Eine Dozentin begrüßt freudig Studierende im Flur eines Hochschulgebäudes.
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Umfrage Teil I
Wie bleibt die Wissenschaft als Arbeitgeber attraktiv?

In unserer Umfrage äußern sich Personen aus der Wissenschaft zur Frage, was das Arbeiten an Hochschulen reizvoll macht – und was nicht.

21.05.2024

Rosenthal: unbefristete Stellen auch neben der Professur


Hochschulen sind zentrale Akteure der deutschen Wissenschaft und erbringen vielfältige Leistungen für die wissenschaftliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung Deutschlands. Nicht zuletzt sind sie auch große Arbeitgeber: Mehr als 780.000 Beschäftigte sind in Forschung, Lehre, Verwaltung, Technik und anderen Bereichen tätig. Seit einiger Zeit steht insbesondere die Gruppe der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in frühen Karrierephasen und die Bedingungen ihrer Beschäftigung im Fokus: Unter dem sperrigen Kürzel "WissZeitVG" werden die Bedingungen für vertragliche Befristungen und insbesondere für sichere Beschäftigungsperspektiven und planbare Karrieren in der Wissenschaft diskutiert.

Ein grau-melierter Mann mit Brille und dunklem Anzug lächelt in die Kamera.
Walter Rosenthal ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). HRK/Davi Ausserhofer

Bereits 2014 diagnostizierten die HRK-Mitgliedshochschulen einen besonderen Handlungsbedarf bei der Förderung des "wissenschaftlichen Nachwuchses nach der Promotion". Dabei war unter den Hochschulen Konsens, dass allein die Reform der Befristungsmöglichkeiten nicht zielführend wäre, um wissenschaftliche Karrierewege attraktiver zu gestalten. Wenn es um die Möglichkeit unbefristeter Beschäftigung in der Wissenschaft geht, müssen zudem immer zwei Punkte berücksichtigt werden: 

Erstens: An deutschen Hochschulen werden jährlich etwa 30.000 Personen promoviert, mehr als 1.500 habilitieren sich. Der Bedarf an unbefristetem wissenschaftlichen Personal mit der Qualifikation Promotion oder höher beträgt im deutschen Wissenschaftssystem indes nur circa 4.000 pro Jahr. Das bedeutet, dass die Mehrheit der Promovierten die Wissenschaft verlässt. Dies ist kein Scheitern, sondern deckt den Bedarf an hochqualifiziert Tätigen in Wirtschaft, Verwaltung und Kultur. 

Zweitens: Karrierewege an Hochschulen basieren auf Qualität und Wettbewerb gemäß der grundgesetzlich verankerten Prinzipien der Bestenauslese und Gleichbehandlung. Das erfordert – anders als in privatwirtschaftlichen Unternehmen – klare Besetzungsregularien: Professuren werden extern und international ausgeschrieben. Kommissionen entscheiden in qualitätsgeleiteten und transparenten Auswahlverfahren über die Besetzung. Dies macht Karrieren in der Wissenschaft weniger gut planbar. 

Trotz aller Unsicherheiten streben nach wie vor viele qualifizierte Menschen eine Karriere in der Wissenschaft an, was für die anhaltende Anziehungskraft von Forschung und Lehre spricht. Gleichwohl gibt es Kritik an bestehenden Beschäftigungssituationen. In der Wissenschaft ist die Arbeitsbelastung hoch, Verträge sind in den frühen Karrierephasen befristet und das eigenständige wissenschaftliche Arbeiten nimmt in den Qualifikationsphasen häufig zu wenig Raum ein.

Wie können nun die Rahmenbedingungen für Karrieren in der Wissenschaft verbessert werden? Erforderlich sind Transparenz, Verlässlichkeit und eine frühe Weichenstellung während der Postdoc-Phase. Dies wiederum setzt eine umfassende Beratung und ein uneigennütziges Mentoring voraus. Vor diesem Hintergrund sind die Hochschulen gehalten, akademische Daueraufgaben zu identifizieren, die von entfristeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wahrgenommen werden sollten. Dafür, aber auch für weitere Karrierewege neben der herkömmlichen Professur müssen unbefristete Stellen ausgestaltet werden, mit Möglichkeiten zum eigenständigen wissenschaftlichen Arbeiten. 

In dieser Hinsicht ist in den letzten Jahren bereits einiges geschehen. Beispielhaft sei die Einführung der Tenure-Track-Professuren genannt; ein Modell, das noch intensiver verfolgt werden sollte. Zudem haben sich viele Hochschulen zu Mindestvertragslaufzeiten für Erstverträge der Promotions- und Postdoc-Phase verpflichtet, und es werden zunehmend Core Facilities eingerichtet, die gerade in frühen Phasen der Karriere den Zugang zu Forschungsinfrastrukturen ermöglichen. Neben all diesen Ansätzen entwickeln die Hochschulen noch in vielen anderen Bereichen – etwa mit Blick auf Fragen der Gleichstellung, Diversität und Familienfreundlichkeit – Konzepte, um die Arbeitsbedingungen weiter zu verbessern und somit sicherzustellen, dass sich auch in Zukunft die besten Köpfe für die Wissenschaft entscheiden.

