EMA: 14 neue Zulassungsempfehlungen, u.a. Gentherapie bei Hämophilie B, nasales Influenza-Vakzin, Chikungunya-Impfstoff

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

3. Juni 2024

Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat auf seiner Sitzung im Mai 2024 14 Arzneimittel zur Zulassung empfohlen, darunter eine Gentherapie bei Hämophilie B, ein nasales Influenza-Vakzin und einen Lebendimpfstoff gegen das Chikungunya-Fieber [1]

Adzynma® (rADAMTS13) bei angeborener thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura

Ein positives Votum erteilte der CHMP Adzynma® (rADAMTS13), einer Enzymersatztherapie zur Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit angeborener thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura (TTP). Hier handelt es sich um eine seltene, lebensbedrohliche Bluterkrankung, die durch Blutgerinnung in kleinen Blutgefäßen im ganzen Körper gekennzeichnet. Sie kann zu Organschäden und zum vorzeitigen Tod führen. 

Das Fehlen oder die starke Verminderung der Von-Willebrand-Faktor-(VWF) -spaltenden Metalloprotease ADAMTS13 wird mit TTP in Verbindung gebracht. rADAMTS13 soll die spontane Bildung von VWF-Plättchen-Mikrothromben, die für den Thrombozytenverbrauch und die Thrombozytopenie bei Patienten mit cTTP verantwortlich sind, verringern oder beseitigen. 

Im Vergleich zu plasmabasierten Therapien profitieren Patienten unter Adzynma® von einer Verringerung akuter und subakuter Ereignisse der TTP. Dazu zählen Thrombozytopenien, mikroangiopathische hämolytische Anämien und weitere organspezifische Manifestationen.

Die häufigsten Nebenwirkungen von Adzynma® sind Infektionen der oberen Atemwege, Thrombozytose, Kopfschmerzen, Schwindel, Migräne, Schläfrigkeit, Durchfall, Übelkeit, Verstopfung, abdominale Distension, Asthenie, Hitzegefühl und abnorme ADAMTS13-Werte. 

Akantior® (Polyhexanid) bei Acanthamöben-Keratitis

Grünes Licht gab es auch für Akantior® (Polyhexanid) zur Behandlung der Acanthamöben-Keratitis, einer schweren, fortschreitenden und das Sehvermögen bedrohenden Hornhautinfektion mit starken Schmerzen und mit Lichtempfindlichkeit. Vor allem Kontaktlinsenträger sind betroffen.

Polihexanid, ein Antiinfektivum, zerstört Acanthamöben-Zellmembranen und schädigt Chromosomen der Erreger. Studien zeigen eine höhere klinische Ansprechrate, definiert als keine behandlungsbedürftige Hornhautentzündung, keine oder leichte Bindehautentzündung, keine Entzündung der Gliedmaßen bzw. der Augenvorderkammer und kein Rezidiv innerhalb von 30 Tagen nach Absetzen der Therapie. Als Vergleich wurden historischen Daten von Patienten, die nach Acanthamöben-Infektionen keine Therapie erhielten, herangezogen. 

Die häufigsten Nebenwirkungen von Akantior® sind Augenschmerzen und eine okuläre Hyperämie.

Cejemly® (Sugemalimab) bei nicht-kleinzelligem Lungenkrebs

Der Ausschuss gab eine positive Stellungnahme zu Cejemly® (Sugemalimab) für die Behandlung von Erwachsenen mit metastasiertem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) ab. 

Sugemalimab ist ein antineoplastischer monoklonaler Antikörper, der T-Zell-Reaktionen, einschließlich Anti-Tumor-Reaktionen, durch eine Blockade der PD-1-Bindung an PD-L1-Liganden verstärkt.

Bei Patienten mit metastasiertem NSCLC führt Cejemly® in Kombination mit einer Chemotherapie zu einer klinisch bedeutsamen Verbesserung des progressionsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens im Vergleich zu Placebo in Kombination mit einer Chemotherapie. 

