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Nahost-Konflikt
Boykott israelischer Wissenschaft

Zahlreiche europäische Hochschulen wollen Forschungsstätten in Israel ausschließen. Die deutsche Wissenschaftscommunity reagiert ablehnend.

Von Katharina Finke 03.07.2024

Ein zunehmender Anteil der akademischen Community in Europa wendet sich von Israel ab. Laufende Projekte werden nicht weitergeführt, Förderanträge doch nicht eingereicht oder Einladungen zu Veranstaltungen zurückgezogen. Einzelne Forschende wollen auch nicht mehr gemeinsam mit israelischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern arbeiten.

Kooperations-Boykott weitet sich aus 

Den Anfang machte bereits im Mai die spanische Rektorenkonferenz, indem sie in einer Bekanntmachung die Kooperationsvereinbarungen mit Israel in Frage stellte. Die Universität von Granada kündigte an, die Austauschprogramme mit Israel zu stoppen und fünf "Horizon Europe"-Projekte mit Israel zurückzunehmen. Die Universität von Valencia will nicht mehr mit israelischen Wissenschaftsinstitutionen kooperieren, solange in dem Land "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" passieren und fordert die Europäische Kommission auf, Israels Forschung nicht weiter finanziell zu unterstützen. 

Neben Spanien hat auch Italien angekündigt, den Wissenschaftsaustausch mit Israel zu beschränken. Aus Sicherheitsbedenken wollen sie keine Erasmusprogramme mit Israel mehr anbieten. Die Universität von Turin schränkt einige Kollaborationen mit israelischer Wissenschaft ein, aber nicht alle. 

Auch verschiedene Hochschulen in Norwegen, Irland und Slowenien haben angekündigt, Maßnahmen zu unternehmen, um die Verbindung zu Israel zu limitieren, aber sprechen sich nicht für vollkommenen Boykott aus. Genau wie die Niederlande, wo das "Institut für Angewandte Wissenschaften" in Amsterdam keine bilateralen Finanzierungshilfen von israelischen Einrichtungen oder der Regierung mehr annehmen möchte und Forschungsreisen nach Israel untersagt. Die israelischen Zeitungen "Haaretz" und "Bloomberg" haben zahlreiche Fälle von israelischen Forschenden zusammengetragen, die unter den Maßnahmen, die dem Boykott der israelischen Wissenschaft dienen, leiden. 

Anfrage an EU-Kommission: ethische Standards Israels prüfen 

Nachdem der Internationale Gerichtshof (IGH) Ende Mai den Stopp der israelischen Offensive in Rafah im Süden des Gaza-Streifens gefordert hatte, boykottiert inzwischen auch Belgien die israelische Wissenschaft: Die Universität Gent hat entschieden, alle Kollaborationen mit israelischen Wissenschaftseinrichtungen und Hochschulen zu stoppen. Die Universität Antwerpen legt alle Vereinbarungen mit israelischen Institutionen auf Eis, bis geklärt ist, ob israelische Forschungspartner zu Menschenrechtsverletzungen beitragen – das berichtet Science Business

Außerdem stellte der "Verbund der flämischen Universitäten" (VLIR) eine Anfrage an die EU-Kommission um zu klären, ob die ethischen Standards der EU von Israel noch erfüllt werden. VLIR nimmt dabei Bezug auf die Formulierungen der "Horizon Europe"- Vereinbarungen. Laut denen Projektpartner "sich verpflichten, grundlegende EU-Werte (wie die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Minderheiten) einzuhalten." 

Die EU denkt derzeit nicht darüber nach, israelische Forschungseinrichtungen von "Horizon Europe" auszuschließen, teilte eine Kommissionssprecherin Table.Media vergangene Woche mit. Der EU-Außenbeauftrage Josep Borrell hat angekündigt, eine Sitzung des EU-Israel-Assoziationsrates einzuberufen, um sich über relevante Fragen hinsichtlich der bilateralen Beziehungen auszutauschen. Darunter fällt auch die Assoziierung Israels mit "Horizon Europe". Israel ist seit 1996 Projektpartner der EU-Forschungsförderungsprogramme. Der Kommission sei es nämlich wichtig, die strikte Einhaltung des Völkerrechts und ethischer Standards zu gewährleisten. 

