Erfüllender Sex

Sexuelle Selbstbestimmung: “Wir Frauen müssen, wenn es um Sex geht, gar nichts”

Wie führt man als Frau ein sexuell selbstbestimmtes Leben? Unsere Autorin hat sich vor Jahren diese Frage gestellt und eine Antwort für sich gefunden
Ein Pärchen ist in Unterwäsche auf dem Bett aktiv.
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Sexuelle Selbstbestimmung muss man erlernen – aber es lohnt sich!

Mein erstes Mal hatte ich mit 17. Mit einem Typen von meiner Schule, der Ronaldo-Fan war, Rosenkränze und V-Ausschnitt- Shirts trug und es extrem edgy fand, sich chinesische Schriftzeichen auf die Wirbelsäule tätowieren zu lassen. Ein Hauptgewinn also. Da der Hauptgewinn laut eigener Aussage bereits schon länger sexuell aktiv war, entschied ich mich, ihm nicht zu erzählen, dass ich noch nie Sex hatte, bevor wir miteinander schliefen.

Als es dann so weit war, blutete ich alles voll, sodass Albert Einstein seine Schlüsse zog und diese via dem 2000er-Messengerdienst ICQ der halben Oberstufe mitteilte. Wie in einem schlechten Highschool–Film wurde ich am nächsten Tag von Mitschüler:innen auf dem Schulflur hämisch auf das Blutbad hingewiesen. Trotz allem blieb ich mit dem Aushilfs-Ronaldo noch zwei Monate zusammen, bis er mich für seine Ex-Freundin abservierte.

Sexuelle Selbstbestimmung: Mit ehrlicher Reflektion zum erfüllenden Ziel

Nach diesem demütigenden Start hatte ich aber auch erfüllenden Sex, intimen und rohen Sex. Sex, der so gut war, dass ich ihm noch Jahre später hinterhertrauere. Denn in den vergangenen 15 Jahren hatte ich ebenfalls mittelmäßigen Sex, richtig schlechten Sex und Sex, der so unbedeutend war, dass ich mich kaum noch an die Namen und Gesichter der Männer erinnern kann. Und dann gab es Handlungen, die grenzüberschreitend waren, denen ich nicht zugestimmt habe. Oder denen ich zugestimmt habe, obwohl ich das eigentlich tief in mir drin nicht wollte. Rückblickend gab es viele Situationen, in denen ich Schmerzen über mich ergehen ließ, weil ich mich nicht getraut habe, Nein zu sagen, aus Sorge, meinen Geschlechtspartner zu enttäuschen. Nicht nur Männer haben also meine Grenzen überschritten, ich selbst habe sie zu oft nicht respektiert und bin geblieben, wenn ich hätte gehen sollen.

Sexuelle Selbstbestimmung meint, dass jeder Mensch für sich selbst entscheiden darf, bei welchen sexuellen Handlungen er mitmachen will. Simpel, wenn man ein Mann ist. Als Frau wird die Sache sehr viel komplizierter. Sexuelle Selbstbestimmung heißt für uns, ein starkes Ja und ein klares Nein finden zu müssen. Das erfordert Mut. Doch selbst, wenn wir es schaffen zu kommunizieren, was wir möchten und was nicht, bedeutet das noch lange nicht, dass unsere Bedürfnisse respektiert werden.

Das alles setzt voraus, dass man sich darüber im Klaren ist, was man überhaupt will. Zu verstehen, dass man aktiv begehren darf, in einer Gesellschaft, in der sich Männer nehmen und man selbst genommen wird. In der man uns ständig die Kontrolle entzieht. Wie wir bei Hetero-Sex miteinander agieren, ist ein Spiegel unserer Gesellschaft, der zeigt, wie gleichberechtigt wir wirklich sind. Stehen wir nämlich nackt voreinander, verfallen wir allzu oft in alte Geschlechterrollen, und dabei reproduzieren wir Bilder von Lust aus rein männlicher Perspektive.

Was ist weibliche Lust überhaupt? Während ich versuchte, herauszufinden, wer ich als Frau und als sexuelles Wesen bin, habe ich mir diese Frage immer wieder gestellt. Was ich will, wusste ich die längste Zeit nicht. Woher auch? Aufgewachsen bin ich mit der Vorstellung, dass man als Frau Männern gefallen muss, nicht nur optisch, auch intellektuell und vor allem sexuell. Ich habe gelernt, dass man ständig verfügbar sein muss, aber nicht aktiv einfordern darf, wenn man den schmalen Grat zwischen billig und zugeknöpft nicht verfehlen will. Nie werde ich folgende Worte eines Ex-Freundes vergessen, weil sie für mich das sexuelle Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen auf den Punkt brachten: “Du hast mir auch schon länger keinen mehr geblasen.” Stimmt. Und für meine Verweigerung gab es einen guten Grund: Er wollte keinen Oralverkehr an mir praktizieren, denn das fand er eklig.

Sexuelle Selbstbestimmung: Was macht dir wirklich Spaß beim Sex?

Dieser Moment hat alles für mich verändert. Ich beschäftigte mich zum ersten Mal mit Feminismus und begann, gewisse Dinge mit anderen Augen zu sehen. Mein Körper ist nicht eklig, und schon gar nicht ist er für die reine Befriedigung eines Mannes da. Ich begann alles, was ich je über Sex gelernt habe, zu hinterfragen. Schicht für Schicht habe ich die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und die Mythen über weibliche Lust – die Hand in Hand gehen – abgetragen. Und mich dabei immer wieder gefragt, wie ich mich während sexueller Handlungen fühle; was mir wirklich Spaß macht.

Was ich nur tue, weil ich glaube, dass es von mir erwartet wird. Gleichzeitig hörte ich damit auf, mich Männern unterzuordnen, und fing damit an, konsequent meine Meinung zu sagen, sei es im Job, auf der Straße oder im Bett. Ich habe gelernt, zu widersprechen, auszuhalten, unangenehm zu sein und Männern auch mal nicht zu gefallen. Wer mir nicht auf Augenhöhe begegnet, hat in meinem Leben und meinem Schlafzimmer keinen Platz mehr. Heute fordere ich ein und nehme mir, was ich will, wann ich will. Und will ich mal nicht, ist das auch okay. Wir Frauen müssen, wenn es um Sex geht, nämlich gar nichts. Wir sind niemandem irgendwas schuldig. Niemandem, außer uns selbst.