In kaum einem Feld der Gastroenterologie hat es in den letzten Jahren eine derart dynamische Entwicklung gegeben wie im Bereich der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Zahlreiche neue Substanzen mit neuen Wirkmechanismen wurden zugelassen, und die Definition von Therapiezielen und Endpunkten in klinischen Studien wird ständig weiterentwickelt. Dennoch stellen sich im praktischen Alltag weiterhin viele Probleme. So spricht ein relevanter Anteil der Patienten gar nicht, nicht ausreichend oder nicht dauerhaft auf die verfügbaren Therapeutika an, und für die Auswahl der Therapie gibt es nach wie vor keine Biomarker und nur wenig vergleichende Studien. Darüber hinaus wächst das Bewusstsein für bislang wenig berücksichtigte – auch geschlechtsspezifische – Beschwerden und Einschränkungen der Patienten.

Grund genug also, in diesem Schwerpunktheft zum einen Bilanz über die jüngsten Errungenschaften in der Therapie der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zu ziehen, zum anderen aber auch den Blick in die Zukunft zu wagen und wichtige zukünftige Handlungsfelder und Entwicklungen zu skizzieren.

In der medikamentösen Behandlung mittelschwerer bis schwerer Verlaufsformen von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gab es in der jüngsten Vergangenheit wesentliche Entwicklungen in drei Substanzklassen: Das Portfolio der oral verabreichten JAK-Inhibitoren bei Colitis ulcerosa wächst an, mit Upadacitinib ist nun erstmals auch ein JAK-Hemmer bei Morbus Crohn verfügbar. Ozanimod, ebenfalls oral verabreicht, wurde als erster Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Agonist bei Colitis ulcerosa zugelassen, und sowohl bei Morbus Crohn als auch bei Colitis ulcerosa drängen mit Risankizumab bzw. Mirikizumab erste Anti-IL-23-Antikörper auf den Markt. Wanzl et al. (Augsburg/Münster) fassen in ihrem Beitrag diese Entwicklungen und die wichtigsten klinischen Studiendaten zu diesen Substanzen zusammen.

Auch für die nächsten Jahre ist von weiteren Zulassungen und damit einem weiteren Zuwachs der therapeutischen Optionen auszugehen. Dies könnte auch völlig neue Wirkprinzipien oder Kombinationstherapien einschließen, die sich derzeit in fortgeschrittener klinischer Prüfung befinden. Einen Überblick über diese Perspektiven liefert der Beitrag von Bertram et al. (Hamburg).

Mit der zunehmenden Vielfalt an medikamentösen Behandlungsoptionen steht man als Behandler zunehmend vor der „Qual der Wahl“. Während viel darauf hindeutet, dass die Wahrscheinlichkeit eines langfristigen und tiefgreifenden Behandlungserfolgs mit jeder Therapielinie sinkt und dementsprechend von Anfang an die individualisierte Auswahl einer möglichst wirksamen Therapie erstrebenswert wäre, gibt es in der Praxis hierfür kaum evidenzbasierte Entscheidungshilfen. Dementsprechend sind weiterhin Patientenpräferenzen, Lebensumstände (z. B. Kinderwunsch) oder extraintestinale Manifestationen und Komorbiditäten, aber auch persönliche Erfahrungen des Verordners und ökonomische Erwägungen die wesentlichen Kriterien in der Medikamentenselektion. Biomarker für die Prädiktion des Behandlungserfolgs, wie sie beispielsweise in der Onkologie etabliert sind, könnten hier Abhilfe schaffen. Raja Atreya (Erlangen) skizziert in seinem Beitrag bisherige Meilensteine und verbleibende Herausforderungen hin auf dem Weg zu einer personalisierten CED-Behandlung.

Entscheidend für Pathogenese von CED und individuelles Therapieansprechen ist das intestinale Mikrobiom

Eine entscheidende Rolle, nicht nur in der Pathogenese von CED, sondern auch hinsichtlich des individuellen Therapieansprechens, spielt das intestinale Mikrobiom. Im Zuge der Verfügbarkeit neuer Sequenzierungstechniken konnte die bakterielle Flora im menschlichen Darm im Allgemeinen und im Zusammenhang mit CED im Speziellen in den letzten Jahren in ungeahntem Detail charakterisiert werden. Auch zu den von intestinalen Mikrobiota generierten Stoffwechselprodukten, dem Metabolom, liegen zahlreiche neue Erkenntnisse vor. Sowohl auf Ebene der bakteriellen Flora selbst als auch auf Ebene der von ihr produzierten Metaboliten ergeben sich vielversprechende Ansätze für die zukünftige Behandlung von CED, die Welz und Aden (Kiel) für dieses Heft zusammengefasst haben.

Wesentlich für den Behandlungserfolg bei CED ist neben den aktuellen und zukünftig hoffentlich noch breiteren medikamentösen Optionen auch das differenzierte Verständnis für die Patienten und individuelle Krankheitsfaktoren. Dazu gehört insbesondere das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede in Epidemiologie und Pathogenese, aber auch Therapie und psychosozialem Erleben der Erkrankungen. Zahlreiche Arbeiten der letzten Jahre haben hierzu wichtige Erkenntnisse geliefert und werden im Beitrag von Sonnenberg und Kubesch-Grün (Berlin/Frankfurt) übersichtlich dargestellt.

Gerade in einem sich schnell entwickelnden Gebiet wie der Behandlung von CED sind immer wieder Standortbestimmungen notwendig, um den Überblick zu behalten. Wir freuen uns sehr, dass sich Autoren aus so vielen der wichtigsten deutschen CED-Zentren an dieser Ausgabe beteiligt haben und Ihnen den aktuellen Stand des Feldes im Überblick präsentieren. Hierfür gilt ihnen unser herzlicher Dank! Ihnen, liebe Leser, wünschen wir viel Freude bei der Lektüre dieses spannenden Schwerpunktheftes und hoffen auf viele Bereicherungen für Ihren praktischen Alltag.

Ihre

Sebastian Zundler und Irina Blumenstein