MEINUNG

Highlights vom ASCO: „Keine Diskussionen mehr bei Speiseröhrenkrebs“ und spannende Konzepte für die Palliativbetreuung

PD Dr. Georgia Schilling

Interessenkonflikte

13. Juni 2024

Hier präsentiert PD Dr. Georgia Schilling ihre 3 Lieblingsstudien vom amerikanischen Krebskongress. Beim Ösophaguskarzinom klärten deutsche Forscher die Lage und die Palliativmedizin geht neue Wege.

Transkript des Videos:

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Georgia Schilling. Ich bin Chefärztin der onkologischen Rehabilitation in Westerland auf Sylt und ich bin Koordinatorin und langjährige. Oberärztin des Asklepios-Tumorzentrums in Hamburg.

Heute möchte ich meine Highlights vom ASCO-Kongress 2024 mit Ihnen teilen. Dieses Jahr ist es mir sehr leichtgefallen, Highlights zu finden, die ich Ihnen präsentieren möchte.

Die Nr. 1 – LBA1

Zuerst kommt Late Breaking Abstract 1 [1]. Es ist der Traum für jeden Wissenschaftler, einmal den LBA1 in Chicago zu erreichen. Und dieses Jahr ist dies Prof. Dr. Jens Höppner von der Universität Bielefeld gelungen.

Mit der ESOPEC-Studie haben die Kollegen, die diese Studie geleitet und initiiert haben, eine wichtige Fragestellung ein für alle Mal beantwortet. In der prospektiven, randomisierten, multizentrischen Phase-3-Studie wurde bei Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen Adenokarzinom des Ösophagus das perioperative FLOT-Schema mit dem neoadjuvanten Radiochemotherapie- Protokoll CROSS Head to Head verglichen. Die Frage taucht immer wieder mal in Tumorboards auf - was ist besser, CROSS oder FLOT? Nach dieser Studie wissen Sie jetzt, was Sie zu tun haben.

Insgesamt waren 25 Zentren in Deutschland beteiligt, 438 Patienten wurden eingeschlossen und das waren Patienten mit einem cT1 cN+ cM0-Tumor oder einem cT2-4a cN0+/-, cM0 resektablem Ösophaguskarzinom.

Die Patientencharakteristika der 2 Gruppen waren sehr ausgeglichen, 221 Patienten waren im FLOT-Arm und 217 im CROSS-Arm. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben.

Die neoadjuvante Therapie haben insgesamt 403 Patienten begonnen. Die Arme waren immer sehr ausgeglichen, deswegen gehe ich jetzt nicht auf die genauen Zahlen ein, die können Sie auch nachlesen. Operiert wurden insgesamt 371 Patienten und hiervon erreichten 351 Patienten eine R0-Resektion. Die 90 Tage postoperative Mortalität betrug insgesamt 4,3%, sie war mit 3,2% etwas geringer im FLOT-Arm als 5,6% im CROSS-Arm.

Nach einem medianen Follow-Up von 55 Monaten waren insgesamt 218 Patienten verstorben, und zwar 97 im FLOT-Arm und 121 im CROSS-Arm. Und jetzt aufgepasst: Das mediane Gesamtüberleben war mit 66 Monaten im FLOT-Arm den 37 Monaten im CROSS-Arm deutlich überlegen. Und auch das 3-Jahres-OS war für FLOT besser als für CROSS. Das ist wohl dem geschuldet, dass im FLOT-Arm auch eine höhere Rate an pathologischen Komplettremissionen erreicht werden konnte.

Also m. E. gibt es jetzt keine Diskussionen mehr, denn wir wissen jetzt, was wir zu tun haben. Perioperatives FLOT ist eindeutig überlegen dem neoadjuvanten CROSS-Schema beim resektablen lokal fortgeschrittenen Adenokarzinom des Ösophagus.

