Am höchsten bewertete positive Rezension
5,0 von 5 SternenKleines spanisches Meisterwerk, das die große Bühne verdient hätte
Rezension aus Deutschland vom 4. März 2024
Staffel 1 von "Die rote Königin" macht eigentlich so ziemlich alles richtig, aber eine Sache gravierend falsch: Sie findet nicht im Free-TV statt. Das ist insofern schade, weil sich die Serie dort neben ein paar TV-cineastische Vorbilder stellen und zeigen könnte, wie es besser geht.
Ich bin kein Freund davon, bei Film- und Serienrezensionen den ohnehin bereits bekannten Plot noch einmal komplett aufzurollen oder in puncto Handlung zu sehr ins Detail zu gehen, daher: NO SPOILER!
Vicky Luengo spielt den Charakter der vermeintlich klügsten Frau des Planeten, Antonia Scott, mit einer Bravour, die ich eigentlich gar nicht hoch genug loben kann. Menschen mit einem überragenden Intellekt, der über "hochintelligent" hinaus ragt, neigen zu gewissen Verhaltensmustern, die hier hervorragend verkörpert werden, ohne dabei zu überzeichnen: Sei es die eigene Imaginationskraft, Soziophobie oder auch das Unvermögen zur echten Empathie. Sie schafft es, ihrem Charakter Seele einzuhauchen, ohne dass dieser Aspekt über das Drehbuch forciert werden müsste: Rückblenden finden daher auch nur sehr sparsam statt. Der Fokus liegt auf der Erzählung und die Charaktere erzählen sich quasi selbst.
Ähnlich verhält es sich mit Hovic Keuchkerian, der Jon Gutierrez spielt, den zunächst eher unfreiwilligen Partner von Antonia: Seine Art, Sanftmütigkeit im Bärenkostum zu mimen, ist wirklich mitreißend und obwohl seine Homosexualität an ein oder zwei Stellen kurz thematisiert wird, spielt er sie mit einer Herzenswärme, die so selbstverständlich scheint, dass sie selbst dem größten Homophobiker eigentlich nicht sauer aufstoßen dürfte.
Inszeniert und getragen wird die Erzählung über zwei wesentliche Elemente:
Die schauspielerische Güte und die visuelle Inszenierung. Während der darstellende Aspekt sehr(!) viel über Mikromimik arbeitet, was ich persönlich hervorragend finde, ist die Visualisierung erheblich weniger subtil: Die Imaginationsfähigkeit von Antonia Scott wird über visuelle Effekte transportiert, wie wir sie auch aus den Anfangsstaffeln von bspw. "Criminal Minds", "Sherlock" oder auch "The good Doctor" her kennen. Es bleibt nur zu hoffen, dass man hier ab Staffel 2 nicht spart, wie es bei genannten Vorbildern der Fall war und was viel vom Charme genommen hat.
Generell gestaltet sich die Erzählung sehr düster und in den meisten Abschnitten auch eher träge: Allerdings nicht im Sinne von "langweilig" sondern eher im Sinne von "bedacht". Connection zur Story erfährt man hier über den zwischenmenschlichen Bezug und weniger über Actionlastigkeit.
Was zum Glück auch nicht fehlt ist eine gute Spur trockener Humor, allerdings auch hier bedacht dosiert und ganz häufig eher subtil und aus der Situation heraus, die eben zwei gegensätzliche Charaktere so mit sich bringt.
Weitere Charaktere zu beleuchten erspare ich mir an dieser Stelle, um nicht unnötig viel zu verraten; Aber auch hier ist die Besetzung qualitativ wirklich hochkarätig und gelungen.
Die Synchronisation ist darüber hinaus erstklassig: Man hat bei keinem Charakter das Gefühl, die Synchronstimme würde nicht passen oder wäre noch in der Probezeit.
Darüber hinaus spielt "Die rote Königin" mit ein, zwei Tabuthemen, die man aber nicht schwer runterschlucken muss, da sie quasi so natürlich eingestreut werden, wie sie in der Story eben nun mal vorkommen. Zeitgleich wird wenig subtil Kritik geübt sowohl an der Zuverlässigkeit staatlicher Behörden wie der Polizei, als auch stellenweise (und das ebenfalls eher subtil) an einem gewissen alltäglichen Chauvinismus und Rassismus, ohne dabei belehrend zu werden, was ich (im Vergleich zu vielen anderen jüngeren Produktionen) extrem schätze. Gleiches gilt für Diversitätsthemen, die zwar vorkommen, aber überhaupt nicht thematisiert und zum Gegenstand der Erzählung werden. Hier macht Amazon alles richtig.
Die Umsetzung der "roten Königin" als Serie ist im Fazit also ausgesprochen gut gelungen, sehr intelligent gemacht und mir sehr viel Fingerspitzengefühl für erzählerische Details, sowohl visuell wie auch in den Dialogen. Die Serie fordert vom Zuschauer allerdings auch Konzentration ab: Meiner Meinung nach kann man die Staffel weder an einem Stück komplett durchschauen, noch Folge für Folge mit allzu großen Abständen dazwischen.
Müsste ich eine Schwäche formulieren, dann wäre es allenfalls, dass man bis zur letzten Minute eigentlich keine Ahnung hat, worauf die Erzählung letztlich wirklich hinaus will, denn anders, als bei anderen Kriminalverfilmungen bekommt man hier eigentlich so gut wie kein Indiz für ein Motiv, bei dem man mitfiebern und mitraten könnte.
Und es das ist auch gut so. Mehr wird nicht verraten ;-)