Die häufigsten Nebenwirkungen sind Anämien (77,5% aller Patienten), ein Anstieg der Aspartat-Aminotransferase (34,0%) sowie ein Anstieg der Alanin-Aminotransferase (32,0%).

Durveqtix® (Fidanacogen elaparvovec) bei Hämophilie B

Die EMA hat empfohlen, Durveqtix® (Fidanacogene elaparvovec) eine bedingte Zulassung zur Behandlung von schwerer und mittelschwerer Hämophilie B bei Erwachsenen zu erteilen. Geeignet sind Patienten, die keine Faktor-IX-Inhibitoren (Autoantikörper, die vom Immunsystem gegen Faktor-IX-Ersatzpräparate gebildet werden) und keine nachweisbaren Antikörper gegen das Adeno-assoziierten Virus vom Serotyp Rh74 (AAVRh74var) haben.

Durveqtix® ist eine Gentherapie, die als einmalige Infusion verabreicht wird. Ziel ist, dass der Körper den Faktor IX selbst produziert und Blutungen so verhindert bzw. kontrolliert werden. 

Die Empfehlung stützt sich auf die Ergebnisse einer laufenden einarmigen, offenen Phase-3-Studie mit 45 erwachsenen männlichen Patienten mit mittelschwerer oder schwerer Hämophilie B. Alle Teilnehmer wurden negativ auf neutralisierende Antikörper gegen AAVRh74var getestet. Die erhielten die Gentherapie als einmalige Infusion. 

Die Studie hat ergeben, dass Durveqtix® die Häufigkeit von Blutungen im Vergleich zur Standardbehandlung (Faktor-IX-Prophylaxe) erheblich verringert. Die annualisierte Blutungsrate (ABR) betrug 1,44 für Fidanacogene elaparvovec gegenüber 4,50 für die Prophylaxe. Während des individuellen Beobachtungszeitraums von 2 bis zu 4 Jahren blieben 60% der Patienten nach der Gentherapie ohne Blutungsereignis, verglichen mit 29% der Kontrollen. Der Verbrauch von prophylaktischem Faktor IX wurde nach der Behandlung mit Durveqtix® um 92,4 % gesenkt.

Patienten der gentherapie-Gruppe werden 15 Jahre lang nachbeobachtet, davon 6 Jahre in der zulassungsrelevanten klinischen Studie und weitere 9 Jahre im Rahmen einer separaten Studie zur Überwachung der langfristigen Wirksamkeit und Sicherheit dieser Gentherapie.

Die häufigste Nebenwirkung ist ein Anstieg der Leberenzymwerte (Transaminasen). Dies kann mit Kortikosteroiden behandelt werden. Weitere häufige Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen und grippeähnliche Symptome, erhöhte Kreatinin- und Laktatdehydrogenase-Werte. Patienten sollten auf infusionsbedingte Reaktionen überwacht werden.

Im Rahmen der Bewertung aller verfügbaren Daten kam der Ausschuss für neuartige Therapien (Committee for Advanced Therapies, CAT), der Sachverständigenausschuss der EMA für zell- und genbasierte Arzneimittel, zu dem Schluss, dass der Nutzen von Durveqtix® bei Patienten mit Hämophilie B die möglichen Risiken überwiegt. Der CHMP schloss sich der Bewertung und der positiven Stellungnahme des CAT an und empfahl die Zulassung dieses Arzneimittels.

Fluenz® (attenuierter Influenza-Lebendimpfstoff, nasal)

Fluenz®, ein attenuierter Influenza-Lebendimpfstoff, wird als Nasenspray (Suspension) erhältlich sein. Er enthält die abgeschwächten Influenza-Lebendvirusstämme A/(H1N1), A/(H3N2) und B aus der Victoria-Linie. Die Virusstämme im Fluenz-Impfstoff vermehren sich im Nasen-Rachen-Raum und lösen eine spezifische Immunreaktion aus.

