Über 231 Millionen Menschen in mehr als 190 Ländern haben einen Netflix-Account – und das, obwohl man unter zahlreichen Streaminganbietern auswählen kann. Aber die Rolle des Branchenprimus spielt der US-Konzern bei Weitem nicht mehr so sicher: Amazon Prime Video, Disney Plus, aber auch Paramount Plus sind ihm dicht auf den Fersen.
Neue Kunden müssen also her. Das will die Video-on-Demand-Plattform auf mehreren Wegen erreichen: Zum einen werden günstigere Abomodelle eingeführt mit Werbeeinblendungen, andererseits soll das Passwort-Teilen durch höhere Kosten weniger attraktiv werden. Auch die weltweite Inflation macht vor dem Techunternehmen nicht halt: Für mehrere westeuropäische Länder wurden bereits Preiserhöhungen im Laufe des Jahres angekündigt.
Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AP plant Netflix nun jedoch die Abo-Kosten in Ländern wie dem Jemen, Jordanien, Libyen und dem Iran, aber auch in einigen europäischen Staaten wie Kroatien, Slowenien und Bulgarien zu senken. Mancherorts, etwa in Malaysia, ist die Änderung bereits in Kraft getreten. Insgesamt sollen laut einem Bericht des Onlinemagazins „Techcrunch“ mehr als 100 Regionen von den neuen Preisen profitieren.
Netflix: Manche Kunden können bis zu 60 Prozent sparen
Über günstigere Abos können sich nur Serien- und Filmfans aus Ländern freuen, deren Markt für Netflix bislang eine eher kleine Rolle gespielt hat. Abhängig von der Kaufkraft der Länder liegen die Ersparnisse zwischen 20 und 60 Prozent des ursprünglichen Abo-Preises. Kunden in Deutschland und den USA dürften allerdings in naher Zukunft mit keinen Rabatten rechnen. In den USA wurden etwa vier Jahre in Folge die Preise erhöht. Auch, um die extrem hohen Produktionskosten von Kassenschlagern wie „The Crown“ oder „Stranger Things“ zu finanzieren.
Der neue Co-CEO von Netflix, Greg Peters, deutete bereits im Januar während einer vierteljährlich abgehaltenen Telefonkonferenz an, dass das Unternehmen nach Wegen suche, um mehr Abonnenten in seinen kleineren Märkten zu gewinnen. „Es gibt auf der ganzen Welt eine Reihe von Menschen in Ländern, in denen wir nicht so stark vertreten sind, und wir haben mehr Möglichkeiten, sie anzusprechen“, sagte Peters.
Die Ursachen für die Kehrtwende im Kampf um neue Abonnenten sind vielseitig, wie Marc Sachon, Professor an der IESE Business School in Barcelona im Fachbereich Produktion, Technologie und operatives Management, erklärt. Er veröffentlichte bereits 2003 eine Fallstudie über den damals noch recht unbekannten Streaming-Giganten. „Netflix steht unter dem Druck, seine 26-jährige Wachstumsgeschichte fortzusetzen“, sagt er gegenüber WELT.
Streaming: Die Konkurrenz erhöht den Druck
Konkurrenten wie Amazon Prime Video, der mit seiner Expertise in Sachen Data-Analytics seinen Abonnenten noch passgenauere Empfehlung liefern kann, oder auch Disney Plus mit seinem immensen Titelangebot würden Netflix ein globales Wachstum erschweren, so Sachon. Das erkläre den Fokus auf die neuen Märkte: „Hier aber ist die Kaufkraft deutlich niedriger, was Netflix dazu bringt, Preisexperimente durchzuführen. So gab es zum Beispiel in Indien ein Netflixpaket exklusiv für Mobiltelefone für zwei Dollar pro Monat.“
Zwar ist der Streaming-Anbieter momentan noch weltweiter Marktführer, gemessen an den Abonnentenzahlen. Im Jahr 2021 verzeichnete das Unternehmen jedoch einen Rückgang der Abonnentenzahlen um 1,2 Millionen. Das führte dazu, dass erst im Januar 2023 der langjährige CEO und Mitgründer Reed Hastings von seinem Posten bei Netflix zurücktrat.
„Wenn das Umsatzwachstum, das bei Netflix stark mit der Abonnentenzahl korreliert, abflacht, besteht das Risiko, dass Konkurrenten Marktanteile abnehmen und die Aktie unter Druck gerät. Daher versucht Netflix in ‚neuen‘ Märkten zu wachsen – und in Kernmärkten Probleme wie das ‚account sharing‘ zu reduzieren“, sagt Sachon. Bisher habe Netflix es immer geschafft, die Problemfelder kreativ zu lösen.
Während manche Länder weniger zahlen, müssen andere tiefer in die Tasche greifen
Experten gehen davon aus, dass Netflix alleine durch Maßnahmen, die das Account-Teilen eindämmen, bis zu 100 Millionen Abonnenten dazu gewinnen könnte. In Kanada und Portugal wurde bereits Ernst gemacht. Gegen eine Zusatzgebühr zwischen vier und acht US-Dollar (umgerechnet zwischen 3,80 und 7,60 Euro) kann ein Zusatzkonto in einem bestehenden Account angelegt werden. Ende März soll der US-Markt folgen. Auch Nutzern in Deutschland könnte ihrem Account-Sharing bald ein Riegel vorgeschoben werden.
Laut Co-CEO Peters sehe Netflix kaum die Notwendigkeit, die Preise in Märkten wie den USA zu senken. Der Dienst habe dort seinen Wert für langjährige Abonnenten bereits bewiesen. „Wir sehen uns selbst als ein nicht substituierbares Gut“, sagte Peters. Zwar ist die Variante mit Werbeinhalten, welches in Deutschland erst im November 2022 eingeführt wurde, mit 4,99 Euro deutlich günstiger als das Standard-Abo für 7, 99 im Monat. Dafür muss man als Kunde aber eben auch Werbung ertragen. Die neuen Preissenkungen in den nahöstlichen und osteuropäischen sowie einigen afrikanischen Ländern hingegen gelten für alle Abomodelle.
Günstige Preise hin oder her – es hilft ja alles nichts, wenn die Inhalte nicht gut sind: