Ex-Vorstand als Spitzel enttarnt: Dräger-Chef irritiert mit Stasi-Aussagen
Dresden/Lübeck – 22 Jahre spitzelte der Dresdner Professor Albert Jugel (72) für die Stasi. Nach dem Mauerfall war er 15 Jahre ranghoher Funktionär im Deutschen Feuerwehrverband in Berlin und gehörte neun Jahre dem Vorstand der Drägerwerke in Lübeck (14 500 Mitarbeiter weltweit, 2,8 Mrd. Euro Jahresumsatz) an.
Nachdem BILD letzte Woche über die Stasi-Vergangenheit Jugels berichtete, irritiert der Chef der Drägerwerke jetzt mit einer ganz eigenen Interpretation der DDR-Geschichte. Der Konzernchef hat an der Stasi-Vergangenheit seines langjährigen Vorstandsmitglieds „nichts auszusetzen“ und macht den ehemaligen Stasi-Mitarbeiter zu einem angeblichen Helden von 1989.
Stefan Dräger (57), Vorstandsvorsitzender der Drägerwerk Verwaltungs AG, erklärt auf BILD-Anfrage: „Professor Jugel hatte ein weitreichendes Beziehungsnetzwerk in der DDR und darüber hinaus. Bereits als Bürger der DDR hat er an Veranstaltungen der Dräger-Stiftung teilgenommen. Schließlich hat er sich mit dafür eingesetzt, daß der Zug mit Flüchtlingen aus der Deutschen Botschaft in Prag den Bahnhof seiner Heimatstadt Dresden unbehelligt wieder verlassen konnte, und es nicht zu einem Blutbad kam.“
Eine völlig neue Sicht auf die Ereignisse in Dresden vor 31 Jahren, für die keine historischen Belege oder Hinweise bekannt sind.
Stefan Dräger weiter: „Dass zu seinen vielen Beziehungen auch eine Beziehung zur Staatssicherheit gehören mußte, war ein offenes Geheimnis. Um es in der DDR soweit zu bringen und soviel zu bewegen wie Professor Jugel, konnte man nicht in keiner Beziehung zum Staat stehen. Für die Arbeit für das Unternehmen Dräger war diese Beziehung nicht relevant.“
Der Konzernchef führt weiter aus: „Dräger gehörte immer schon zur systemrelevanten kritischen Infrastruktur. Professor Jugel war bei uns Geheimschutzverantwortlicher für Aufträge der Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Dafür wurde seine Integrität überprüft und auch seine Vergangenheit. Daran gab und gibt es nichts auszusetzen, denn das System der DDR hat sich überlebt, und existiert nicht mehr.“
Eine Aussage, mit der der Drägerwerk-Chef heftige Kritik von Historikern und ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern erntet. Frank Ebert (50) von der Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin, dem Archiv der DDR-Opposition: „Die Aussage ist, um es diplomatisch zu formulieren, an Naivität nicht zu überbieten. Es war die DDR Führung, die darauf bestanden hat, die Züge über Dresden fahren zu lassen. Von einem verhinderten Blutbad, wie es die Draeger AG schreibt, ist mir in der Hinsicht nichts bekannt. Die DDR Führung hatte garantiert kein Interesse daran, dass es zu einem Blutbad kam. Dazu bedurfte es wahrlich nicht eines Herrn Jugel."
Frank Ebert erklärt weiter: „Das ist die typische Ignoranz und Arroganz die seit 30 Jahren vorherrscht! Dass sich die DDR überlebt hat und nicht mehr existiert, stimmt. Deshalb 22 Jahre der Zusammenarbeit mit einem kommunistischen Geheimdienst so dermaßen zu relativieren und quasi positiv darzustellen, ist gelinde gesagt eine Frechheit und zeigt, dass die Dräger AG offenbar kein Interesse an der deutschen Geschichte hat.“
Dr. Jochen Staadt (69) vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin, sagt: „In der deutschen Industrie gehört die Weiterverwendung von ehemaligen Systemträgern einer Diktatur sozusagen zum Traditionsbestand. Einen Geheimniskrämer aus dem Personalbestand des DDR-Staatssicherheitsdienstes zum Geheimschutzverantwortlichen eines Unternehmens mit systemrelevanter kritischer Infrastruktur zu machen, das ist schon ein grotesker Treppenwitz der Industriegeschichte.“
Auch Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen und ehemaliger DDR-Bürgerrechtler, widerspricht dem Chef der Drägerwerke energisch. Jahn zu BILD: „Schade, eine verpasste Gelegenheit für ein international führendes Unternehmen der Sicherheitstechnik, sich mit der deutschen Geschichte zu beschäftigen. Denn es geht ja am Ende immer um die konkrete Verantwortung des Einzelnen für das Funktionieren der Diktatur.“
Roland Jahn betont weiter: „Für das Unternehmen mag die „Beziehung zur Stasi“ nicht relevant gewesen sein, für unsere Demokratie heute und insbesondere für die Opfer des SED-Staates ist die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit enorm wichtig.“
Dr. Hubertus Knabe (61), Historiker und langjähriger Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, sagt: zu dem Fall: „Die Blauäugigkeit und Chuzpe von Herrn Dräger macht mich sprachlos. Wenn ein sicherheitsrelevantes Unternehmen ausgerechnet einen Spitzenagenten der Stasi zum Geheimschutzbeuftragten macht, kann einem um die Sicherheit der Bundesrepublik angst und bange werden.“
Konsequenzen aus der jetzt bekannt gewordenen Stasi-Vergangenheit fordert im Gegensatz zur Firma Dräger der Verband der Feuerwehren in Nordrhein-Westfalen (VdF-NRW).
Der NRW-Verbandsvorsitzende Jan Heinisch beantragte die Aberkennung der Ehrenmitgliedschaft im Deutschen Feuerwehrverband von Professor Jugel und sagt: „Eine langjährige Tätigkeit für die Stasi und auf Presseanfrage hin keinerlei erkennbare Reue: Das ist mit den Werten von Freiheit, Demokratie, Menschenrechten und Kameradschaft, die für die Feuerwehren unverzichtbar sind, unvereinbar.“