Positive Psychologie in der Kritik

Schluss mit lustig!

06:59 Minuten
Ein junge Frau steht auf einem Weg im Wald und lacht mit geschlossenen Augen.
Glück und Zufriedenheit sind für alle Menschen aktiv herstellbar: So lautet das Credo der Positiven Psychologie. (Symbolfoto) © Unsplash / Jamie Brown
Von Pia Masurczak · 04.02.2021
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Was macht Menschen zufriedener und glücklich? Auf diese Frage konzentriert sich in den letzten Jahrzehnten die Positive Psychologie und setzt dabei auf eine optimistische Grundhaltung. Es gibt aber auch wissenschaftliche Einwände gegen diesen Ansatz.
"Wie einige von euch ja sicher wissen, habe ich eine Doktorarbeit im Bereich der Positiven Psychologie geschrieben. Und diese Erkenntnisse möchte ich gerne mit euch teilen, weil sie mich sehr positiv und zuversichtlich stimmen und sie zeigen, dass glücklich sein möglich ist – und gar nicht mal so schwer."
Dieses Versprechen gibt die "Glücksdetektivin" Katharina Tempel ihren mehr als 200.000 Abonnentinnen und Abonnenten auf YouTube und ist damit nicht allein. Das Angebot für Coaching und Persönlichkeitsentwicklung auf dem deutschen Markt ist mittlerweile unüberschaubar. Die Coaches stellen ihren Klientinnen und Klienten das "beste und schönste Leben" in Aussicht oder eine "optimierte Work-Life-Balance"

Gegenmodell zur klinischen Psychologie

Grundlage für viele der beworbenen Trainings ist die Positive Psychologie. Von den 1990er-Jahren an entstand diese Denkschule in den USA und ist eng mit dem Namen Martin Seligman verknüpft.
Die Anhängerinnen und Anhänger wollten, wie es im ersten Handbuch für Positive Psychologie von 2002 heißt, nicht weniger als "eine Unabhängigkeitserklärung von dem pathologischen Modell" der traditionellen klinischen Psychologie.
Der Politikwissenschaftler Georg Steinmeyer fasst die Idee dahinter so zusammen:
"Die Positive Psychologie beschreibt sich selbst als Wissenschaft vom gelingenden Leben. Und in gewisser Weise könnte man sagen, es ist das Gegenteil der klassischen Psychologie. Die klassische Psychologie geht ja davon aus, dass der emotionale Zustand des Menschen eben durch äußere Bedingungen auch mitbedingt ist, während die Positive Psychologie davon ausgeht, dass das nur eine marginale Rolle spielt."

Optimistische Grundeinstellung als Schlüssel

Mehr Glück und Zufriedenheit sind für alle Menschen aktiv herstellbar und eine optimistische Grundeinstellung verhilft zu Erfolg. Was also – fragt die Deutsche Gesellschaft für Positive Psychologie – ermöglicht es uns als Menschen, unser volles Potenzial zu entfalten?
Antwort: Es ist komplizierter, als die einfachen Grundannahmen versprechen. Das zeigen zum Beispiel die Studien von Gabriele Oettingen von der Universität Hamburg.
"Was wir aus unserer Forschung wissen, ist, dass positive Zukunftsgedanken und Träume durchaus hilfreich sein können", sagt sie. "Wenn man sich die Stimmung verbessern will und wenn man auch Möglichkeiten aus der Zukunft explorieren will mental. Aber wenn es darum geht, diese Möglichkeiten umzusetzen, dann ist reines positives Zukunftsdenken ein Problem."

Wunsch und Wirklichkeit abgleichen

Die Professorin für Motivationspsychologie rät deshalb, sich immer auch Hindernisse vorzustellen, die sich einem in den Weg stellen können. Diese mentale Kontrastierung, also den Abgleich von Wunsch und Wirklichkeit, will Oettingen auch mit der von ihr entwickelten App "Woop" etablieren.
Der Boom des positiven Denkens zieht allerdings auch Kritik auf sich: Nicht nur seien die angewendeten Methoden oft unsauber. Zudem vereinfachten die zugrunde liegenden Konzepte von Optimismus und Pessimismus das komplexe Zusammenspiel zwischen der menschlichen Persönlichkeit und ihrem sozialen Umfeld.
Gut beobachten lässt sich diese Kritik am sogenannten "Dankbarkeitsjournal", das unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Positive Psychologie und auch Glücksdetektivin Katharina Tempel empfehlen.
"Ein ganz konkreter Tipp ist der positive Tagesrückblick, bei dem du dir jeden Abend drei Dinge aufschreibst, die an dem jeweiligen Tag gut waren", sagt sie. "Dazu notierst du dir auch noch, wie du dazu beigetragen hast, dass du diesen schönen Moment erleben konntest. Diese Übung hilft dir mit der Zeit, deinen Fokus mehr auf das Positive zu richten."

