Kommentar von Paul Ronzheimer: Die Nato ist moralisch fast bankrott

Russland bombardierte am Montag eine Kinderklinik in Kiew

Russland bombardierte am Montag eine Kinderklinik in Kiew

Foto: Efrem Lukatsky/AP

Die westliche Arroganz, Sturheit und pure Teilnahmslosigkeit nach dem brutalen russischen Angriff auf ein Kinderkrankenhaus in Kiew sind nicht zu ertragen.

In dieser Woche wird die Nato 75 Jahre alt, ab heute treffen sich die Staats- und Regierungschefs in Washington DC. Der moralische Bankrott des Militärbündnisses war wohl noch nie so nahe wie jetzt.

Als das Weiße Haus am Montag danach gefragt wurde, ob angesichts der russischen Raketen auf ein Kinderkrankenhaus die Ukraine mit westlichen Waffen jetzt alle Militärbasen in Russland angreifen dürfe, antwortete der Sprecher des Präsidenten: An der Haltung von Joe Biden habe sich nichts verändert.

▶︎ Bedeutet: Westliche Waffen dürfen weiter nur in der Nähe der russisch-ukrainischen Grenze genutzt werden. Von allen anderen Standorten kann die russische Armee so viele Raketen auf Kinder abfeuern wie sie will, ohne wirklich Gefahr zu laufen, dass die Militärbasen zerstört werden können.

Aus Deutschland gab es einen kurzen Tweet bei X von Bundeskanzler Olaf Scholz zum Angriff in Kiew: „Deutschland steht unverbrüchlich an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer. Gerade in diesen schweren Stunden.“

Mehr Floskel geht nicht.

Und bedeutet am Ende: keine neuen Waffen, kein Taurus, nichts.

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Wenn nicht einmal der Angriff auf krebskranke Kinder noch etwas verändert, wovor sollte Putin überhaupt noch zurückschrecken? Im Westen wird immer wieder vor einer Eskalation gewarnt, während Putin immer weiter eskaliert. Unsere Schwäche ist seine Stärke.

Allein die deutsche Debatte ist so fern jeder Realität, dass man es häufig kaum fassen kann.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sagte Ende Mai zum Einsatz westlicher Waffen in Russland: „Man stelle sich einfach nur vor, eine solche Waffe trifft aus Versehen eine zivile Infrastruktur (in Russland)!“

Ja, man stelle sich vor, Herr Kühnert! In der Ukraine muss man sich es nicht vorstellen, da passiert es jeden Tag.

Man sollte diese und andere Aussagen den ukrainischen Müttern zeigen, deren Kinder in Kiew bombardiert wurden. Denn es ist diese „Strategie“ westlicher Politiker, die mitverantwortlich dafür ist, dass Russland ukrainische Kinderkrankenhäuser überhaupt bombardieren kann.

Kranke Kinder mussten nach dem Bomben-Angriff auf die Kiewer Klinik evakuiert werden

Kranke Kinder mussten nach dem Bomben-Angriff auf die Kiewer Klinik evakuiert werden

Foto: Sergei Chuzavkov/SOPA Images/Shutterstock

Bis heute wird der Ukraine verwehrt, sich mit allem gegen russische Kriegsverbrechen zu verteidigen, was sie braucht. Die vermeintliche Furcht, der Westen würde Putins „rote Linien“ überschreiten oder „eskalieren“, hat zu diesem Krieg geführt – und führt bis jetzt dazu, dass Russland beinahe ungestraft Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Bevölkerung verüben darf.

Westliche Politiker üben sich unterdessen in Ablenkungsmanövern und gehen alle gemeinsam auf den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban los. Orban hat noch nie einen Hehl aus seiner Position gemacht, von daher kommt auch sein Gesprächsversuch mit Putin nicht überraschend.

Kanzler Scholz und US-Präsident Biden fordern keine neuen Konsequenzen nach dem russischen Bomben-Angriff auf die Kinderklinik in Kiew

Kanzler Scholz und US-Präsident Biden fordern keine neuen Konsequenzen nach dem russischen Bomben-Angriff auf die Kinderklinik in Kiew

Foto: Ludovic Marin/AFP/dpa

Alle Politiker, die sich über Orbans Reise nach Moskau und die Gespräche mit Putin aufregen, müssen sich eine unangenehme Frage stellen lassen: Sind Sie denn bereit, so viele Waffen zu liefern, dass die Ukraine sich nicht nur verteidigen, sondern auch Gebiete zurückerobern kann?

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, diesen Krieg zu beenden: Entweder wird Putin mit westlicher Hilfe so weit zurückgedrängt, dass die Ukraine siegt, oder aber es wird Gespräche geben, die am Ende nach den Regeln von Wladimir Putin geführt werden.

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