Zusammenfassung
Die aktuelle Weltlage ist durch eine Vielzahl von Krisen und Problemlagen gekennzeichnet: Klimakrise und Artensterben; Raubbau an unseren natürlichen Ressourcen; Spaltung zwischen Arm und Reich; Armuts-, Kriegs- und Klimaflüchtlinge; unmenschliche Arbeitsbedingungen; prekäre Arbeitsverhältnisse; Stress und Sinnverlust in der beruflichen Tätigkeit oder Vernachlässigung der öffentlichen Infrastruktur.
Helmut Janßen-Orth unter Mitarbeit von Dieter Weiland
Helmut Janßen-Orth ist verstorben.
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Notes
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Die weltweite Corona-Pandemie verdeutlicht noch einmal die Notwendigkeit einer Neuorientierung der Wirtschaft: Die skizzierte Krisenlandschaft erfährt durch die Corona-Krise eine weitere Zuspitzung. Die Pandemie verschärft die sozialen Probleme: Die Benachteiligten leiden besonders aufgrund milieubedingter Vorerkrankungen und erschwertem Zugang zur medizinischen Versorgung. Auch die negativen wirtschaftlichen Folgen treffen vermehrt die prekär Beschäftigten. Die weltweit agierenden Internetkonzerne hingegen erhöhen ihre Umsätze und bauen ihren Einfluss aus. Die gegenwärtige Wirtschaftsweise führt zu einem ungebremsten Raubbau an den natürlichen Ressourcen und zu einem wachsenden Druck des Menschen auf bisher unberührte Lebensräume von Wildtieren. Der zunehmende Kontakt von Mensch und Tier sowie eine intensive Massentierhaltung erleichtert das Überspringen von Viren auf die Menschen (Zoonosen) und begünstigt das Entstehen neuartiger Krankheiten wie COVID-19. Die weltweiten Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise zeigen, dass schnelles und wirksames politisches Handeln möglich ist. Die Gefahr besteht jedoch, dass zu einer zweifelhaften „Normalität“ des Vor-Corona-Zustandes zurückgekehrt wird und die angemessene Bearbeitung der vielfältigen Krisen, besonders der ungebremsten Erderwärmung, nicht erfolgt. Gleichwohl haben viele Menschen in der Corona-Krise die Erfahrung gemacht, dass ein „immer Höher-Schneller-Weiter“ nicht zu einem sinnerfüllten Leben führt und es von daher eine Offenheit für Alternativen zur gegenwärtigen Produktions- und Lebensweise gibt – Elemente einer gemeinwohlorientierten Post-Corona-Ökonomie finden sich unter: https://web.ecogood.org/media/filer_public/05/dc/05dc6282-6308-449a-ad30-e2dbef718a31/ecg_ger_joint_opinion_post-corona_economy.pdf [28.10.2020].
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Gegen ein „Diktat der Ökonomie“ regt sich jedoch auch Widerstand: vgl. die Ärzte-Kampagne „Mensch vor Profit“.
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Näheres über die Einbettungs- und Entbettungsprozesse im modernen globalen Kapitalismus findet sich bei Scheidewind, 2018: 68 ff.
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„Bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen stehen (jedoch) ökonomische Erfolgs- und Liquiditätsziele im Vordergrund“ (Schweitzer & Küpper, 2008: 2). „Triebfeder seines Handelns (des Unternehmers) ist das erwerbswirtschaftliche Prinzip, d. h. das Bestreben, bei der Leistungserstellung und -verwertung das Gewinnmaximum zu erreichen“ (Wöhe, 1986: 6).
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Besonders konsequent gehen neoliberale und marktradikale Autoren vor: Jegliche Berücksichtigung ethischer, ökologischer und sozialer Aspekte im unternehmerischen Zielsystem wird zurückgewiesen. Milton Friedman stellt fest: The business of business is business. „Die soziale Verantwortung eines Unternehmens besteht darin, seinen Gewinn zu steigern.“ Bei Alfred Rappaport, dem „Vater“ des Shareholder-Value-Konzeptes (Steigerung des Unternehmenswertes im Interesse der Aktionäre) heißt es: „In einer Marktwirtschaft, die die Rechte des Privateigentums hochhält, besteht die einzige soziale Verantwortung des Wirtschaftens darin, Shareholder Value zu schaffen“ (zit. nach Leitz, 2008).
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„Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Bäckers, Brauers erwarten wir unsere tägliche Mahlzeit, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen vorfolgen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil“ (Smith, 2009: 60). Mit diesem Zitat soll nicht das umfangreiche Werk von Adam Smith charakterisiert, sondern die im neoklassischen Denken angelegte Eigennutzorientierung verdeutlicht werden.
