Das Bild zeigt die Rückansicht eines Studenten mit Kippa.
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Antisemitismus
"Wir erleben eine antisemitische Dauereskalation"

Im Forschungsausschuss ging es um die zunehmende Bedrohung jüdischer Menschen auf dem Campus. Sie würden an ihrem Recht auf Bildung gehindert.

26.06.2024

Am heutigen Mittwoch fand ein Fachgespräch zum Thema "Antisemitismus an Bildungs- und Forschungseinrichtungen bekämpfen" im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung statt. Übereinstimmend berichteten die geladenen Expertinnen und Experten von einem Rückzug jüdischer Studierender vom Campus. Jüdische Hochschulangehörige würden sich auf dem Campus oftmals nicht als Jüdinnen oder Juden zu erkennen geben können. Damit würden sie an ihrem Recht auf Bildung gehindert, so Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. 

Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), wies darauf hin, dass zehn Prozent der antisemitisch motivierten Übergriffe in Kultur- und Bildungseinrichtungen stattfinden würden. Die Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) hatten für 2023 einen Anstieg antisemitischer Vorfälle um fast 83 Prozent im Vergleich zum Vorjahr festgestellt (insgesamt 4.782 Vorfälle). An den Hochschulen dominiere derzeit der israelbezogene Antisemitismus, stellte Stefan Müller von der Frankfurt University of Applied Sciences fest.

Ausbleibende Gegenreaktionen auf extremistische Tendenzen

Noam Petri von der Jüdischen Studierendenunion Deutschland führte Beispiele aus den Studierendenprotesten der letzten Wochen auf, um die extremistische Tendenz zu verdeutlichen: Es sei naiv, diese als friedlichen Protest abzutun. Er äußerte seine Enttäuschung über Professorinnen und Professoren und Kommilitoninnen und Kommilitonen. Auch Elio Adler von der Werteinitiative e.V. vermisst eine klare Gegenreaktion von der Mehrheit der Studierenden und der Lehrenden, die den Protestaktionen und Boykottaufrufen kritisch gegenüberstünden.

"Wir erleben seit 9 Monaten eine antisemitische Dauereskalation", sagte Samuel Salzborn von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Universitäten seien Orte des Dialogs, "weiche" Orte, die nicht auf eine solche Eskalation vorbereitet seien. An einem Dialog seien die kleinen, aber massiv radikalisierten Gruppen aber nicht interessiert, Dialogformate würden zwingend ins Leere laufen. Salzborn stellte klar, dass es sich dabei nicht nur um Angriffe auf Jüdinnen und Juden, sondern um Angriffe auf Demokratie und Wissenschaftsfreiheit handele.

Susanne Krause-Hinrichs von der Stiftung für Toleranz und Völkerverständigung wies auf Regelungslücken im Strafgesetzbuch hin: Dort sei eine Antisemitismus-Definition zu implementieren, um Rechtssicherheit zu schaffen. Universitäten bräuchten eine Grundlage für die Einordnung antisemitischer Vorfälle. Jüdinnen und Juden müssten frei und sicher leben, lernen und studieren können, verlangten die Sachverständigen.

Jüdischer Student klagt gegen FU Berlin

Im Februar wurde der jüdische FU-Student Lahav Shapira von einem Kommilitonen außerhalb des Campus bei einem mutmaßlich antisemitisch motivierten Angriff massiv verletzt – nun hat er eine Klage beim Verwaltungsgericht Berlin gegen die Universität eingereicht. Das berichtete zuerst das ZDF-Magazin "frontal", dem die Klageschrift exklusiv vorliegt. Die FU habe zugelassen, "dass antisemitische Sprache sich zu Taten konkretisiert hat", zitiert das ZDF aus der Klageschrift. Die Pressestelle der FU teilte laut ZDF mit: "Die von Ihnen erwähnte Klage liegt der Freien Universität Berlin noch nicht vor. Zu laufenden rechtlichen Vorgängen äußert sich die Freie Universität nicht."

hes