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Krieg 124

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Ja, hatten sie. Rettungskräfte vor dem Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus in Kiew, das von russischen Raketen getroffen wurde.
Ja, hatten sie. Rettungskräfte vor dem Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus in Kiew, das von russischen Raketen getroffen wurde. © dpa

Hatten sie das wirklich getan? Hatten die Kriegsherren Kliniken bombardieren lassen?

Hatten sie das wirklich getan? Man war inzwischen vieles gewohnt, nein, nicht gewohnt – man hatte vieles zu ertragen gelernt nach 124 Wochen und acht Jahren Krieg im Osten, nach neun Monaten Krieg im Nahen Osten. Aus der Ferne zu ertragen gelernt. Was nichts mit dem zu tun hatte, was die Menschen zu ertragen hatten, dort, wo es geschah.

Aber hatten sie das wirklich getan? Hatten die Kriegsherren Kliniken bombardieren lassen? In diesem Fall: Hatte der Kriegsherr, der Anführer des riesengroßen Landes, tatsächlich ein Kinderkrankenhaus bombardieren lassen, in dem kleine Patient:innen mit einem Rest Hoffnung lebten, von einer oft unheilbaren Krankheit doch noch geheilt zu werden?

Hatte dies der Anführer des riesengroßen Landes befohlen, oder einer seiner Adjutanten, und hatten dies die ausführenden Organe in die Tat umgesetzt? In den Medien liefen unerträgliche Aufnahmen von den Folgen. Sie zeigten, wozu Menschen in der Lage waren. Menschen waren in der Lage, das Leid anderer Menschen noch zu verstärken, aus Gründen, die nur sie allein verstanden. Ein Mann, der gerade vorübergehend den Vorsitz hatte über den Rat des Kontinents, besuchte den Anführer des riesengroßen Landes und schüttelte dessen Hand, an der das Blut von Hunderttausenden klebte. Er wolle so schnell wie möglich den Krieg beenden, sagte der Besucher. Es bestand kein Zweifel daran, dass ein solches Ende dieses Krieges bedeuten würde: Das überfallene Land müsste Boden hergeben, seine geraubten Kinder aufgeben, die Menschen müssten sich selbst aufgeben, zum großen Teil.

Hilfe. Aus welcher Richtung war Hilfe zu erwarten? Die Weltmacht auf einem anderen Kontinent, die bisher für Sicherheit zu sorgen versucht hatte, ging der Wahl ihres nächsten Präsidenten entgegen. Es war zu befürchten, dass der alte, aber im direkten Vergleich noch vernünftige Mann nicht mehr stark genug sein könnte, um noch einmal zu gewinnen und das Schlimmste abzuwenden. Sollte der andere alte, aber schon lang nicht mehr zurechnungsfähige Mann gewinnen, wäre sein nächster Weg der Besuch bei dem Anführer des riesengroßen Landes mit dem Ziel, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Zu Konditionen, wie sie auch der vorübergehende Vorsitzende bot. Und wie sie besonders dem Kriegsherren gefielen.

Über all dem erwuchs immer stärker die Gewissheit, dass da zu viele Männer im Spiel waren, viel zu viele Männer. 124 Wochen und acht Jahre Krieg. Die Antwort auf eine Frage brauchte wenig Bedenkzeit: Wären so viele Tausend Menschen gestorben, und wäre ein Kinderkrankenhaus bombardiert worden, wenn die Menschen an der Macht Frauen wären?

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