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Wenn wir die im Abschnitt „Neue Ziele in der Gemeinwohlökonomie“ skizzierte Unterscheidung zwischen oikonomia und chrematiska anwenden, müsste der homo oeconomicus der traditionellen Ökonomie eigentlich homo chrematistikus heißen.
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„Menschen sind immer schon sozial, bevor sie auch zu Individuen werden. Menschliche Überlebensgemeinschaften basieren nicht auf Individualismus und Konkurrenz, sondern auf Kooperation“ (Welzer, 2013:176).
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Bezeichnend ist es, dass viele weiterführende Beiträge zu wirtschaftlichen Fragestellungen von Autoren kommen, die keine traditionelle wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung vorweisen. Dies trifft auch auf den Autor der Gemeinwohlökonomie zu. Christian Felber hat Romanische Sprachen, Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie studiert.
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Vgl. Netzwerk Plurale Ökonomik (2019). Auf der Homepage des Netzwerkes heißt es: „Ein Blick in die tägliche Presse zeigt: Ob Hunger, Umweltzerstörung, Klimawandel, Finanzmarktkrise, soziale Ungleichheit oder Arbeitslosigkeit – die (ökonomischen) Probleme unserer Zeit sind vielfältig und komplex. Die Antworten der akademischen VWL, privaten Forschungsinstituten und der Presse sind hingegen meist eindimensional. Ein wichtiger Grund hierfür ist, dass die dahinter liegenden theoretischen Konzepte meist ein und derselben Denkschule entspringen, weshalb ihre Modelle einseitig und ihre Perspektive eingeschränkt bleiben. Genau hier liegt das Problem.“
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In dem Buch „This is not Economy“ werden eine Vielzahl weiterer Schwachstellen der neoklassischen Ökonomik ausführlich behandelt: der „Glauben“ an ein Marktgleichgewicht mit einer Vielzahl unrealistischer Annahmen (vollständige Information der Marktteilnehmerinnen bzw. Marktteilnehmern usw.), das Festhalten an einem vermeintlich wertfreien, naturwissenschaftlichen Wissenschaftsverständnis oder die Abschottung von ethischen Fragestellungen.
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Inzwischen gibt es eine Vielzahl alternativer Wohlstandsmesser: Bruttonationalglück in Bhutan, den Index des nachhaltigen wirtschaftlichen Wohlergehens (ISEW), den Happy Planet Index (HPI), den Human Development Index (HDI) oder auch den Better Life Index (BLI) der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung).
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Es ist naheliegend, dass die Menschenwürde in den Textilfabriken für die Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter in Bangladesh aufgrund niedriger Löhne, überlanger Arbeitszeiten, unzureichender Arbeitsschutzbedingungen und willkürlichen Entlassungen in keiner Weise gewährleistet ist. Ebenso verhält es sich in den Coltanminen im Kongo, in denen dieser Rohstoff unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut und u. a. für die Produktion des Smartphones benötigt wird. Auch die Kinderarbeit auf Kakaoplantagen in der Elfenbeinküste oder in der Haselnuss-Ernte an der Schwarzmeerküste der Türkei widerspricht der Menschenwürde.
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Selbstverständlich gibt es auch eine Verantwortung der Konsumenten, die möglichst versuchen sollten, nachhaltige und faire Produkte und Dienstleistungen zu kaufen. Allerdings gibt es klare Grenzen in der Marktgestaltungsmacht der Verbraucher (vgl. Welzer, 2013: 75 ff.; Kopatz, 2016). Doch auch im globalen Norden finden sich etwa auf Schlachthöfen oder in der Baubranche menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und auch in vielen Dienstleistungsbetrieben sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse (Sicherheitsdienste, Gastronomie, Paketdienste usw.) zu finden.
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Unter http://www.balance.ecogood.org/gwoe-berichte sind die Gemeinwohlbilanzen der zertifizierten Unternehmen einsehbar.
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Ausgehend von der Studie untersucht Kny ergänzend die Gemeinwohlorientierung von Großunternehmen (Kny: 2020).
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Auch eine Studie der Universität Valencia verweist auf positive Auswirkungen. Die Untersuchung zeigt, dass Firmen, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „gut behandeln, ehrliches Marketing betreiben, sich auf Nachhaltigkeit fokussieren und ihren Umweltabdruck minimieren nicht nur zum Gemeinwohl beitragen, sondern sogar ihre Rentabilität verbessern können“ (Gemeinwohl-Ökonomie, 2019: 3).
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Durch demokratische Bürgerkonvente und Volksentscheide könnte die repräsentative Demokratie bereichert werden. In diesen Verfahren könnte der Souverän, die Bevölkerung eines Landes, über Vorschläge und Vorgaben für eine Verringerung der Ungleichheit und der Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums entscheiden (vgl. Felber, 2018: 133 ff.)
