Die Bürgermeister aus Dinkelscherben, Altenmünster und Zusmarshausen
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Die Bürgermeister aus Dinkelscherben, Altenmünster und Zusmarshausen

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Flut-Wut auf den Umweltminister: "Wir wurden im Stich gelassen"

Seit 24 Jahren wird bei Dinkelscherben ein Rückhaltebecken geplant, doch gebaut wurde nie. Dabei sei Umweltminister Glauber die Dringlichkeit des Baus persönlich erläutert worden, beklagen Bürgermeister. Nun wurde die Region beispiellos überflutet.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Im September 2019 sitzen sich Dinkelscherbens Bürgermeister Edgar Kalb und Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber gegenüber. Kalb erinnert sich, wie er dem Minister von den Freien Wählern Bilder seines überfluteten Orts gezeigt hat. Zum Beispiel aus dem Jahr 2000: In Teilen von Dinkelscherben steht eine braune Brühe. Oder aus dem Jahr 2005: Überspülte Grundstücke, Wasser in den Straßen. Weiter unten auf den Blättern steht rot unterlegt und in gefetteter Schrift: "Das nächste katastrophale Hochwasser ist nur eine Frage der Zeit! Wann wird gebaut?"

Gemeint ist das Rückhaltebecken für die Zusam. Die Planung begann, als der Bundeskanzler noch Gerhard Schröder hieß und Erich Ribbeck die Nationalmannschaft trainierte. Doch auch nach 24 Jahren gibt es noch kein Rückhaltebecken. Auch deshalb konnte der Fluss Zusam die Orte Dinkelscherben, Zusmarshausen und Altenmünster so heftig wie noch nie überschwemmen.

Im Audio: Bürgermeister fühlen sich von Umweltminister Glauber im Stich gelassen

Die Bürgermeister von Dinkelscherben, Altenmünster und Zusmarshausen an dem Ort, an dem ein Rückhaltebecken für die Zusam geplant ist.
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Die Bürgermeister von Dinkelscherben, Altenmünster und Zusmarshausen an dem Ort, an dem ein Rückhaltebecken für die Zusam geplant ist.

Frust und Wut bei den Bürgern

"Manche Leute sind einfach nur noch frustriert, haben resigniert. Die würden am liebsten alles verkaufen und wegziehen", sagt Bürgermeister Kalb (Unabhängige Wählergruppe). Andere seien wütend. Zum Beispiel Sarah Nuffer. Der Betrieb der Fensterbauerin wurde von den Fluten der Zusam komplett überspült. Das Rückhaltebecken sei "definitiv keine riesige Baumaßnahme" gewesen. "Es hätte so vielen Leuten die Existenz retten können."

Auch die Bürgermeister der drei betroffenen Orte sind sich sicher, dass das Flutbecken südlich von Dinkelscherben die immensen Schäden weitgehend verhindert hätte. Seit 2013 sei das Planfeststellungsverfahren abgeschlossen, sagt Altenmünsters Bürgermeister Florian Mair (Unabhängige Wählergruppe). Seitdem bestehe im Prinzip Baurecht. Auch Klagen gegen das Becken seien abgewiesen worden.

Bayernweit beklagen Kommunen fehlenden Hochwasserschutz

Und selbst Umweltminister Glauber von den Freien Wählern hätte bei dem Treffen 2019 Unterstützung signalisiert: "Damals hieß es: 'Das wird jetzt so schnell wie möglich realisiert.' Aber es ist nichts geschehen. Keine Schaufel wurde bewegt", kritisiert Bürgermeister Kalb. "Das frustriert mich enorm. Ich bin hier der erste Ansprechpartner vor Ort. Und die Leute unterscheiden nicht zwischen Bürgermeister, Landrat oder Minister. Die bringen alle nichts zustande, heißt es dann." Dabei seien den Kommunen die Hände gebunden. Denn die Zusam sei "Gewässer zweiter Ordnung". Und für die sei qua Gesetz der Freistaat verantwortlich.

Der Fall an der Zusam ist jedoch nur ein Beispiel. Bayernweit beklagen Kommunen und Bürger nun fehlenden Hochwasserschutz und langwierige Behördenwege. Die Rodinger Bürgermeisterin Alexandra Riedl erwägt, den Freistaat auf Schadenersatz zu verklagen, nachdem eine bereits zugesagte Hochwasser-Schutzmauer am Regen zurückgestellt wurde. Der Grund: Geldmangel beim Freistaat. Obwohl die Stadt Roding schon mit hohen Geldbeträgen in Vorleistung gegangen ist, um die Maßnahme überhaupt zu ermöglichen, so Riedl.

