Ein Antikörper gegen humane endogene Retroviren (HERV) zeigte in einer kleinen Studie gewisse Effekte auf MS-Biomarker. Möglicherweise lässt sich die Progression in Kombination mit Rituximab etwas bremsen.

Noch immer gibt es keine wirklich überzeugenden Therapeutika gegen die entzündungsunabhängige MS-Progression. So kommt es auch unter krankheitsmodifizierenden Therapien, welche MS-Schübe und MRT-Läsionen gut unterdrücken, mit der Zeit zu einer Akkumulation von Behinderungen. Diskutiert werden chronische und kompartimentalisierte Entzündungsprozesse, die nicht oder nur wenig von der B- und T-Zellaktivität abhängen. Als ein Faktor wird auch die Reaktivierung von humanen endogenen Retroviren (HERV) diskutiert. Solche Viren schlummern normalerweise ohne Schaden anzurichten im Genom, sind bei MS-Patienten aber zum Teil auffallend aktiv. So wurden bestimmte HERV-Hüll-Proteine in MS-Läsionen nachgewiesen, auch scheinen die Proteine eine proinflammatorische Aktivität zu zeigen und die Reifung von Oligodendrozyten-Vorläuferzellen zu beeinträchtigen. Auffallend ist zudem, dass HIV-Kranke unter antiretroviraler Therapie nur extrem selten an MS erkranken, dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass solche Medikamente die Aktivität von HERV unterdrücken und dadurch das MS-Risiko senken.

In einer placebokontrollierten Phase-IIb-Studie mit 270 MS-Kranken zeigte sich Temelimab (GNbAC1), ein Antikörper gegen ein HERV-Hüllprotein, jedoch allenfalls geringfügig wirksam: In der höchsten Dosierung wurden zwar signifikant weniger Gadolinium-anreichernde Läsionen beobachtet, allerdings hatte die Behandlung keinen Einfluss auf die Schubrate.

Temelimab kombiniert mit CD20-Antikörper

Fünf Jahre nach der Veröffentlichung dieser Daten auf der MS-Tagung ECTRIMS legen Neurologinnen und Neurologen um Dr. Fredrik Piehl vom Karolinska-Institut in Stockholm mit einer weiteren Studie auf der aktuellen ECTRIMS-Konferenz in Amsterdam nach. Dieses Mal haben sie Temelimab in Kombination mit dem CD20-Antikörper Rituximab eingesetzt, in der Hoffnung, damit auch die schleichende Progression anzugehen.

An der Studie nahmen 41 MS-Kranke teil, die unter Rituximab Zeichen eine Krankheitsprogression aufwiesen. Die Betroffenen waren seit etwa elf Jahren an MS erkrankt, hatten einen medianen EDSS-Wert von 4 und im Schnitt einen MS-Schub im Jahr zuvor - trotz Behandlung mit Rituximab. Zehn Erkrankte erhielten zusätzlich zu Rituximab Placebo infundiert, die übrigen eine von drei Dosierungen (18, 36 oder 54 mg/kg) des Hüllprotein-Antikörpers. Die Infusionen erfolgten einmal pro Monat über 48 Wochen hinweg.

Reduzierte GFAP-Konzentrationen

Bei den klinischen Endpunkten wie EDSS-Veränderungen sowie den Ergebnissen beim Nine-Hole-Peg-Test und dem 25-Fuß-Gehtest (T25WT) zeigten sich weder Vor- noch Nachteile einer Zusatztherapie mit Temelimab, auch die meisten Biomarker ergaben keine statistisch belastbaren Differenzen. Immerhin lieferten die meisten Marker zur Integrität und zum Volumen der grauen Substanz einen Trend zugunsten von Temelimab, etwa beim Parenchymvolumen, dem Thalamusvolumen oder der Kortexdicke. Auch der Neurodegenerationsmarker NFL (Leichtkettenneurofilament) und der Gliose- und Progressionsmarker GFAP (Glial-Fibrillary-Acidic-Protein) waren unter der Anti-HERV-Therapie im Serum und Liquor etwas weniger präsent, die Unterschiede zu einer Rituximab-Monotherapie aber nicht statistisch signifikant.

Die größten Differenzen zeigten sich bei den GFAP-Liquorwerten: Diese nahmen unter der Rituximab-Monotherapie leicht zu, in Kombination mit Temelimab etwas ab. Die Wahrscheinlichkeit für einen echten Unterschied liege statistischen Berechnungen zufolge bei 80 %, so Piehl, die Daten der Studie würden nun noch weiter analysiert.

Kongress des European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS), Amsterdam 26.-28.10.2022. Fredrik Piehl: Free Communications 5