Videoberatung zur Integration der Palliativmedizin

Und damit komme ich von der harten Akutmedizin zu den weicheren Themen. Sie sind mein Faible und meine große Liebe gehört auch der Palliativmedizin. Da wurde ich auf diesem ASCO-Kongress gut bedient. Ich möchte ihnen jetzt noch 2 Studien vorstellen, die sich mit der Integration von Palliativmedizin beschäftigt haben.

Beginnen möchte ich mit dem Late Breaking Abstract 3 [2]. Er wurde auch in der Plenarsitzung vorgestellt - also ein Ritterschlag für so ein Thema - und zwar von PD Dr. Joseph Greer von der Harvard Medical School, Boston. Die Arbeitsgruppe schart sich um Prof. Dr. Jennifer Temel, die 2010 im New England Journal of Medicine dieses bekannte Paper zur frühen Integration von Palliativmedizin bei Patienten mit metastasiertem NSCLC publiziert hat.

Auch diesmal wurden NSCLC-Patienten untersucht, und zwar ging es um die frühe Integration durch Telemedizin versus frühe palliative Versorgung durch einen persönlichen Besuch bei einem Palliativ-Mediziner.

Grund für die Studie war, dass wir zwar wissen, dass Early Palliative Care sehr wichtig ist, aber im ambulanten Setting natürlich der Zugang für die Patienten teilweise limitiert ist und auch die Ressourcen fehlen. Und um diese Barrieren zu überwinden, hat die Arbeitsgruppe diese Studie aufgelegt, und zwar einen Direktvergleich zwischen Videos versus persönliche palliativmedizinische Beratung, und zwar bei NSCLC-Patienten und auch bei ihren Betreuern.

Die Studie fand von 2018 bis 2023 statt. Es sind insgesamt 1.250 Patienten eingeschlossen worden mit fortgeschrittenem, nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom, die in den letzten 12 Wochen ihre Diagnose erhalten haben. In 22 Zentren in den USA wurden sie randomisiert per Telemedizin oder persönlich beraten. Das Studiendesign war ganz einfach. Je die Hälfte der Patienten haben einen Palliativmediziner alle 4 Wochen getroffen seit dem Einschluss, und zwar entweder per Video oder im ambulanten Setting.

Gemessen wurden die Patient reported Outcomes (PRO) zum Ausgangspunkt sowie nach 12 und nach 24 Wochen. Genauso wurde auch geguckt, was die Caregiver machen, ob sie an diesen Visits teilnehmen, ob mehr bei persönlicher Beratung oder eher bei telemedizinischer Beratung. Ferner wurden auch Patient reported Outcomes erfasst zu Depressionen, Angstsymptomen, Coping und auch zur Wahrnehmung der Prognose.

Zu den Ergebnissen: Die Anzahl der Visits war in beiden Gruppen annähernd gleich mit 4,7 (Video) und 4,9 nach 24 Wochen. Aufgrund der Pandemie waren auch Video-Beratungen in der Gruppe der Patienten dabei, die eigentlich in Persona hätten gesehen werden sollen. Aber das ist eben der Pandemie geschuldet. Es war auch nur eine kleine Gruppe (3,9%).

Die Scores zur Lebensqualität, die man als primären Endpunkt am Ende der Studie nach 24 Wochen untersucht hat, waren zwischen beiden Armen gleich mit eine FACT-L-Score von 99,7 (Video) bzw. 97,7. Auffallend war, dass signifikant weniger Betreuer bei den Video-Beratungen teilgenommen haben als bei den persönlichen Visits (36,6% vs. 49,7%, p < 0,001).

Aber es gab keine Unterschiede hinsichtlich Depressionen, Angstsymptomen, Copings, Möglichkeiten oder auch der Wahrnehmung des Therapieziels oder der Kurabilität – beziehungsweise der palliativen Behandlungssituation.

Fazit ist also, dass man diese frühe palliative Integration auch via Video virtuell gestalten kann. Bei den Patienten-bezogenen Outcomes gibt es keinen Unterschied, ein Unterschied war, dass die Betreuer den Videositzungen weniger beigewohnt haben. Aber insgesamt zeigt die Studie doch, das ist machbar, dadurch kann man Beratungen einer viel größeren Gruppe von Palliativpatienten zugänglich machen. Darüber sollten wir auch nachdenken.

