Von Re-Editionen bis zu Neuauflagen: Warum machen derzeit so viele alte Entwürfe ein Comeback?

Unsere Stilkolumne „Go viral or go home“ fragt: Warum sieht man gerade so viele ­Archivkollektionen und Re-Editionen? Die Spurensuche beginnt – zu den 3 Days of Design in Kopenhagen
Daystak Side Chair von Robin Day.
Daystak Side Chair von Robin Day.&tradition

Re-Editionen: Warum blicken so viele Möbelmarken zurück ins Archiv?

Re-Editionen von Möbelklassikern sind in der Designbranche keine Seltenheit. Das gab es schon immer. Denken Sie bloß an all die großartigen Bauhaus-Möbel, die werktreu nach dem Originalentwurf bis heute produziert werden. In letzter Zeit aber, zumindest erscheint es mir so, wird vermehrt in den Archiven gestöbert und nach Entwürfen gesucht, die es nie in die Produktion geschafft haben oder die irgendwann einmal aus dem Portfolio eines Möbelherstellers geflogen sind. Nun ist die gefühlte Wahrheit immer relativ, aber wer einen Blick auf die Neuheiten wirft, die auf den 3 Days of Design in Kopenhagen vorgestellt werden, wird mir vielleicht zustimmen.

Vor zwei Jahren brachte Gubi eine wirklich wunderbare Outdoor-Kollektion von Gabriella Crespi erstmals in Serie auf den Markt und legte jüngst mit dem 1955 entworfenen „Copacabana“-Lounger von Mathieu Matégot nach. Hay widmete sich der Neuauflage von Rietvelds Outdoormöbeln und hatte den richtigen Riecher, als das Label die Lizenzen für Bruno Reys Esszimmerstuhl erwarb. Der erfreute sich damals zwar einiger Beliebtheit auf dem Vintage-Markt, weltbekannt war er aber nicht. Dass er jetzt, brandneu, vom dänischen Möbelhersteller produziert wird, hat seinem Erfolg nicht geschadet, ganz im Gegenteil. Und Verpan, die Firma, die das gestalterische Erbe von Verner Panton verwahrt, stellt in Kopenhagen den Relaunch der „Easy Series“ vor, einer Sitzgruppe, die ursprünglich schon 1964 designt wurde.

Alte Entwürfe erleben ein Comeback – und wer war eigentlich Robin Day?

Auch &Tradition bringt Entwürfe aus den Fünfzigern zurück und zelebriert den britischen Möbelmacher Robin Day. Er und seine Frau Lucienne waren in etwa so etwas wie das britische Pendant des Eames-Ehepaares, erreichten allerdings international nicht ganz den gleichen Starstatus. Ich muss zugeben, dass mir sein Name zwar ein Begriff war, ich aber keine Entwürfe im Kopf hatte; nicht wusste, dass er die Bänke für die Londoner U-Bahn-Stationen entwarf und auch die großartigen Textilien, die Lucienne Day entwarf, nicht kannte. Für ihre Tochter Paula Day ist Robin Day bis heute der wichtigste britische Gestalter der Moderne. 1951 wurde er beauftragt, alle Sitzmöbel für die Royal Festival Hall zu entwerfen, einige werden bis heute genutzt.

Nun sollte man Re-Editionen nicht automatisch romantisieren. Auch auf sie muss man einen kritischen Blick werfen und sie auf ihre Daseinsberechtigung überprüfen. Denn auch eine Re-Edition ist ein neues Möbelstück, also nicht per se nachhaltiger. Wir erinnern uns: Das nachhaltigste Möbel ist das, das es schon gibt. Geht es also, wie so oft, ums Geld? Im Falle von Paula Day, die sich um das gestalterische Erbe ihrer beiden Eltern kümmert, kann man verneinen. Die Robin and Lucienne Day Foundation ist eine Non-Profit-Organisation. Alle Einnahmen, zum Beispiel durch den Verkauf einer Lizenz, fließen zurück in die Stiftung.

Sie habe länger nach einer Marke gesucht, die die Entwürfe ihres Vaters re-editieren wollte und gleichzeitig bereit war, ihren Vorstellungen von Nachhaltigkeit und Authentizität zu folgen. „Mein Vater wäre sehr besorgt über die Klimakrise“, sagt sie. Warum also überhaupt eine Neuauflage? Man könne Design im Museum betrachten, aber es sei etwas ganz anderes, auch wirklich auf einem Stuhl zu sitzen, ihn anfassen zu können. Erst dann, sagt Paula Day, verstehe man den Entwurf.

Robin und Lucienne Day.

Day Foundation

Dass &Tradition auch Robin Days Outdoorstuhl für die Royal Festival Hall zurückbringen konnte, war für seine Tochter Paula ein Meilenstein. Er ging nämlich nie in die Massenproduktion, auch sie kannte kein einziges noch existierendes Exemplar. Lediglich zwei Archivfotos gab es davon. Bei &Tradition dachte man deshalb schon darüber nach, wie man den Stuhl anhand der Fotos zurück zum Leben erwecken könnte. Dann tat sich ein letztes Exemplar im Southbank Centre Archive auf – dem offiziellen Archiv der britischen Regierung. Dort fand man den Stuhl, einfoliert und gut geschützt. Er wurde gescannt und kommt nun zurück auf den Markt. Er ist, wie alle Entwürfe von Robin Day, erstaunlich jung geblieben.

Jetzt könnte man insbesondere größeren Möbelherstellern vorwerfen, dass sie sich mit dem Blick ins Archiv davor drücken, mit der jüngeren Generation von Gestalter:innen zusammenzuarbeiten. Wer allerdings näher auf das Portfolio aller eingangs erwähnten Hersteller schaut, findet zwar nicht unbedingt junge, aber zumindest sehr lebendige Designer:innen.

Die Neuauflage von Robin Days Möbeln feierte &Tradition in Kopenhagen mit einem großen Abendessen. Dort saßen neben Paula Day auch fünf junge Designstudios (All the Way to Paris, Agnes Studio, Jeonghwa Seo, Savvy Studio und Studio Utte), die im Obergeschoss des Hauses fünf experimentelle Bänke für die Ausstellung „Studies of a Bench“ erdachten. Beim Abendessen saßen an drei langen Tischen alle zusammen, das Essen wurde – family style – einfach in die Mitte des Tisches gestellt. Da saßen die, die große Entwürfe von damals bewahren und die, die vielleicht für die nächsten großen Würfe verantwortlich sind.

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