"Wir wurden sehenden Auges weggeschwemmt"

Tatsächlich wurden wegen Engpässen im Haushalt wichtige Hochwasserschutzprojekte gestoppt, nicht nur in Roding. Straubings Oberbürgermeister Markus Pannermayr (CSU), der auch Vorsitzender des Bayerischen Städtetags ist, klagt etwa in einem Facebook-Post, dass der Hochwasserschutz an der Donau immer noch nicht realisiert ist.

Und an der Zusam machen die Bürgermeister dem Ministerium schwere Vorwürfe. "Wir wurden sehenden Auges weggeschwemmt", heißt es in einem Brandbrief an die Staatsregierung. Spätestens nach dem Gespräch mit dem Minister hätte die Brisanz "ernst genommen werden müssen". Bürger, Gewerbetreibende und Kommunen seien "im Stich gelassen" worden.

Das sagt das Wasserwirtschaftsamt zur Kritik

Vor Ort verantwortlich sind die Wasserwirtschaftsämter, die dem Umweltministerium unterstehen. Im Fall des Flutpolders nahe Dinkelscherben ist es das Amt in Donauwörth. Erst im Jahr 2018 habe man sich mit den Kommunen über die Finanzierung des Flutpolders geeinigt, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des Wasserwirtschaftsamts und des Ministeriums. Bei dem Treffen zwischen Minister und Bürgermeister 2019 sei dann vereinbart worden, dass der Bau "bei ausreichend vorhandenen Haushaltsmitteln" vorangetrieben werden solle.

Vorausgesetzt, die Grundstücke wären verfügbar gewesen. Doch trotz "vieler Verhandlungen und Zugeständnisse" konnten sie bislang nicht erworben werden, schreibt das Wasserwirtschaftsamt. Entschädigungszahlungen noch vor Abwicklung des Grunderwerbs lehnt das Amt ab: "Der sorgsame Umgang von Steuermitteln steht dabei im Vordergrund."

Bürgermeister fordert Enteignungen

Es geht um rund 90 Landwirte, denen Grund südlich von Dinkelscherben gehört. Ein paar müssten ihren Boden für den zu errichtenden Damm verkaufen. Die meisten müssten aber lediglich einer Überflutung ihres Grunds im Hochwasser-Fall zustimmen – gegen eine Entschädigung. Letztes Jahr habe man sich dann auf einen Preis geeinigt, sagen die Bürgermeister. Vermittelt hatte der jetzige Digitalminister Fabian Mehring (FW).

Doch das Wasserwirtschaftsamt stimmte dem Preisvorschlag nicht zu. "Seitdem kein Meeting, keine Information, nix ist geschehen, wieder ein Jahr vorbei ohne Ergebnis", sagt Bürgermeister Kalb. Sein Kollege aus Altenmünster, Florian Mair, fordert das Amt auf, andere Wege zu prüfen: "Wenn das Gemeinwohl so eindeutig überwiegt, wenn Menschenleben und Hab und Gut geschützt werden, dann sieht das Gesetz auch Enteignungen vor."

Amt stellt Baubeginn im nächsten Jahr in Aussicht

Das Wasserwirtschaftsamt betont, schon 2019 eine Enteignung ins Auge gefasst zu haben. Nach einem Schlichtungstermin sei das Vorhaben aber wieder auf Eis gelegt worden. Vier Grundstücke habe man im Zuge dessen für den Bau erwerben können. Vergangenes Jahr sei dann das Enteignungsverfahren wieder beantragt worden – zusammen mit einer "vorzeitigen Besitzeinweisung". Heißt: Das Wasserwirtschaftsamt kann mit dem Bau beginnen, auch wenn die Grundstücke noch nicht im Besitz des Freistaats sind. Anfang 2025 könne es voraussichtlich losgehen, schreibt das Wasserwirtschaftsamt.

Mit dem Thema Hochwasserschutz beschäftigte sich auch die Münchner Runde am 12.6.2024 um 20.15 Uhr im BR Fernsehen und bei BR24live. Mit dabei unter anderen Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber, Klimaforscher Harald Kunstmann und Stadtplanerin sowie Präsidentin der Bundesarchitektenkammer Andrea Gebhard.

Dieser Artikel ist erstmals am 12. Juni 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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