Weil er als Journalist seinen Job macht: Polizei zeigt Neonazi-Jäger an

Am „Flieder Volkshaus“ in Eisenach rückt die Polizei nahezu monatlich wegen Neonazi-Konzerten an

Am „Flieder Volkshaus“ in Eisenach rückt die Polizei nahezu monatlich wegen Neonazi-Konzerten an

Foto: Michael Reichel/dpa

Um Neonazis zu entlarven, nimmt Andre A. (43) sogar Morddrohungen in Kauf. Denn der Fotograf liefert regelmäßig entscheidende Beweise für die Polizei. Doch ausgerechnet diese hat ihn jetzt wegen seiner Arbeit angezeigt!

Unglaublich: Die Polizeiinspektion in Eisenach (Thüringen) ermittelt gegen den Journalisten, nachdem dieser aufgedeckt hat, dass Besucher mehrerer Rechtsrock-Konzerte verbotene Nazi-Symbole getragen haben.

Der Vorwurf laut Anzeige (liegt BILD vor): Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz. Im Klartext: Der Fotograf soll die Rechte von Neonazis verletzt haben, indem er Aufnahmen ihrer verbotenen Tattoos (u. a. Keltenkreuz, Wolfsangel, SS-Totenkopf) veröffentlicht hat.

Das unabhängige Medienportal „Recherche Nord“, das die Bilder von A. in kommentierter Form veröffentlicht, spricht von einem schweren Angriff auf das Presserecht im Auftrag einer Institution, die den demokratischen Rechtsstaat eigentlich verteidigen soll. Und nicht, wie in diesem Fall, weiter aushöhlen sollte.

Das Verfahren sei zwar an den Fotografen adressiert, richte sich aber auch gegen das Medienportal selbst. Die Journalistenorganisation „Reporter ohne Grenzen“ hält den Vorgang für „erschreckend“.

BILD hat mit dem Neonazi-Jäger gesprochen, der plötzlich selbst ins Visier gerät: „Ich fotografiere die Szene seit 20 Jahren bundesweit. Und jetzt soll ich für die Berichterstattung bestraft werden. Das ist ein bizarrer Einschüchterungsversuch.“ Mithilfe eines Anwalts hat er Akteneinsicht beantragt.

Gibt es einen Zusammenhang mit einem kritischen Bericht über die Eisenacher Polizei?

Wenige Wochen vor der Anzeige hatte der Reporter in Zusammenarbeit mit dem Medienportal öffentlich kritisiert, dass die Einsatzleitung nicht konsequent genug gegen die Konzerte im sogenannten Flieder-Volkshaus vorgehe, die Treffen nur selten auflöse und einige Straftaten nicht erfasse.

Obwohl die Immobilie offiziell als gefährlicher Ort eingestuft wird, was den Beamten Personenkontrollen ohne Anlass erlaubt. Trotzdem sei in Eisenach von einem Dutzend Konzerte 2023 nur eines aufgelöst worden.

A. zu BILD: „Beim Konzert am 7. Oktober konnte ein Drittel der Besucher das Gebäude ohne Kontrollen betreten, weil die Polizei zu spät kam. In einem anderen Fall konnte ein Besucher seine tätowierte SS-Rune am Unterarm unbemerkt von der Polizei für den Moment des Einlasses mit Klebeband verdecken und danach wieder zur Schau stellen.“

Inzwischen liegt der Fall auf dem Tisch der Staatsanwaltschaft Meiningen. Auch Thüringens Innenminister Georg Maier hat sich eingeschaltet.

Der Thüringer SPD-Chef zu BILD: „Die Beamten mussten von Amts wegen ermitteln. Dennoch bleibt ein Beigeschmack. Wir nehmen die Kritik an und prüfen, ob die Polizei hier über das Ziel hinausgeschossen ist.“ Er habe bereits viel dafür getan, dass die schlimmsten Neonazis hinter Schloss und Riegel kommen. Außerdem sei Thüringen das Bundesland, dass am erfolgreichsten gegen Neonazi-Konzerte vorgehe.

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