Genau weil dieses Völkerrecht verletzt und in Gefahr sei, rufen bereits seit November vergangenen Jahres über 400 Philosophieprofessorinnen und Philosophieprofessoren aus Europa sowie Nord- und Südamerika in einem offenen Brief dazu auf, kulturelle und akademische Institutionen Israels zu boykottieren. Da die Professorin Nancy Fraser den Aufruf unterschrieben hatte, sah sich die Universität zu Köln daraufhin gezwungen, Frasers diesjährige Albert-Magnus-Gastprofessur wieder abzusagen – Forschung & Lehre berichtete.

Informationen zum aktuellen Nahost-Konflikt 

Am 7. Oktober 2023 überfielen Terrorkommandos der islamistischen Hamas Israel, verübten Massaker an der Zivilbevölkerung und entführten mehr als 240 Menschen. Israel reagierte mit einem Militäreinsatz in dem von der Hamas kontrollierten Gazastreifen.

Der Internationale Gerichtshof (IGH) erklärt sich Ende Januar 2024 für die Klage Südafrikas und deren Vorwurf, Israel begehe im Gazastreifen einen "Völkermord", für zuständig. Das Gericht fordert in einer einstweiligen Anordnung Israel dazu auf, mehr für den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung zu tun und alle Handlungen im Kampfgebiet zu unterlassen, die einen Verstoß gegen die Völkermord-Konvention bedeuten könnten. Einen von Südafrika geforderten sofortigen Stopp des Militäreinsatzes ordnet das Gericht nicht an. Ende Mai hat der IGH Israel aufgefordert, seine militärische Offensive in der Stadt Rafah im Gazastreifen aufgrund der "katastrophalen" humanitären Lage sofort zu beenden.

Quellen: Bundeszentrale für politische Bildung/United Nations

Deutsche Wissenschaftscommunity lehnt Boykottaufrufe ab 

Zahlreiche Institution in der deutschen Wissenschaftscommunity sprechen sich gegen die Boykottaufrufe der israelischen Wissenschaftseinrichtungen aus. Allen voran: Die Hochschuldirektorenkonferenz (HRK) spricht sich in einem offenen Brief Ende Mai klar gegen "jede Form des Boykotts gegen israelische Wissenschaftler und israelische Einrichtungen" aus. Weiter heißt es in dem Brief: "Die schleichende, oft subtile Ausgrenzung israelischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler widerspricht den Grundprinzipien der akademischen Zusammenarbeit und der akademischen Freiheit". Der HRK-Präsident Professor Walter Rosenthal fordert alle Forschenden in Deutschland dazu auf, die Zusammenarbeit mit Forschenden in Israel fortzusetzen. 

"Die schleichende, oft subtile Ausgrenzung israelischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler widerspricht den Grundprinzipien der akademischen Freiheit."
HRK-Präsident Professor Walter Rosenthal

Vor einer Woche schloss sich die "Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen" dem an, indem sie den Appell des Rats der Israelischen Akademie der Wissenschaften vom 20. Mai 2024 an die internationale Wissenschaftsgemeinschaft unterstützt und Forderungen nach einem Boykott israelischer Forschender und israelischer Wissenschaftseinrichtungen entschieden entgegentritt. "Wir halten es für diskriminierend und verfehlt, Forschungskooperationen mit israelischen Wissenschaftseinrichtungen zu beenden, israelische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von internationalen Konferenzen und Auszeichnungen auszuschließen oder Förderanträge von Forschenden abzulehnen, die an israelischen Einrichtungen arbeiten", heißt es in der Erklärung der "Allianz der Wissenschaftsorganisationen". Solche Maßnahmen seien kontraproduktiv, weil die israelischen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen in Zeiten intensiver Diskussionen innerhalb Israels über den Friedensprozess im Nahen Osten als Räume für einen freien und offenen Diskurs gestärkt werden sollten. Deswegen würden der wissenschaftliche Austausch und die Zusammenarbeit mit israelischen Wissenschaftseinrichtungen weiterhin von der "Allianz der Wissenschaftsorganisationen" gefördert. "Nur im Dialog und im Rahmen einer offenen und internationalen Wissenschaftsgemeinschaft können wir die drängenden Probleme unserer Zeit gemeinsam angehen", heißt es in ihrer Erklärung. 

