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MIT Technology Review News

„Als ob ich mein Bein wiederhabe“: MIT entwickelt bionische Prothese mit direkter Gehirnsteuerung

Bisherige Prothesen fühlen sich nicht wie ein Teil des Körpers an. Ein neues Modell und eine innovative Operationstechnik für die Muskelreste könnten genau das ändern.

Von MIT Technology Review Online
4 Min.
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Ein neue Beinprothese erlaubt ihrem Träger, schneller und natürlicher zu gehen. (Foto: Hugh Herr und Hyungeun Song)

Prothesen können die Fortbewegung erleichtern, wenn man einen Teil seines Beins verloren hat. Viele künstliche Beine sind jedoch sperrig und schwer zu bewegen. Jetzt haben Forscher um den Biophysiker Hugh Herr am Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine neue bionische Unterschenkelprothese vorgestellt, die natürlichere Bewegungen erlauben soll. Dafür ist sie über eine neuronale Schnittstelle mit den Nervenenden im Oberschenkel verbunden und kann direkt durch das Gehirn gesteuert werden.

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Der große Vorteil der im Fachjournal Nature Medicine beschriebenen Prothese: Sie könnte Menschen mit Unterschenkelamputationen das Gefühl geben, dass ihre Prothese ein Teil von ihnen ist, und so positive emotionale Auswirkungen haben. „Wenn man einen Patienten fragt: ‚Was ist Ihr Körper?‘ schließt er die Prothese nicht ein“, sagt Herr, einer der Hauptautoren der Studie. Die Arbeit hat für ihn eine persönliche Bedeutung: Er verlor beide Unterschenkel bei einem Kletterunfall, als er 17 war.

Neuer Anschluss der Prothese

Der Anschluss der neuronalen Schnittstelle an die Prothese erfolgt in zwei Schritten. Zunächst werden die Patienten operiert. Dabei wird ein Teil des Unterschenkels amputiert, wobei Teile des Schienbein- und des Wadenmuskels entfernt und Teile erhalten bleiben. Bei bisherigen Operationstechniken wird dabei die Verbindung und damit die Interaktion der Muskelpaare, die etwa den Fuß anheben oder senken, unterbrochen.

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Dadurch kann das Gehirn die Position der Muskeln und die Geschwindigkeit, mit der sie sich zusammenziehen, nicht mehr vollständig registrieren. Es spürt nicht genau, wo sich das Bein im Raum befindet. Die sensorischen Informationen braucht es aber, um zu entscheiden, wie es das Bein ansteuert. In die Prothesen eingebaute Controller können das teilweise ausgleichen. Zusätzliche Prothesensensoren helfen, auf unebenem Terrain zu gehen und Hindernisse zu überwinden.

Die MIT-Forschenden setzen nun auf eine neue Operationstechnik, mit der die unteren Enden der Muskelpaarreste wieder miteinander verbunden werden. Das hilft, die Muskelkontrolle zu verbessern und die Prothese dynamischer zu bewegen. Außerdem können dadurch Phantomschmerzen verringert werden, und die Patienten stolpern und stürzen seltener.

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Computer entschlüsselt die Nervensignale

Bein-Prothese

Die neue Beinprothese im Einsatz. (Foto: Herr, Song et al.)

Für natürliche Bewegungen muss die Prothese noch mit dem Nervensystem verbunden werden. Im zweiten Schritt messen deshalb Oberflächenelektroden die Nervenaktivität vom Gehirn bis zu den Waden- und den Schienbeinmuskeln. Diese Aktivität kodiert die Absicht, den Unterschenkel zu bewegen. Ein kleiner Computer im bionischen Bein entschlüsselt die Nervensignale und bewegt das Bein entsprechend, um Patienten eine natürliche Bewegung zu ermöglichen.

„Wenn man intakte biologische Gliedmaßen hat, kann man zum Beispiel Treppen hinauf- und hinuntergehen, ohne überhaupt darüber nachzudenken. Es ist unwillkürlich“, sagt Herr. „Das ist bei unseren Patienten der Fall, aber ihre Gliedmaßen sind aus Titan und Silikon.“

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„Es ist eine neue Operationskategorie. Ich habe das Gefühl, dass ich mein Bein wiederhabe“, sagt Amy Pietrafitta, eine Para-Sportlerin, die 2018 operiert wurde.

Die Autoren verglichen die Mobilität von sieben Patienten, die eine neuronale Schnittstelle verwendeten, mit der von Patienten, die nicht operiert worden waren. Die Patienten, die das neuronale Interface benutzten, konnten 41 Prozent schneller gehen und schräge Flächen und Stufen erklimmen. Außerdem konnten sie Hindernissen geschickter ausweichen und hatten ein besseres Gleichgewicht. Vor allem aber sagten sie, dass sie das Gefühl hatten, die Prothese sei wirklich ein Teil ihres Körpers und nicht nur ein Hilfsmittel, mit dem sie sich fortbewegen.

„Unsere Gliedmaßen sind nicht wie Schuhe“

„Das ist ein sehr zukunftsweisender Ansatz“, sagt Hamid Charkhkar, ein Biomedizintechniker an der Case Western Reserve University, der nicht an der Studie beteiligt war. „Unsere Gliedmaßen sind nicht wie Schuhe. Sie werden nicht über dem Körper getragen. Sie sind über Knochen, Muskeln und Nerven fest mit unserem Körper verbunden.“

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Allerdings gibt es noch Einschränkungen. Die Operation kann während der Amputation oder einige Jahre später durchgeführt werden, aber sie wird nicht bei jedem Patienten gleich gut funktionieren. Bei einem späteren Eingriff könnten beispielsweise die Oberschenkelmuskeln bei manchen Menschen zu stark verkümmert sein, als dass sie den vollen Nutzen aus der Behandlung ziehen könnten.

Das Verbinden der Schienbein- und der Wadenmuskeln ist am Brigham and Women’s Hospital in Boston bereits zur Standardbehandlung geworden. Aber die Oberflächenelektroden, die den Patienten die volle neuronale Kontrolle über ihre Gliedmaßen ermöglichen sollen, sind noch einige Jahre davon entfernt, nicht nur in Studien, sondern auch klinisch eingesetzt zu werden. Auch die neuronalen Schnittstellen wurden bisher nur im Labor eingesetzt und müssen sich in der realen Welt bewähren.

Herr und sein Team am MIT hoffen, den Benutzern eine noch bessere Kontrolle über ihre Prothesen zu ermöglichen. In Zukunft werden sie wahrscheinlich die Oberflächenelektroden durch magnetische Kugeln ersetzen, die die Muskeldynamik noch genauer verfolgen können. „Unser Ziel ist es, den Körper wirklich zu rekonstruieren, ihn wiederherzustellen“, sagt Herr. Um dieses Ziel voll und ganz zu erreichen, so sagt er, „ist die neuronale Integration und Verkörperung unser langfristiges Ziel“.

Der Text stammt von Sarah Ward. Sie ist Hospitantin in der Redaktion der US-amerikanischen MIT Technology Review.
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