Zum Inhaltsbereich wechseln
English
Work4Germany Fellow Önder und seine Projektpartnerin Julia stehen vor einem Plakat mit Informationen zum Projekt „Interne Digitalstrategie“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz

Vom Whiteboard zur Roadmap – wie eine Digitalstrategie nutzerzentriert wird

Als Önder uns am Eingangstor 1 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) begrüßt, wirkt es, als ob er hier schon ewig arbeiten würde: Wie selbstverständlich führt er uns durch vier Etagen über gemusterten Teppichboden, durch den Empfangshof und mindestens drei verwinkelte Gänge, bis wir unter dem Dach ankommen. Dort liegen die Büros des Referats ZB1, in die Önder im September 2023 mit eingezogen ist – als Work4Germany Fellow. Und hier will er noch länger bleiben: Er hat das Fellowship um sechs Monate verlängert. Mit ihm am Tisch sitzt Julia, mit Work4Germany Tasse in der Hand – „rein zufällig“, wie sie mit einem Schmunzeln betont. Sie ist Projektpartnerin von Önder, hat das Fellowship ins Team geholt. Und vielleicht stimmt das „zufällig“ ja wirklich, denn die Bürowände sind mit Plakaten in Work4Germany Designs geschmückt. Das Fellowship hat im BWMK wirklich Einzug gefunden. Im Gespräch erzählen Julia und Önder, wie das geklappt hat.

Hey Julia, wie bist Du auf Work4Germany aufmerksam geworden? Was hat Dich zur Bewerbung motiviert?

Julia: Als ich im Auswärtigen Amt tätig war, habe ich immer wieder mitbekommen, wie ein Fellow einen Kollegen im Rahmen der Digitalisierungsstrategie unterstützt hat. Zwei Jahre später ist es meine Aufgabe, eine Digitalstrategie für das BMWK aufzubauen. Ich habe gemerkt, dass ich neue methodische Unterstützung brauche und mich bei Work4Germany beworben.

Ausführliche Informationen zum Projekt „Digitalstrategie“, an dem Julia und Önder im Rahmen von Work4Germany gearbeitet haben, gibt es hier.

Und Du hast die Stelle online gesehen, Önder? Und Dich nicht vom Themenfeld Verwaltung abschrecken lassen?

Önder: Ich bin über mein Netzwerk auf Work4Germany gestoßen. Da ich schon als Selbstständiger Projekte mit zwei städtischen Verwaltungen hatte und kommunalpolitisch in meiner Heimat München engagiert bin, war das überhaupt nicht abschreckend. Ich wusste vielmehr, dass mich das Thema interessiert und ich hier einen sinnstiftenden Beitrag leisten kann. Und noch mehr Kontakte hatte ich als Bürger mit der Verwaltung – und ob man will oder nicht, vergleicht man die digitalen Angebote mit denen großer Player wie Google. Da denkt man sich schon immer wieder: Geht das nicht anders? Das war meine Chance, hier einen Beitrag zu leisten.

Auf einem Tisch steht vor Interviewpartnerin Julia eine Work4Germany Tasse

Du hast gesagt, dass Du Dir vom Fellowship „Unterstützung“ gewünscht hast, Julia. Wobei genau?

Julia: Das Thema Digitalstrategie habe ich schon gut ein Jahr vor Work4Germany bearbeitet. Ich habe mir viele umfassende Gedanken gemacht dazu, was wichtig ist, was alles vorkommen muss. Die habe ich auf ein Whiteboard geschrieben – und das ist riesig geworden. Ich wusste um das Themenfeld, um die richtigen Fragen. Aber ich brauchte jemanden, der mir dabei hilft, eine Struktur zu finden und einen Prozess zu definieren.

Önder: Ich habe das Whiteboard gesehen und gedacht: Wow, wie cool! Das ist eine super Vorarbeit mit sinnvollen Ideen und guten Ansätzen.

Wie habt Ihr dann losgelegt? Mit dem Whiteboard?

