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Helfen Regeln gegen den Krieg?

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Die honorigen Herren, die 1899 in Den Haag der Kriegsführung Ordung gaben.
Die honorigen Herren, die 1899 in Den Haag der Kriegsführung Ordung gaben. © imago images/H. Tschanz-Hofmann

Die Ergebnisse der Haager Friedenskonferenz stärken seit 125 Jahren das Bewusstsein, dass Krieg kein Naturgesetz ist. Ein Gastbeitrag von Jost Dülffer.

Eine Friedenskonferenz mitten im Frieden gab es selten. Sonst ging es früher und geht es, wie jüngst auf dem Bürgenstock in der Schweiz in Sachen Ukraine, meist um das Ende von konkreten Gewaltkonflikten.

Vor 125 Jahren fand jedoch vom 18. Mai bis 29. Juli 1899 in Den Haag eine ungewöhnliche Friedenskonferenz statt, mitten im Frieden. An ihr waren alle europäischen Staaten, aber auch die USA, Japan und China beteiligt.

Ein halbes Jahr zuvor, am 24. August 1898, hatte der russischen Zar Nikolaus II. mit einer erstaunlichen Initiative die Staatenwelt aufgeschreckt: „Die Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens und eine mögliche Herabsetzung der übermäßigen Rüstungen, welche auf allen Nationen lasten, stellen sich in der gegenwärtigen Lage der ganzen Welt als ein Ideal dar, auf das die Bemühungen aller Regierungen gerichtet sein müssten“. Warum das? Rüstungen, so der Zar, ruinierten die Volkswirtschaften und müssten doch nach kurzer Zeit modernisiert werden. Das war die Beschreibung einer Rüstungsspirale, eine Diagnose, die bis in die Gegenwart gültig ist.

Zur Person

Jost Dülffer hatte bis 2008 die einzige Professur für Historische Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland inne, an der Universität zu Köln .

Die Reaktion der damaligen Großm��chte war Überraschung und Ablehnung, wenn auch höflich in hohes Lob verklausuliert. Kaiser Wilhelm II. meinte, der russischen Volkswirtschaft ginge im Wettrüsten eher die Puste aus und folgerte: Das prosperierende Deutsche Reich rüste auch zu Lande und zur See und demonstriere damit seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Der Gedanke an Abrüstung oder auch nur Rüstungsbeschränkung durch gemeinsame Vereinbarungen, wie er später seit den 1970er Jahren zwischen den USA und der Sowjetunion mit Erfolg praktiziert wurde und wesentlich zur Überwindung des Ost-West-Konflikts beitrug, war damals illusorisch. Zur Wahrung des Prestiges des Zaren war die Staatengemeinschaft nur bereit, einen unverbindlichen Wunsch auszusprechen, eine solche Frage, welche doch alle Völker berühre, weiter international zu diskutieren; der Rüstungswettlauf, der in den Ersten Weltkrieg führte, wurde nicht unterbrochen.

Daher wurde die geplante Konferenz zur Suche nach einem Thema, das mit Frieden zu tun hatte. Es wurde dann: das Völkerrecht. Konnte man Kriege durch rechtliche Verpflichtungen vermeiden? Konflikte zwischen Staaten gab es immer, das war sicher. Aber Rechtsfragen könne man durch unabhängige Schiedsgerichte entscheiden lassen. Schiedsgerichte waren gängige Praxis für bilaterale Konflikte; nun wurde die Frage nach deren Verankerung im Völkerrecht zur großen und öffentlich ausgetragenen Streitfrage in Den Haag: Wie unabhängig und machtvoll konnten Schiedsgerichte sein, damit sie Kriege verhinderten? Es waren die Deutschen, die am stärksten darauf beharrten: eine Verpflichtung, sich für bestimmte Fragen einem Schiedsgericht zu unterwerfen, untergrabe die Souveränität des Staates, die eigene Großmacht, und komme daher nicht infrage.

Zur Serie

Menschen brauchen Frieden. Aber es herrscht Krieg in der Ukraine, im Nahen Osten und in anderen Teilen der Welt. Welche Wege können zum Frieden führen?

In derFR-Serie #Friedensfragen suchen Expertinnen und Experten seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine nach Antworten auf viele drängende Fragen.

Dabei legen wir Wert auf eine große Bandbreite der Positionen – die keineswegs immer der Meinung der FR entsprechen. Alle Artikel finden sich auch auf www.fr.de/friedensfragen

Letztlich kam es immerhin zur Einrichtung eines Ständigen Schiedshofs mit einem Sekretariat in Den Haag. Das klang gut, aber dieser bestand zunächst nur aus einer von den Einzelstaaten benannten Liste von Personen, derer sich die Staaten bedienen konnten, wenn sie wollten; und: sie wollten eher mal nicht. Zu diesem Zweck wurde der Haager Friedenspalast 1911 gebaut. Auf eine Verpflichtung für auch noch so kleine Sachfragen konnte man sich nicht einigen – erneut boykottierte Berlin alle von einer großen, in Den Haag versammelten internationalen Öffentlichkeit erhofften Lösungen. Dennoch wurde hier die Grundlage für den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gelegt, der sich seit dem Ersten Weltkrieg entwickelte und bis heute etwa in Sachen Gaza-Krieg tätig ist.

Den Haag 1899 brachte dennoch bleibende Resultate: Mit der Haager Landkriegsordnung von 1899 wurden schon bestehende Ansätze zur Beschränkung der Kriegsführung im Krieg („ius in bello“ nannte man das) erzielt, die seither ausgebaut sind und trotz aller Nichtachtung und Kriegsverbrechen gültig sind. Die Ansätze zur Verhinderung von Kriegen („ius ad bellum“) zeitigten zwar 1899 (und in einer weiteren Konferenz 1907) geringe Erfolge. Sie entstanden nicht zuletzt unter dem Eindruck einer sich neu entwickelnden internationalen Öffentlichkeit und sie stärken seit nunmehr 125 Jahren das Bewusstsein, dass Krieg kein Naturgesetz sei, das über die Menschheit komme, sondern dass die Vermeidung von Kriegen zu den zentralen Aufgaben einer internationalen Ordnung gehört.

Diesem Schutz widmete sich verstärkt seit dem Ersten Weltkrieg der Völkerbund, nach dem Zweiten Weltkrieg die Vereinten Nationen. Die Haager Friedenskonferenz von 1899 bedeutete einen ersten Schritt in diese Richtung: Wegweisende Themen wurden breit diskutiert, die konkreten Ergebnisse beeinflussten die internationale Politik der Zeit nur wenig, die Zukunft aber wesentlich – bis heute.

Das Völkerrecht hat seither sowohl für den Krieg in der Ukraine wie in Gaza Leitlinien ausgebildet, die in konkrete Politik umgesetzt werden sollten. Das Großmächtesystem um 1900 war ein anderes als heute, die Anforderungen an das heutige Staatensystem, diese in politische Lösungen, jeweils zu einem für beide – ja für alle Seiten akzeptablen Frieden umzusetzen, bleibt jedoch dringender denn je.

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