Methodische Mängel entdeckt

Erste Studien hatten scheinbar noch belegt, dass so ein "Dankbarkeitsjournal" einen großen Einfluss haben kann – sogar bei der Behandlung von Depressionen. Bei genauerer Betrachtung lösten sich diese Effekte jedoch in Luft auf.
Rechneten die Forscherinnen und Forscher methodisch mangelhafte Untersuchungen heraus, blieben kleine Versuchsgruppen mit nur minimalen Verbesserungen übrig.
Positive Auswirkungen auf an Depressionen erkrankte Menschen konnten überhaupt nicht mehr festgestellt werden. Eine 2017 veröffentlichte Studie zeigt sogar: Zu oft angewendet, kann das "Dankbarkeitsjournal" zu mehr Unzufriedenheit führen.
Dabei sei es zunächst einmal nicht falsch, sich für die positiven Dinge dankbar zu zeigen, sagt auch Georg Steinmeyer.
"Wir leben ja auch in einer Überflussgesellschaft, in der wir verlernt haben, uns auch an kleineren Dingen zu freuen", sagt er. "Aber das kann dann natürlich letztlich dazu führen, dass zum Beispiel soziale Ungleichheiten in gewisser Weise beschönigt werden, weil man dann sagt: Ja, auch der Hartz-IV-Empfänger oder der Obdachlose, die haben ja auch Grund, dankbar zu sein. Das ist dann immer schwer zu sagen, bis wo ist das ein sinnvolles Konzept? Und ab wo wird es ideologisch und auch instrumentalisierbar? Um zum Beispiel die soziale Frage nicht mehr zu stellen."
Aus der klassischen Psychologie, aber vor allem aus den Sozialwissenschaften wird die Kritik an allzu leichtfertigen Versprechungen der Positiven Psychologie immer lauter. Das Ziel sei nicht, psychische Leiden zu behandeln, sondern menschliche Ressourcen besser für die Wirtschaft zu erschließen, heißt es beispielsweise in "Das Glücksdiktat" von Eva Illouz und Edgar Cabanas.

Leistung und Effizienz die eigentlichen Ziele?

Dem stimmt auch Georg Steinmeyer zu: "Viele positive Psychologen betonen eben auch immer wieder, dass diese positiven Emotionen eben auch leistungsfähiger machen, effizienter machen. Das heißt also es geht auch ganz klar darum, dass Menschen, die dann sozusagen in Anführungszeichen glücklich sind, dann auch für ökonomisch sozusagen besser verwertbar sind."
Hier widerspricht Gabriele Oettingen: Ökonomische Interessen können letztlich bei allen psychologischen Behandlungen eine Rolle spielen.
"Ich kann ein ähnliches Argument machen, auch für die Milderung von Krankheit", sagt sie. "Ich kann auch mit der Milderung von Krankheit Produktivität steigern. Also das muss man mal sehen, ob da das Stärken des Positiven oder die Abhilfe des Negativen in dieser Beziehung einen großen Unterschied macht."
Wie differenziert die Coaching-Szene tatsächlich mit den Erkenntnissen der Positiven Psychologie umgeht, hängt von den einzelnen Angeboten ab. Die Nachfrage nach deren Versprechen nach Sinn, Glück und Erfolg ist allerdings noch immer ungebrochen.
"Wir leben ja in einer Gesellschaft, wo eben soziale Sicherheit oder überhaupt Sicherheiten immer mehr wegbrechen. Da ist dann natürlich dieses Versprechen verlockend, dass man aus sich selbst heraus, ohne auf die Solidarität von anderen angewiesen zu sein, sein Leben managen kann", sagt Georg Steinmeyer.
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