Hochschulentwicklung – Schwerpunkt in "Forschung & Lehre"

Die Maiausgabe von "Forschung & Lehre" widmet sich mit einem Themen-Schwerpunkt der "Hochschulentwicklung". Auch haben wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt, wie die Wissenschaft als Arbeitgeber attraktiv bleibt. 

Dies ist der erste Teil der Umfrage. Die Fortsetzung folgt noch in dieser Woche. 
Hier geht es zur aktuellen Ausgabe – reinlesen lohnt sich!

Becker: Karrierewege verschiedenartig und transparent gestalten 

Vorausgeschickt: Wissenschaft muss als Arbeitgeber attraktiv sein und bleiben. Wir müssen alles dafür tun, um Talente aus aller Welt zu gewinnen sowohl im Hinblick auf Forschung auf höchstem Niveau als auch, um einen Beitrag zur Lösung der vielfältigen globalen Herausforderungen unserer Zeit leisten zu können. Hierfür hat Deutschland im internationalen Vergleich viel Positives einzubringen: Wissenschaftsfreiheit, ein differenziertes Wissenschaftssystem, die Wertschätzung von Neugier und erkenntnisgeleiteter Forschung oder auch etablierte internationale Kooperationen sind nur einige Stichworte.

Eine Frau mit mittellangem, braunem Haar und rotem Anzug lächelt in die Kamera.
Katja Becker ist Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). DFG/Rainer Unkel

Die DFG trägt durch ihren inhärent wissenschaftsgeleiteten Ansatz zu dieser breit gefächerten Forschungslandschaft bei. Ihre Finanzierung durch Bund und Länder ist ein wichtiger Vertrauensbeweis der Politik in das Funktionieren dieses selbstverwalteten Systems. Gleichzeitig muss die Wissenschaft sich auf einigen Feldern weiter entwickeln, um international wie national attraktiv zu bleiben. Ein zentraler Punkt ist hierbei, die Karrierewege verschiedenartig, transparent und verlässlich zu gestalten. Verschiedenartig etwa in dem Sinne, dass es unterschiedliche Wege zur Professur gibt.

Die immer stärker genutzten Tenure- Track-Professuren tragen dazu wesentlich bei. Die DFG fördert alternative Karrierewege zur Professur seit 25 Jahren mit dem Emmy Noether-Programm, das herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der frühen Phase ihrer Karriere ermöglicht, sich durch eine unabhängige Gruppenleitung für eine Professur zu qualifizieren.

Allerdings sind alle Instanzen im deutschen Wissenschaftssystem gefordert, insbesondere internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einen klaren Überblick über die Voraussetzungen und Regelungen, aber auch über die vielfältigen Möglichkeiten zu geben und so den Zugang zum System zu erleichtern. Hinzu kommt: Quereinstiege in die Wissenschaft oder Wechsel zwischen Berufsfeldern sind für die Forschung ein Gewinn und tragen wiederum zum Wissenstransfer in die Gesellschaft bei. Eine bessere Anerkennung der Leistungen auf beiden Seiten wäre hier für die Durchlässigkeit des Systems wichtig. 

Um für kluge Köpfe attraktiv zu sein, braucht es zudem transparente Karrierewege: Es muss jederzeit klar nachvollziehbar sein, welche Anforderungen in welcher Karrierephase gestellt werden, wie sie zu erreichen sind und mit welcher Unterstützung. Dazu gehören eine wertschätzende Begleitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in frühen Karrierephasen und regelmäßige Feedback- oder Mentoring-Gespräche über die nächsten sinnvollen Karriereschritte. Die Einführung und Weiterentwicklung solcher Qualitätsstandards in der Promotionsphase begleitet die DFG seit mehr als 30 Jahren erfolgreich mit dem Programm Graduiertenkollegs. Verlässliche Karrierewege sind ebenfalls zentral, um das Berufsziel "Wissenschaft" attraktiv zu halten und klare Perspektiven für das Erreichen der eigenen Ziele zu schaffen. 

Verlässlich heißt auch, dass die Flexibilität besteht, zu jedem Zeitpunkt der Karriere eigene Ideen zu entwickeln und selbstständig Fragestellungen an dem Ort zu erforschen, der das jeweils beste Forschungsumfeld bietet. Die Unterstützung von Mobilität und früher wissenschaftlicher Selbstständigkeit spiegelt sich in den DFG-Programmen zur Personenförderung wider. In den „Prinzipien wirksamer Karriereunterstützung in der Wissenschaft“ hat die DFG formuliert, was förderliche Umstände ausmacht: Planbarkeit, adäquate Entlohnung und Ausstattung, Chancengleichheit sowie Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Fazit: Die Wissenschaft sollte ihre Stärken selbstbewusst kommunizieren: Arbeiten in der Wissenschaft macht Spaß, ist selbstbestimmt und von Offenheit, Neugier, Kooperation und Internationalität geprägt. Zugleich sollten alle Beteiligten bei der Gestaltung attraktiver Arbeitsbedingungen offene Fragen klar benennen und unermüdlich nach neuen Lösungen suchen. Genau diese Ansätze sind es, die auch Forschung ausmachen. Die DFG wird hierzu weiterhin ihren Beitrag leisten.