"Nur im Dialog und im Rahmen einer offenen und internationalen Wissenschaftsgemeinschaft können wir die drängenden Probleme unserer Zeit gemeinsam angehen."
Aus der Erklärung der "Allianz der Wissenschaftsorganisationen" 

"Austausch ist gerade in diesen schweren Zeiten wichtig" 

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat sich nur wenige Tage nach Erscheinen der Erklärung der "Allianz der Wissenschaftsorganisationen" mit einer eigenen Erklärung angeschlossen. Jakob von Weizsäcker, KMK-Präsidiumsmitglied und saarländischer Minister für Finanzen und Wissenschaft, sagte darin: "Wir positionieren uns entschieden gegen Boykottaktionen gegen Wissenschaft und Forschung in Israel. Die israelischen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen sind für uns hoch geschätzte Partner und gleichzeitig wichtige Stützen einer offenen Gesellschaft in Israel." 

"Wir positionieren uns entschieden gegen Boykottaktionen gegen Wissenschaft und Forschung in Israel."
Aus der KMK-Erklärung

Die Erklärung konstatiert, dass Wissenschaft und Forschung von internationalem Austausch und Kooperation leben. "Ein Boykott israelischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und israelischer wissenschaftlicher Einrichtungen würde nicht nur den wissenschaftlichen Fortschritt behindern, sondern insbesondere auch den Grundsätzen der Wissenschaftsfreiheit widersprechen", heißt es. Die KMK setzte sich nachdrücklich für eine integrative Wissenschaftsgemeinschaft ein, in der Forschende unabhängig von ihrer Herkunft und Religion konstruktiv zusammenarbeiten können. 

Aber nicht nur viele Stimmen aus der deutschen Wissenschaftscommunity, sondern auch Forschende weltweit sprechen sich gegen den Boykott der israelischen Wissenschaft aus. Über 8.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt haben innerhalb von zehn Tagen einen offenen Brief unterschrieben, um gegen den "alarmierenden Trend zum Ausschluss israelischer Gelehrter aus internationalen akademischen Diskursen" zu protestieren. 

Unterzeichnet wurde er von Hochschulen in den USA, zahlreichen Ländern rund um den Globus und auch Deutschland. Interessanterweise besonders von Universitäten, an denen die antiisraelischen Proteste von Studierenden zuletzt besonders laut waren. Initiiert hatten ihn die beiden Historiker Daniel Siemens von der Universität Newcastle und Helmut Walser Smith von der Vanderbilt University in Nashville sowie die Philosophie-Doktorandin Anne Rethmann von der Freien Universität (FU) Berlin. Sie formulieren klar: "Wir glauben daran, dass internationaler Austausch gerade in schwierigen Zeiten wie diesen unerlässlich ist, um eine offene und globale akademische Gemeinschaft zu erhalten".

Lehrende gegen Antisemitismus

In einem offenen Protestbrief wenden sich rund 70 Professorinnen und Professoren als Erstzeichnende gegen jede Form des Antisemitismus an Hochschulen und im Rahmen von wissenschaftlichen Kooperationen. Sie fordern Sicherheit und Schutz für jüdische Studierende und Hochschulangehörige ein. Darüber hinaus verurteilen sie "antisemitische Ausgrenzung, das Verwenden von Terror-Symbolen, die Infragestellung des Existenzrechts Israels, jegliche Form von Gewalt und Verwüstungen in Universitätsgebäuden aufs Schärfste". Inzwischen haben über 500 weitere Unterstützende (Stand 3.7.) unterzeichnet.  

 

Dieser Artikel wurde am 3.7. um 10:45 Uhr aktualisiert (Ergänzung Infobox offener Brief durch die Redaktion) und am 18.6. erstmals veröffentlicht.