Önder: Unter anderem haben wir uns erstmal hingesetzt und Erwartungsmanagement betrieben: Was braucht Julia von mir? Wie kann ich unterstützen? Wer nimmt welche Rolle ein? Und auch auf das Whiteboard geschaut. Ich hatte den Eindruck, dass Julia „lost“ war – aber im positiven Sinne. Denn sie und das Team waren schon vor Work4Germany sehr agil unterwegs und methodisch versiert. Die Methoden und der Wille waren da, die Struktur dafür noch nicht. Und den Sinn für Nutzerzentrierung, den habe ich früh als Haltung reingebracht.

Julia: Dass nutzerzentriertes Arbeiten so eine zentrale Rolle einnehmen würde, hatte ich vorher nicht erwartet, um ehrlich zu sein. Dafür wusste ich, dass wir in der Zusammenarbeit schon gut aufgestellt waren. Önders erste Schritte waren genau die, die ich mir erhofft hatte: Wir haben uns schnell kleinschrittige Ziele gesetzt.

Önder: Ich erinnere mich an viele Unterhaltungen zu Beginn, in denen Julia immer gefragt hat: Was ist die Strategie? Was wäre das Ergebnis insgesamt? Und ich dann geantwortet habe, dass wir das noch gar nicht wissen können. Wir wussten, was das Ziel sein soll. Ich habe ein Verständnis dafür geschaffen, dass wir jetzt den Weg zum Ziel formulieren und das Ergebnis dann die Strategie sein wird. Dieses Step-by-Step war neu.

Julia: Vorher habe ich versucht, alles schon zu Beginn aufzuschreiben. Darum war das Whiteboard auch so voll. Gut war auch, dass wir gemeinsam definiert haben, was eigentlich zu einer Digitalstrategie gehört und auch, was nicht. Das gemeinsam abzustecken war für mich sehr wertvoll, denn das Thema ist umfassend und hat im Haus viele, teils auch falsche Erwartungen geweckt.

Önder: Und genau da kommt die Nutzerzentrierung schon ins Spiel: Wir mussten verstehen, was die Mitarbeitenden hier von uns erwarten. Und gleichzeitig wollten wir informieren, was wir uns unter dem Thema vorstellen. Denn parallel läuft im Haus auch eine Initiative zur IT-Strategie, das ist etwas anderes als die Digitalstrategie. Das mussten wir klarstellen.

An der Wand im Büro des BMWK sind verschiedene Poster zu sehen, unter anderem eines zur Umfrage, an der Julia und Önder gearbeitet haben

Und wie habt Ihr das gemacht?

Julia: Ganz klassisch in Form einer Umfrage. Ich dachte, dass das eine kurze und schnelle Angelegenheit wird.

Önder: Das war aus meiner Sicht der beste Weg, um gleichzeitig repräsentativ herauszufinden, was wir für das Thema beachten müssen und unsere Message zu verteilen, was wir darunter verstehen und was nicht. Und das muss gut vorbereitet und nachbereitet werden. Insgesamt hat der Prozess drei Monate gedauert. Aber das war es wert. Denn eine Digitalstrategie funktioniert nur, wenn sie partizipativ ist.

Warum hat es „länger“ gedauert?

Önder: Wir haben uns viel Zeit genommen zur Vorbereitung. Wichtig war, die Umfrage so kurz wie möglich zu gestalten mit anschlussfähigen, verständlichen Fragen. Und dann ging es darum, sie zu kommunizieren. Dafür hat Julia Plakate mit einem eigenen Design gestaltet, die darauf aufmerksam gemacht haben. Wir haben die Umfrage sogar im „Guerilla-Marketing-Style“ vor der Cafeteria beworben. Schließlich durften wir auch noch einen großen internen Verteiler zum Werben nutzen. Und dann gab es auf einmal eine große Anzahl an Menschen, die mitgemacht haben.

Julia: Ich habe vorher mit 30 Teilnehmenden gerechnet, mit 50 wäre ich happy gewesen.

Önder: Mein Ziel waren schon 300 Teilnehmende.

Julia: Stimmt, da habe ich noch gedacht: Jaja, der Externe hat Vorstellungen … und war dann doch sehr erstaunt, als wir 870 Einsendungen bekommen haben. Das sind 45 Prozent des Hauses. Das war echt beeindruckend und hat gezeigt, dass die Leute mitgenommen werden wollen. Wir haben sehr viel positives Feedback bekommen, Menschen haben sich bedankt, dass ihre Meinung gefragt und gehört wird.

