einteilen, so seine Prognose. Aber, so seine gute Message, den Menschen werde die Technik nicht ersetzen, denn er habe Fähigkeiten, die keine Maschine haben werde: Mut, Neugier, Anpassungsfähigkeit, Empathie, Weisheit. Daher sein Apell: „The future is great, but only if we imagine and build it together”.

Die Grenzen des Einsatzes

Buyx zeigt die Grenzen des Einsatzes von KI-Tools und dies müsse auch mit Gesetzen wie dem EU AI Act überwacht werden: Moralische, ethische Entscheidungen. KI darf keine Verantwortung übertragen werden, etwa dafür, welche Person von einem autonomen Auto überfahren werden darf, oder wer Kindergeld erhält oder die freie Stelle bekommt. Um solche Fehlentwicklungen zu verhindern, müssen wir in Europa die Forschung an GenKI forcieren, sagt Buyx, denn derzeit werden 34 Prozent aller KI-Patente in China erdacht.
Und Yogeshwar betont die Verantwortung für die ganz Jungen. Für die erste Generation, die mit Selbstverständlichkeit mit Maschinen sprechen wird. Es wird wohl auch die Generation sein, die einen Credible Assistent hat, der – nebenbei gesagt - Werbung überflüssig macht, weil er ganz individuell den eignen Kunden beraten kann. Und bei diesen Visionen hat der 65-jährige Wissenschaftsjournalist nicht nur seine vier Enkel im Blick.

stats