Stufenweise Palliativversorgung bei Lungenkrebs

Die 2. Studie wurde von Jennifer Temel selbst vorgestellt. Es ging um die stufenweise Palliativversorgung bei Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkarzinom [3].

Hintergrund war auch hier, dass die Evidenz für Early Integration sehr gut ist, dass sie die Outcomes verbessert. Aber es gibt eben einfach Limitationen, warum sich das aus den verschiedensten Gründen nicht durchsetzt.

Deshalben haben sich die Kollegen ein Stepped Care-Modell für Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC überlegt, das weniger ressourcenintensiv, aber mehr patientenzentriert war.

Das war eine offene randomisierte Nichtunterlegenheits-Studie mit normaler früher palliativer Versorgung im Vergleich zum Stufenmodell. In 3 Zentren wurden 507 Patienten mit fortgeschrittenen Lungenkarzinomen eingeschlossen, deren Erstdiagnose 12 Wochen zurücklag.

Es wurde auf Nichtunterlegenheit getestet und untersucht wurde die Lebensqualität mit dem FACT-L nach 24 Wochen.

Jetzt erkläre ich Ihnen das Modell: Stufe 1 war ein initialer Besuch bei einem Palliativmediziner innerhalb von 4 Wochen nach Studieneinschluss und danach gab es nur Besuche, wenn sich irgendwas im in der Behandlung des Tumors geändert hat oder nach einer Hospitalisierungsphase. Die Lebensqualitäts-Assessments liefen durch. Sie wurden alle 6 Wochen über bis zu 18 Monate erhoben. Patienten, die sich ≥ 10 Punkte im FACT-L verschlechterten, wurden in die Stufe 2 transferiert und haben dann den Palliativmediziner alle 4 Wochen gesehen. Aber am Anfang hat man die Intervalle etwas verlängert, rausgezögert eben sozusagen nach Bedarf. Wenn der Bedarf sichtlich größer geworden ist, hat man umgestellt.

Patienten im normalen Early Palliative Care Arm hatten alle 4 Wochen nach Einschluss in die Studie einen Besuch beim Palliativmediziner.

Von den 507 Patienten waren 51,4% Frauen, das mediane Alter war 66,5 Jahre. Im Durchschnitt fanden 2,4 Palliativ-Besuche im Stepped Care Modell und 4,7 im normalen Early Integration Arm statt (p <0,0001). Nach 24 Wochen waren die Scores zur Lebensqualität nicht unterlegen bei den Patienten, die dieses Stepped Care Modell durchlaufen haben – im Vergleich zum normalen Versorgungsmodell. Auffallend war aber, dass weniger Patienten im Stepped Palliativ Care Arm ins Hospiz gegangen sind. Dieser Unterschied muss sicher noch weiterverfolgt werden.

Mit dem Stepped Care Modell hat man praktisch keinen Nachteil für die Patienten gesehen. Man sparte Ressourcen, was man ja genau so wollte, ohne die Lebensqualität der Patienten zu verschlechtern. Und dies, obwohl weniger Patienten letztendlich ins Hospiz gegangen sind.

Wie die Studie zur Telemedizin ist dies ein Versuch, ressourcenschonend mehr Palliativmedizin zu ermöglichen. Damit wir einfach eine stärkere Verbreitung für diesen Versorgungsweg haben.

Eine solche Strategie sollten wir uns in Deutschland auch überlegen. Sie wissen, die Diskussion über die End of Life Care ist aktueller denn je und hier gehört natürlich Early Integration dazu. M. E. lohnt es sich, diese Modelle und auch die Studien genauer anzuschauen, ob das auch für Deutschland Versorgungs-Modelle sind.

In diesem Sinne vielen Dank fürs Zuhören und Zuschauen. Sie werden bestimmt noch viel von diesem tollen ASCO-Kongress hören in anderen Zusammenhängen.

Ich verabschiede mich für heute und sage Tschüss bis zum nächsten Mal.

 

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