Die Vorteile des Vakzins bestehen darin, dass Kinder und Jugendliche im Alter von 2 bis unter 18 Jahren durch intranasale Verabreichung – ohne Spritze – vor der saisonalen Grippe geschützt werden. Dabei kann es zu einer verstopften Nase bzw. zu Rhinorrhoe, zu vermindertem Appetit, Kopfschmerzen und Unwohlsein kommen. 

GalliaPharm® zur Positronen-Emissions-Tomographie

Der CHMP gab eine positive Stellungnahme zu GalliaPharm® (Germanium (68Ge)-chlorid/Gallium (68Ga)-chlorid) ab, das als radioaktiver Marker in verschiedenen Kits für die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) verwendet werden soll.

Wie aus der medizinischen Fachliteratur hervorgeht, eignen sich mit Gallium markierte Trägermedikamente zur Diagnose von neuroendokrinen Tumoren und Prostatakrebs. Die Sicherheit des Radionuklidgenerators GalliaPharm® hängt von seiner technischen Ausstattung und Funktionsweise ab; er muss ordnungsgemäß gewartet werden. 

Unerwünschte Wirkungen in Zusammenhang mit Gallium (68Ga) sind auf das jeweils im Kit eingesetzte Trägermedikament zurückzuführen. Gallium (68Ga) emittiert Strahlung, die zu einem höheren Risiko von Krebs oder erblichen Anomalien führen kann. 

Ixchiq® (Chikungunya-Lebendimpfstoff)

Die EMA hat empfohlen, in der Europäischen Union (EU) eine Marktzulassung für Ixchiq® zu erteilen. Es handelt sich um den 1. Impfstoff in der EU, der Erwachsene ab 18 Jahren vor Chikungunya schützt.  Der Impfstoff wird als Einzeldosis verabreicht.

Chikungunya ist eine Viruserkrankung, die durch das Chikungunya-Virus (CHIKV) verursacht wird, ein Virus, das durch infizierte Mücken wie Aedes aegypti und Aedes albopictus auf den Menschen übertragen wird.

Bei den meisten mit CHIKV infizierten Personen treten innerhalb von 3-7 Tagen Beschwerden auf. Die häufigsten Symptome einer akuten Erkrankung sind Fieber und Gelenkschmerzen. Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Gelenkschwellungen oder Hautausschlag kommen ebenfalls vor. 

Die meisten Patienten erholen sich innerhalb einer Woche, manche leiden jedoch mehrere Monate oder länger unter Gelenkschmerzen, die zu Behinderungen führen können. Bei einem kleinen Teil der Patienten kann es zu einer schweren akuten Erkrankung kommen, die zu Multiorganversagen führen kann. Besonders gefährdet sind Neugeborene, die während der Geburt dem Virus ausgesetzt waren, sowie Erwachsene über 65 Jahren. Es gibt keine zugelassene Behandlung für Chikungunya.

Chikungunya ist in Europa nicht endemisch. Meist infizieren sich Menschen in den Tropen und Subtropen. Die Länder mit hoher Krankheitslast liegen in Mittel- und Südamerika. Die meisten Fälle in der EU betreffen Reisende, die sich außerhalb des europäischen Festlands angesteckt haben. 

Die Stellungnahme des CHMP basiert größtenteils auf Daten aus einer placebokontrollierten Studie, in der die Immunogenität und Sicherheit des Impfstoffs bei Erwachsenen ab 18 Jahren untersucht wurde. Die Immunantwort wurde bei 362 Teilnehmern (266 mit Ixchiq® und 96 mit Placebo) untersucht. 

Die klinische Wirksamkeit des Vakzins wurde aus einem CHIKV-spezifischen neutralisierenden Antikörpertiter-Schwellenwert nach der Impfung abgeleitet. 28 Tage nach der Impfung wiesen 98,9% der geimpften Personen Antikörpertiter gegen CHIKV über dem Schwellenwert auf. 6 Monate und 12 Monate nach der Impfung waren Antikörpertiter über dem Schwellenwert noch bei 99,5% bzw. 97,1% der geimpften Probanden nachweisbar. Die Titer werden bis zu 5 Jahre lang erfasst. 