Meyer: Förderanträge nur für besondere Projekte 

Hauptziel einer wissenschaftlichen Karriere ist es in der Regel, wissenschaftlich zu arbeiten. Ich bin Mathematiker geworden, weil mir Mathematik einfach Spaß macht. Die Arbeitsbedingungen waren mir weniger wichtig, allerdings auch deshalb, weil sie nie so schlecht waren, dass es mich gestört hätte. Allerdings fühlen sich immer mehr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch ihre Arbeitsbedingungen belastet. Besonders schlimm sind hier Zukunftsängste wegen kurz laufender Arbeitsverträge und geringer Aussicht auf eine Dauerstelle, ein hoher Druck, ständig Ergebnisse zu produzieren, und mangelnder Freiraum für die eigene Forschung.

Ein Mann mit Brille und blauem Polo-Shirt lächelt in die Kamera.
Ralf Meyer ist Professor für Mathematik an der Universität Göttingen und Präsident des Allgemeinen Fakultätentags. privat

Die Diskussion konzentriert sich zur Zeit auf die befristete Beschäftigung: Mehr Dauerstellen müssen her! Dauerstellen für Daueraufgaben! Mich persönlich hätte eine solche Dauerstelle zu Beginn meiner Karriere aber kaum gereizt. Ich wollte ja Mathematiker werden und nicht Studienberater oder Projektmanager. Angesichts knapper Kassen erwarte ich, dass neue wissenschaftliche Dauerstellen mit so vielen Daueraufgaben verbunden sein werden, dass sie kaum Zeit für eigene Forschung lassen. 

Für mich als jungen Wissenschaftler wäre der Hauptvorteil solcher Stellen gewesen, dass jemand anders diese Daueraufgaben kompetent erledigt und sie nicht mehr bei mir landen können. Stellen für die Frühphase einer wissenschaftlichen Karriere sollten genug Zeit für eigene Forschung lassen. Es ist noch unklar, ob es in naher Zukunft mehr Dauerstellen geben wird, die dieses Kriterium erfüllen und die somit die befristeten Stellen in der Postdoc-Phase ersetzen können.

Eine Hauptursache für befristete Beschäftigung an den Hochschulen liegt in der Struktur ihrer Finanzierung. Denn anders als Privatunternehmen setzen Hochschulen befristet verfügbare Gelder nicht für unbefristete Stellen ein. Es gibt immer mehr projektbezogene, befristete Mittel, während der Anteil der verlässlichen Grundfinanzierung sinkt. Die Grundfinanzierung erfolgt bisher ausschließlich durch die Bundesländer, während der Bund und andere Geldgeber nur befristete Projekte finanzieren. Eine vom DHV beauftragte Studie "Entwicklung der Finanzierung von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen seit 1995" des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie vom März 2018 schätzt, dass der Anteil der Bundesländer an der Finanzierung der Hochschulen von 77 Prozent im Jahr 1995 auf nur noch 52 Prozent im Jahr 2015 gesunken ist. Dieser Trend hält weiter an. Der Anteil der Projektmittel ist sogar noch stärker gewachsen, weil die Bundesländer mehr Mittel für befristete Projekte vergeben, zum Beispiel als Kofinanzierung für Projekte des Bundes. 

Die zunehmend projektbezogene Finanzierung fördert nicht nur die befristete Beschäftigung, sondern hat auch andere negative Auswirkungen auf die Wissenschaft. Wenn ein erheblicher Teil der Forschung durch Drittmittelprojekte finanziert wird, so werden auch durchschnittliche Projekte am Ende so finanziert. Das Schreiben der Anträge wird zu einer unangenehmen Pflicht, weil man es ständig machen muss, um die Mitarbeitenden in seiner Arbeitsgruppe weiter finanzieren und um seine alltägliche Forschungsarbeit weiter betreiben zu können. Man ist regelmäßigen Bewertungen der eigenen Arbeit nach dem Schema "hopp oder top" ausgesetzt. Förderquoten von zehn bis 30 Prozent bedeuten, dass man zwei- bis neunmal so oft scheitert, wie man Erfolg hat. 

Wer zu Selbstzweifeln neigt, wird in einem solchen System nicht lange mitmachen. Ich sehe hierin eine wichtige Ursache für die geringe Diversität in der Wissenschaft. Idealerweise wäre Projektförderung etwas für die Spitzenwissenschaft. Dann stellt man Förderanträge nur für besondere Projekte, nicht für die alltägliche Forschung. Dann macht es Spaß, sie zu schreiben oder zu begutachten. Die Wissenschaft würde als Arbeitgeber deutlich attraktiver, insbesondere für Frauen und Angehörige diskriminierter Gruppen, wenn der Anteil der Grundfinanzierung gegenüber der Projektfinanzierung wieder deutlich erhöht würde. Als Nebeneffekt würde dabei auch der Anteil der befristeten Stellen zurückgehen.