Am Arm

Schöner Stahl

Für einen Moment wünsche ich mir, einfach nur richtig viel Kohle zu haben – genug, um ernsthaft in Betracht zu ziehen, meine Freundin für vier Tage zu einer Partnerin fürs Leben zu machen. So weit hat sie mich gebracht. Was Philip Cassier mit der „Royal Oak“ von Audemars Piguet erlebte.

Es war auf einer Messe in Genf, die Manufaktur aus Le Brassus hatte gerade ihre Neuigkeiten gezeigt, und der Autor, vollgepumpt mit viel zu viel Informationen, musste sich ein wenig Luft verschaffen: „Die ,Royal Oak‘ ist echt hässlich wie die Nacht“, zischte er einem befreundeten Kollegen zu, als wäre es völlig normal, etwas herabzuwürdigen, das mit so viel Sorgfalt angefertigt wird. Heute nun folgt der Tag der Abrechnung – ich gebe ohne jedes Wenn und Aber zu: Das war ein Akt stolzer Dummheit, der Satz gehört zum Blödesten, was ich jemals von mir gegeben habe. Richtig ist dagegen: Diese Uhr kann allerhöchstens einen Geschmack nicht treffen. Aber selbst dafür stimmen die Geometrien und Proportionen bei dem Klassiker, der dieses Jahr seinen 50. Geburtstag feiert, zu sehr. Es muss also wirklich eine Menge Neid im Spiel gewesen sein, als ich die Bemerkung losließ. Umso schöner ist es gewesen, nun ein Jubiläumsmodell zu tragen, genauer gesagt die extraflache „Jumbo“-Version in Stahl mit 39 Millimeter Durchmesser und dem blauen Blatt.

Dass es sich dabei um etwas Besonderes handelt, wird von der ersten Sekunde an klar: Der Behälter, in dem sich die Uhr befindet, ist plombiert. So etwas habe ich noch nie erlebt. Damit sind wir schon mittendrin in dem, was es in den kommenden Tagen zu erleben geben wird – am Arm befindet sich ein Gegenstand, der meinen Alltag durchbricht.

Seit Gérald Genta die „Royal Oak“ zu Beginn der 70er-Jahre designte, haben Architekten und Abenteurer sie spazieren geführt, Künstler und Basketballer, Industriekapitäne und Scheichs. Alle diese Existenzen eint, sich finanziell weit entfernt von meinem Angestellten-Dasein abzuspielen; zwar könnte ich mir eine 30.000-Euro-Uhr irgendwie leisten, wenn ich auf ein Auto, Restaurantbesuche, Urlaub und Hobbys wie Maßbekleidung verzichten würde. Aber das wäre unverhältnismäßig. So geht mit dem Umschnallen das Gefühl einher, die bekannte Welt zu verlassen – allemal ein Kick.

Hinzu kommt die Frage, wie das Design stilistisch zu mir passt. Als Erzeugnisse der 70er-Jahre sollten wir eigentlich gut miteinander auskommen. Allerdings hege ich zwei Befürchtungen: Erstens bin ich der Typ mit Hornbrille und Seitenscheitel, was ja nur bedingt mit der sportlichen Robustheit der Uhr harmoniert. Und wenn ich zweitens Sport treibe, hopse ich im guten Glauben in der Gegend rum, es sähe wie Schattenboxen aus. Schlank bleiben will ich, sodass ich selbst für filigranste Anzuguhren tauge. Für einen solchen Körperbau wirkt eine „Royal Oak“ manchmal zu dominant.

Doch hier verblüfft mich das Teil zum ersten Mal stark: Die Uhr sitzt am Handgelenk, die achteckige Lünette funkelt im Licht der Schreibtischlampe, aber auffallen will sie nicht. Direkt in die Erleichterung mischt sich ein wenig Schmerz, nur vier Tage noch. Nicht kleiner macht den Stich im Herzen die Erkenntnis, dass das Modell wegen der gigantischen Nachfrage für mich gar nicht zu haben wäre, selbst wenn ich meinen Bankberater davon überzeugen könnte, kreditwürdig zu sein.

Rachegelüste treiben mich zu dem perfiden Plan, meiner neuen Freundin für 96 Stunden unverzüglich eine Situation zuzumuten, die sie kaum kennen dürfte. Schon am ersten Abend, einem richtig miesen Berliner Exemplar voller Wind und Regen, setze ich mich mit ihr in eine Tram und lasse sie ein wenig unter der Manschette hervorblitzen. Da überrumpelt mich das gute Stück zum zweiten Mal – ein Fahrgast hebt die Brauen und flüstert in bester Berliner Natürlich- sag-ich-Sie-zu-dir-Manier:

„Wow, ne Rojäl Ook, det gibt’s ja nich, voll edel, wa, aber ooch undasteetet.“

Eine Antwort erübrigt sich, meine Synapsen sind leider durchgeschmort. Was immer ich mit der Tramfahrt bezweckte, es ging schief. Die Uhr gewinnt.

Damit ist der Ton gesetzt. Ob Freunde oder Kollegen – entweder, die Uhr fällt gar nicht weiter auf, oder sie erntet Lob für ihren zurückgenommenen Charakter. Hervor tut sich nur die Kollegin aus dem Rheinland, die sich das Teil fröhlich für ein Video selbst umbindet und versucht, mir bei der Rückgabe unter Augenklimpern ihre Stahluhr mit der Krone auf dem Zifferblatt anzudrehen. Ich hätte es auch fast gar nicht gemerkt, doch es fällt mir auf, dass die Audemars Piguet – für mich seit je der coolste Name in der Branche – schwerer in der Hand liegt.

Die Kollegin aus dem Rheinland

Manches erspare ich meinem Darling, beim Rumhopsen im Park beispielsweise soll er mich auf keinen Fall erleben, das wäre des Guten denn doch zu viel. Aber kochen? So viel Stresstest muss erlaubt sein. Ich schäle Kartoffeln, schneide sie mit meinem riesigen Küchendolch klein, brate sie, haue dazu Steaks in die brandheiße Pfanne, schüttele sie durch, greife hektisch nach Knoblauch und Weinflasche zum Ablöschen, wische mir den Schweiß von der Stirn – aber all das interessiert die Uhr kein Stück. Für keinen Moment unterbricht sie ihr gleichmäßiges Ticken und flüstert mir damit nur noch mehr ein, wie gut sie doch zu meinem Alltag passen könnte. Einzig als ich zwischenzeitlich eine weitere Uhr für ein Fotoshooting beim Juwelier abhole, wird mir mulmig: „Wenn jetzt einer kommt und dich vermöbelt, dann lohnt sich das“, geht es mir durch den Kopf.

Am letzten Tag setzte ich mich noch einmal hin und beobachte das Werk durch den Glasboden bei seiner Arbeit. Für diesen beruhigenden Effekt also, denke ich, stellen andere Menschen beim Yoga alle möglichen Verrenkungen an. Dann ist es Zeit, Abschied zu nehmen. Nein, er fällt nicht leicht. Sondern so schwer, dass ich mir für einen Moment wünsche, einfach nur richtig viel Kohle zu haben – genug, um ernsthaft in Betracht zu ziehen, meine Freundin für vier Tage zu einer Partnerin fürs Leben zu machen. So weit hat sie mich gebracht.

Text & Bilder
Philip Cassier