Der CHMP hat nach der Zulassung eine Wirksamkeitsstudie angefordert, um die Wirksamkeit von Ixchiq® bei der Vorbeugung von Chikungunya bei Erwachsenen zu bestätigen.

Das Sicherheitsprofil basiert auf Daten aus 3 abgeschlossenen klinischen Studien mit 3.610 Teilnehmern und einer 6-monatigen Nachbeobachtung. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen, Müdigkeit, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Fieber, Übelkeit, Druckempfindlichkeit und Schmerzen an der Injektionsstelle. Chikungunya-ähnliche Nebenwirkungen sind ein wichtiges, bei den Studien identifiziertes Risiko. Sie werden nach der Zulassung in Sicherheitsstudien weiter untersucht. 

Biosimilars und Generika 

Ein Biosimilar, Avzivi® (Bevacizumab), erhielt ein positives Gutachten für die Behandlung von Dickdarm- oder Enddarmkrebs, Brustkrebs, nicht-kleinzelligem Lungenkrebs, Nierenzellkrebs, epithelialem Eierstock-, Eileiter- oder primärem Bauchfellkrebs und Gebärmutterhalskrebs. Es ist dem Referenzprodukt Avastin® (Bevacizumab), das am 12. Januar 2005 in der EU zugelassen wurde, sehr ähnlich. Daten zeigen, dass Avzivi® eine vergleichbare Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit wie das Referenzpräparat aufweist.

5 Generika erhielten ebenfalls eine positive Stellungnahme des Ausschusses: 

  • Apexelsin® (Paclitaxel) zur Behandlung von metastasierendem Brustkrebs

  • Dasatinib Accord Healthcare® (Dasatinib) zur Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie

  • Pomalidomid Accord® (Pomalidomid), Pomalidomid Krka® (Pomalidomid) und Pomalidomid Zentiva® (Pomalidomid) zur Behandlung des multiplen Myeloms.

Erweiterungen bestehender Zulassungen

Der Ausschuss empfahl Indikationserweiterungen für 7 in der EU bereits zugelassene Arzneimittel: 

  • Dupixent® (Dupilumab) bei Erwachsenen als ergänzende Erhaltungstherapie bei unkontrollierter chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD).

  • Eliquis® (Apixaban) zur Behandlung von venösen Thromboembolien (VTE) und zur Vorbeugung von wiederkehrenden VTE bei pädiatrischen Patienten im Alter von 28 Tagen bis unter 18 Jahren.

  • Kinpeygo® (Budesonid) bei Erwachsenen mit primärer Immunglobulin A (IgA)-Nephropathie (IgAN) mit einer Eiweißausscheidung im Urin von 1,0 g/Tag oder einem Verhältnis von Eiweiß zu Kreatinin im Urin von ≥0,8 g/g.

  • Livmarli® (Maralixibat-Chlorid) bei progressiver familiärer intrahepatischer Cholestase (PFIC) bei Patienten im Alter von mindestens 3 Monaten.

  • Skyrizi® (Risankizumab) bei erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aktiver Colitis ulcerosa, die auf eine konventionelle Therapie oder eine Biologika-Therapie unzureichend oder gar nicht angesprochen haben oder diese nicht vertragen.

  • Tagrisso® (Osimertinib) in Kombination mit Pemetrexed und platinbasierter Chemotherapie zur Erstlinienbehandlung erwachsener Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC, deren Tumoren EGFR-Exon 19-Deletionen oder Exon 21 (L858R)-Substitutionsmutationen aufweisen.

  • Tevimbra® (Tislelizumab) als Monotherapie bzw. Kombinationstherapie bei verschiedenen Formen des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms.

 

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