Önder: Aber wir haben dann auch 1500 Texte durchgearbeitet, die die Leute in die Freitextfelder (Fragen, zu denen es keine Antwortmöglichkeiten gab, die Redaktion) geschrieben haben. Das hat eben insgesamt viel Zeit in Anspruch genommen.

Julia: Damit konnten wir super ins Haus gehen und sagen: Das Thema ist wichtig. Für mich vor mir selbst war das sehr motivierend. Das war unser größter Erfolg bisher.

Önder: Unser sichtbarster, erlebbarster Erfolg vielleicht. Aber ich finde die Vernetzung mit den Kolleg:innen der IT-Strategie, die danach kam, mindestens ebenso wertvoll.

Was ist dort passiert?

Önder: Dass die anderen Kolleg:innen im Haus Digitalstrategie und IT-Strategie oft gemeinsam sehen, haben wir ja schon gesagt.

Julia: Und das ist auch okay.

Önder: Ja, genau. Aber wir bearbeiten die Themen inhaltlich getrennt, was auch sinnvoll ist. Wir haben uns aber vernetzt und auf eine gemeinsame Kommunikation in das Haus geeinigt – damit die Kolleg:innen über beides Updates bekommen.

Julia: Jetzt habe ich mit der Projektleiterin derIT-Strategie wöchentliche Jour fixe. Wir haben Schnittmengen und arbeiten zusammen. Die Vernetzung mit anderen Stakeholdern, also konkret anderen Referaten, ist jetzt unsere gemeinsame Aufgabe. Da machen wir gerade große Fortschritte.

Julia und Önder stehen gemeinsam vor dem Eingang des BMWK Gebäudes, einem historischen Bau aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts

Was würdet Ihr rückblickend über die bisherige Work4Germany Zeit sagen?

Julia: Dass der Prozess gut war, aber nicht zu jedem Punkt angenehm. Über das ganze Fellowship hatte ich das Gefühl von Unsicherheiten, wenn es darum ging, dass wir etwas anders gemacht haben als es der Standard ist. Mir war klar, dass ein agiler Weg gut ist – aber als sehr strukturierte und analytische Person musste ich mich immer wieder überwinden, das Projekt Step-by-Step zu planen, nicht ganzheitlich. Im Prozess habe ich den engen Austausch mit anderen Stakeholdern hier im Haus aufgebaut und auch gelernt, dass wir etwas Wichtiges, Bedeutendes machen. Das tat gut.

Was ist aus dem Whiteboard geworden?

Julia: Das haben wir irgendwann zur Seite geschoben. Aber ich habe mich auch gefreut, dass viele Begriffe und Themen, die ich dort notiert habe, auch für uns in diesem agilen Set-up relevant waren. Nur, dass die Aktionen, die daraus entstanden sind, jetzt organisch gewachsen sind. Wir haben sie nach und nach bearbeitet, eben nicht vorher versucht alles durchzuplanen. Manches ist geblieben wie erwartet – anderes ist ganz anders gekommen.

Önder: Dafür hatten wir immer eine Sicherheit, dass der Punkt der Roadmap, den wir gerade bearbeiten, richtig ist und den Bedarf abdeckt. Insgesamt habe ich hier sehr viele Menschen kennenlernen dürfen, die sehr progressiv, veränderungswillig und modern etwas bewegen wollen, strukturell aber teilweise nicht können oder blockiert werden. Ich finde, die Menschen sind bereit, sich zu verändern, aber das System, die Gesetze erlauben diese Veränderung teilweise noch nicht. Und es ist toll, dass wir daran arbeiten, das zu ändern.


Poträtfoto des Autors Lutz Niemeyer

Lutz Niemeyer

ist seit Februar 2023 Editorial Manager beim DigitalService. Als „Inhouse-Redakteur“ berichtet er unter anderem auf unserem Blog über Projekte, Strategien, Erfolge und alles andere, was den DigitalService ausmacht. Seine Leidenschaft für das Storytelling hat er schon zuvor im Journalismus-Studium und bei Lokalzeitungen gefunden. Wenn Lutz nicht selbst schreibt, dann liest er gern, übt mit seiner Kamera oder probiert neue Kochrezepte aus.