Im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr zeigt sich ein Rückgang der Anzahl europäischer Exits um 46,4 Prozent, laut Pitchbook. Doch jetzt könnte sich das ändern.
Im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr zeigt sich ein Rückgang der Anzahl europäischer Exits um 46,4 Prozent, laut Pitchbook. Doch jetzt könnte sich das ändern.
Getty Images / beast01, Collage: Gründerszene

Bereits im vergangenen Jahr gab es wenig Exits in Europa. Als Hauptgrund galt stets das gestiegene Zinsniveau. „Mit steigenden Zinsen werden die Kosten für Kredite und Finanzierungen höher“, erklärte Kai Hesselmann, Co-Gründer und Managing Partner bei Deal Circle, bereits Ende 2023. Für Investoren, die eine Akquisitionsfinanzierung für den Erwerb eines Unternehmens aufstellen möchten, bedeute dies höhere Kosten und somit geringere Margen. „Dies kann dazu führen, dass potenzielle Käufer vorsichtiger werden und niedrigere Bewertungen ansetzen, um das Risiko zu minimieren.“ Hinzu kämen wirtschaftliche Unsicherheit und die Abkühlung der Exit-Bewertungen. Manch ein Gründer versucht da eben, den Exit, wenn er denn noch nicht sein muss, unbedingt hinaus zu zögern. Bis die Zeiten wieder besser sind.

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In Zahlen: Exits 2024 in Europa

Ist es jetzt so weit? Aktuelle Zahlen von Pitchbook sehen noch nicht so aus: Das Bild im ersten Quartal hat sich im Vergleich zum letzten Quartal 2023 kaum verändert: Es gab in ganz Europa wenige Exits – und wenn, dann Verkäufe, keine IPOs. Im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr zeigt sich ein Rückgang der Anzahl europäischer Exits um 46,4 Prozent. Und wenn man sich einen noch längeren Zeitraum anschaut, sind die Zahlen noch ernüchternder:

Nach einem abnormen Peak im Jahr 2021, als fast 75 Milliarden Euro für Startups gezahlt wurden, ist das Volumen der Exits in Europa im ganzen Jahr 2023 nicht über vier Milliarden gestiegen. Im ersten Quartal 2024 gingen laut Pitchbook nur knapp zwei Milliarden über den Tisch. Und auch die Anzahl der Exits war gering: 178 Exits im ersten Quartal 2024.

Laut Pitchbook gibt es aber auch Faktoren, die im Verlauf von 2024 zu einer Besserung auf dem Exit-Markt beitragen könnten, wie etwa schnellere und tiefere Zinssenkungen. Und vielleicht sehen wir bereits erste Effekte: In den vergangenen Wochen erreichten uns in der Reaktion von Gründerszene auffallend viele Meldungen zu Firmenübernahmen und Zusammenschlüssen.

Das waren fünf nennenswerte Exits der vergangenen vier Wochen:

Layzr

Anfang Juni 2024 wurde bekannt, dass das soziale Netzwerk Jodel das Avatar-Startup Layzr übernommen hat. Kaufsumme unbekannt. Layzr hat eine Technologie entwickelt, mit der Nutzer ihr eigenes digitales Abbild erstellen können. Sie wird, erklärten die Gründer im Gespräch mit Gründerszene, vollständig in der Jodel-App aufgehen, die Marke Layzr wird verschwinden. Für das anonyme Netzwerk ergibt sich mit der Übernahme eine Möglichkeit, das eigene Angebot weiter zu monetarisieren. Geld verdient Jodel bereits über Werbe-Anzeigen, Abonnements und In-App-Käufe – und bald auch mit individuellen Avataren. Die Gründer gehen davon aus, dass Jodel zunächst in verschiedenen Märkten testen wird, welche Features gut ankommen und darauf basierend ein Fremium- und Premium-Modell für die Avatar-Funktion entwickeln wird. 

Von dem Deal profitieren auch die Investoren, vor allem einer: Atlantic Labs. Der Fonds ist nämlich sowohl an Jodel als auch an Layzr beteiligt. Seine letzte Finanzierungsrunde in Höhe eines mittleren sechsstelligen Betrags schloss das Avatar-Startup Anfang 2022 mit Atlantic Labs als Leadinvestor sowie dem auf E-Sports spezialisierten Inkubator Evolve ab.

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Apryl (früher Ovavio) 

Ende Juni 2024 verkündete Gründerin Jenny Saft auf der Karriereplattform LinkedIn, ihr Startup Apryl an ein News Yorker Fruchtbarkeits-Unternehmen namens Progyny verkauft zu haben. Ein „besonderer Tag“, wie sie schreibt, an dem sie „sehr happy“ sei. „Mit dieser Übernahme wird Apryl seine Kernwerte und das bestehende Team weiterführen, jedoch mit einer deutlich größeren Reichweite und Wirkung“, schreibt die Gründerin.

