„Viele Unternehmen ertrinken in neuen KI-Anwendungen“

Der Marketing Tech Monitor 2024 zeigt: KI ist das wichtigste Thema derzeit. Doch Marken haben ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht. Ein Interview mit Studien-Herausgeber Ralf Strauß.
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Der Marketing Tech Monitor wurde in diesem Jahr zum sechsten Mal veröffentlicht. (© Marketing Tech Lab)

Herr Strauß, welche neuen Erkenntnisse bietet der Marketing Tech Monitor 2024 im Vergleich zu den Vorjahren?

Eine der bedeutendsten Erkenntnisse des diesjährigen Reports ist wie zu erwarten die allgegenwärtige Präsenz von Künstlicher Intelligenz im Marketing. Während KI in den Vorjahren nur am Rande behandelt wurde, durchdringt sie nun sämtliche Ebenen. Ein weiteres altes, aber ungelöstes Thema, das sich durch die letzten Jahre zieht, ist der Fachkräftemangel und die Datenstrategie. Die Mehrheit der Unternehmen verfügt nach wie vor über keine konsolidierte Datenstrategie, also welche Daten zu erheben, wie zu aktivieren und gewinnbringend zu nutzen sind. Diese grundlegenden Aufgaben sind entscheidend, um in einer Post-Cookie Welt erfolgreich zu operieren und das volle Potenzial von KI auszuschöpfen.

Sie sagen, das Thema Datenkonsolidierung wird oft stiefmütterlich behandelt. Glauben Sie, dass dadurch viel Potenzial im Bereich KI-Marketing verloren geht?

Ja. Unternehmen sollten zwei Dinge tun: Einerseits kontinuierlich experimentieren, um nicht den Anschluss zu verlieren, und andererseits die Grundlagenarbeit nicht vernachlässigen. Leider scheitern etwa 80 bis 85 Prozent der KI-Projekte daran, dass keine klaren Ergebnisse erzielt werden. Es ist wichtig, Daten aufzuräumen und eine gemeinsame Sprache zu finden. Diese Grundlagenarbeit sollte nicht durch Experimente behindert werden, sondern parallel erfolgen. Das bedeutet aber: maximaler „Stretch“ der Organisation – das Eine zu tun, ohne das Andere zu lassen.

Welche Empfehlungen würden Sie Unternehmen geben, um diese Probleme anzugehen?

Der Marketing Tech Monitor entstand vor sechs Jahren aus Workshops im Handels- und Luftfahrtbereich. Unser Credo ist, weniger auf bunte Technikspielereien zu setzen, sondern strategisch und mit konzeptioneller, inhaltlicher Tiefe vorzugehen: Ziele definieren, Kapazitäten und Fähigkeiten identifizieren, eine Datenstrategie entwickeln und Use Cases definieren. Es geht darum, schrittweise und methodisch vorzugehen und nicht nur blind beliebigen IT-Anwendungen zu folgen. Ein schrittweises Vorgehen ermöglicht es, Projekte erfolgreich umzusetzen und gleichzeitig die Grundlagenarbeit nicht zu vernachlässigen.

Ralf Strauß, Gründer und Managing Partner des Marketing Tech Lab

Gibt es ein Playbook, das jedes Unternehmen anwenden könnte?

Ja, es beginnt mit der Verortung, wo das Unternehmen heute steht. Das basiert am besten auf der Grundlage eines Benchmarkings, um zu sehen, welche Datenstrategien, Prozesse und Anwendungen bereits existieren und wo auch im Vergleich zu anderen Unternehmen der gleichen Branche Lücken bestehen. Dann geht es darum, Handlungsfelder zu priorisieren und schrittweise auszufüllen. Es ist wichtig, stufenweise vorzugehen, um die Projekte erfolgreich umzusetzen. Etwa 10 bis 20 Prozent der Unternehmen haben bislang eine umfassende Customer-Journey-Analyse durchgeführt. Also: noch deutlich Luft nach oben.

Wie sehen Sie die Entwicklung bezüglich KI im Marketing? Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Integration von KI?

KI wird das Marketing und die Kundeninteraktion massiv verändern. Es gibt unzählige Anwendungen, und der Fokus sollte darauf liegen, klare Use Cases zu definieren. Viele Unternehmen ertrinken in den Tausenden neuen Anwendungen, die allein in diesem Jahr auf den Markt gekommen sind, und verlieren den Überblick. Die Herausforderung besteht darin, sinnvolle Filter und Kriterien zu entwickeln, um die richtigen Technologien auszuwählen und zu implementieren.

Welche Handlungsempfehlungen aus dem Marketing Tech Monitor 2024 halten Sie für besonders wichtig?

Unternehmen sollten strategisch vorgehen und die Kundenperspektive einnehmen. Es geht darum, klare Ziele zu setzen und die richtigen Fähigkeiten aufzubauen. Eine systematische „Paartherapie“ zwischen Fachbereichen und IT etwa auf Grundlage eines Enterprise Architecture Managements kann ebenfalls helfen, die Zusammenarbeit zu verbessern. Eine saubere Datenstrategie und eine klare Definition von Use Cases sind entscheidend, um gemeinsam erfolgreich zu sein. Nur etwa 15 bis 20 Prozent der Unternehmen haben gut etablierte Planungsprozesse.

Es gibt auch Lösungen auf dem Markt, die Cookies durch KI ersetzen wollen. Kann KI hier eine effektive Lösung sein?

Ja, es gibt Ansätze mit synthetischen Daten, aber die Realität wird zeigen müssen, wie effektiv diese Lösungen sind. Der Fokus sollte darauf liegen, Datenschutzregeln einzuhalten und echte Daten sinnvoll zu nutzen. Synthetische Daten könnten eine Lösung sein, aber es bleibt abzuwarten, wie effizient sie im Vergleich zu echten Daten sind. Das Fehlen einer soliden Datenstrategie könnte dazu führen, dass viele der aktuellen Marketingansätze ineffektiv bleiben, und wir dann mit synthetischen Daten die grundlegenden Herausforderungen nur temporär mit einem Hauch Puderzucker überziehen.

(amx, Jahrgang 1989) ist seit Juli 2022 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Er ist weder Native noch Immigrant, doch auf jeden Fall Digital. Der Wahlberliner mit einem Faible für Nischenthemen verfügt über ein breites Interessenspektrum, was sich bei ihm auch beruflich niederschlägt: So hat er bereits beim Playboy, in der Agentur C3 sowie beim Branchendienst Meedia gearbeitet.