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Beim Systemischen Konsensieren geht es nicht um eine einfache Ja-Nein-Entscheidungen, sondern es werden verschiedene Entscheidungsalternativen zur Wahl gestellt und die Alternative, die den geringsten Widerstand aufweist, wird umgesetzt.
Literatur
Bauhardt, C., & Caglar, G. (Hrsg.). (2010). Gender Economics (Feministische Kritik der Politischen Ökonomie). VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Bender, H., Bernholt, N., & Winkelmann, B (Akademie Solidarische Ökonomie) (2011). Kapitalismus und dann? Oekom.
Demirovic, A. (Hrsg.) (2018). Wirtschaftsdemokratie neu denken. Westfälisches Dampfboot.
Deutschlandfunk. (2019). Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. http://www.deutschlandfunk.de/musik-und-fragen-zur-person-der-wirtschaftswissenschaftler.1782.de.html?dram:Article_id=463563. Zugegriffen: 17. Dez. 2019.
Dohmen, C. (2018). Wie viel Nachhaltigkeit lässt die Marktwirtschaft zu?. http://www.deutschlandfunk.de/gemeinwohl-oekonomie-wie-viel-nachhaltigkeit-laesst-die.724.de.html?dram:Article_id=412532. Zugegriffen: 12. Dez. 2019.
Felber, C. (2018). Gemeinwohl-Ökonomie, Taschenbuch-Ausgabe. Piper.
Felber, C. (2019). This is not Economy. Deuticke (Paul Zsolnay.
Gemeinwohl-Ökonomie. (2019). Wissenschaftliche Studien attestieren Gemeinwohl-Ökonomie soziale Innovationskraft (Presseunterlagen für die Pressekonferenz am 19.02.2019). http://www.ecogood.org/media/filer_public/3e/2a/3e2a5e24-286b-42f4-92e5-a62ef402cda0/2019-02-19-pi-wifo.pdf. Zugegriffen: 12. Dez. 2019.
Gemeinwohl-Ökonomie. (2020a). Gemeinwohl-Ökonomie. Ein Wirtschaftsmodell mit Zukunft. https://web.ecogood.org/de/unsere-arbeit/gemeinwohl-bilanz/gemeinwohl-matrix/. Zugegriffen: 10. Nov. 2020.
Gemeinwohl-Ökonomie. (2020b). Unternehmen. http://www.web.ecogood.org/de/unsere-arbeit/gemeinwohl-bilanz/unternehmen/. Zugegriffen: 12. Nov. 2020.
Hardes, H.-D., & Schmitz, F. (2000). Grundzüge der Volkswirtschaftslehre (7. Aufl.). R. Oldenbourg.
Heidbrink, L., Kny, J., Köhne, R., Sommer, B., Stumpf, K., Welzer, H., Wiefek, J. (2018). Schlussbericht für das Verbundprojekt Gemeinwohl-Ökonomie im Vergleich unternehmerischer Nachhaltigkeitsstrategien (GIVUN).
Kny, Josefa. (2020). Too big to do Good? Eine empirische Studie zur Gemeinwohlorientierung am Beispiel der Gemeinwohl-Ökonomie. Oekom.
Kopatz, M. (2016). Ökoroutine: Damit wir tun, was wir für richtig halten. Oekom-Verlag.
Leitz, C. (2008). Corporate Social Responsibility: Stand der Forschung und Entwicklungstrends. GRIN Verlag. http://www.grin.com/document/123239. Zugegriffen: 28. Nov. 2019.
Landbrot, M. (2017). Gemeinwohlbericht für die Jahre 2014–2016. http://www.balance.ecogood.org/gwoe-berichte/handwerk/copy_of_maerkisches-landbrot/2017-gwoe-bericht-maerkisches-landbrot-2014.pdf/view?searchterm=m%C3%A4rkisches+landb. Zugegriffen: 25. Nov. 2019.
Netzwerk Plurale Ökonomik (2019). Ziele und Aktivitäten. http://www.plurale-oekonomik.de. Zugegriffen: 25. Dez. 2019.
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Scheidewind, U. (2018). Die Große Transformation. Fischer.
Schweitzer, M., & Küpper, H.-U. (2008). Systeme der Kosten- und Leistungsrechnung.
Smith, A. (2009). Der Wohlstand der Nationen. Zweitausendeins.
Welzer, H. (2013). Selbst.Denken. Fischer.
Wöhe, G. (1986). Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre (16. Aufl.). Franz Vahlen.
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Janßen-Orth, H. (2022). Einführung in die Gemeinwohlökonomie. In: Rosenthal, T., Fittkau, B. (eds) Gemeinwohlökonomie im Gesundheitswesen. Forum Gesundheitsmanagement . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37555-3_1
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