2019 haben Jenny Saft und Tobias Kaufhold in Berlin ihr Fruchtbarkeits-Startup gegründet, damals noch unter dem Namen Ovario. Sie wollten Frauen zum Thema „social freezing“, also dem Einfrieren von Eizellen für eine spätere Schwangerschaft, beraten. Mit ihrem Angebot richteten sie sich an interessierte Endkundinnen, ein klassisches B2C-Geschäft. 2021 dann der Pivot: das Startup orientierte sich um in Richtung B2B und änderte auch seinen Namen in Apryl. Fortan stellten Saft und Kaufhold Unternehmen für deren Mitarbeiterbenefit-Programme eine Plattform zur Verfügung, über die es Mitarbeitende berät – sowohl zum Einfrieden von Eizellen und Spermien, als auch generell zum Thema Kinderwunsch.

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Lykon

Mitte Juni gab das Bluttest-Startup Lykon bekannt, vom schwedischen Health-Tech unternehmen Lifesum, Anbieter einer Ernährungs-App, übernommen worden zu sein. Lykon bietet Blut- beziehungsweise Biomarkertests für zu Hause an. Mit seiner Gründung im Jahr 2018 ist das Startup eines der ersten in diesem Feld. Das scheint womöglich auch vor dem Hintergrund der Longevity-Bewegung in Schwung zu kommen; auch Gorillas-Gründer Kagan Sümer arbeitet an einem Unternehmen aus dem Bereich Personal Health. Durch den Zusammenschluss will Lykon nun mehr Kundinnen und Kunden erreichen können, Lifesum erweitert mithilfe der Akquisition das Produktangebot. Zur Kaufsumme wurde nichts öffentlich.

Lykon hat bereits eine längere Exit-Geschichte: Gründer Tobias Teuber hatte 2015 ein Health-Startup namens Vimeda gegründet und überraschend schnell an ein amerikanisches Bluttest-Unternehmen verkauft. Als sich das Amerika-Geschäft dann aber nicht wie erhofft entwickelte, kaufte Teuber sein Unternehmen zurück und startetet 2018 unter dem Namen Lykon neu.

PINK!

Mitte Juni 2024 hat das isländische Gesundheitsunternehmen Sidekick Health, zu dem heute auch das frühere DHDL-Startup Aidhere gehört, das Brustkrebs-Startup Pink! übernommen. Sonst ändere sich erstmal nichts, war es Gründerin Pia Wülfing im Gespräch mit Gründerszene wichtig zu betonen. Sie bleibe Chefin und führe ihr Unternehmen eigenständig weiter – nur eben mit mehr Power im Rücken. Denn genau die habe ihr gefehlt, um ihr Startup auf die nächste Stufe zu heben.

Die Gynäkologin und Gründerin Wülfing hat Pink! 2020 gegründet. Nutzerinnen können sich über die Plattform zu Brustkrebs informieren, ihre Ernährung und Sport tracken und einen Chatbot zu Nebenwirkungen bei der Chemotherapie befragen. Seit November 2023 ist Pink! als dauerhafte App auf Rezept im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gelistet.

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Readly

Auch eine Form des Exits: Das ursprünglich in Schweden gegründete Startup Readly, eine Plattform, über die Leserinnen und Leser von Onlinemagazinen einen „All-you-can-read“-Zugang zu digitalen Zeitschriften und Zeitungen bekommen können, hat im Juni 2024 sein Frankreich-Geschäft verkauft: Die Mutterfirma gab ihre gesamte Beteiligung an Toutabo/ePresse (vormals Readly France) an die Cafeyn Group an. Der Kaufpreis belief sich nach Unternehmensangaben auf 4,5 Millionen Euro. Abonnenten und Verlage auf der Plattform von Readly seien von dem Geschäft nicht betroffen, heißt es in einer Pressemitteilung.

Der Verkauf der französischen Tochter folgt der Strategie des Unternehmens, 2024 die Profitabilität zu erreichen. Das bestätigt Readly-CEO Philip Lindqvist: „Seit der Übernahme von Toutabo hat Readly die Richtung von schnellem Wachstum hin zur Rentabilität geändert.“ Das Geschäft in Frankreich könnte allerdings nach Einschätzung des Unternehmens in absehbarerer Zeit dieses Ziel nicht erreichen, so Lindqvist weiter, weshalb man sich zum Verkauf von Toutabo entschieden habe.