Ärger mit der Digitalisierung: Ärztetag beschließt Opt-out-Lösung bei elektronischer Patientenakte, aber Lesegeräte unzuverlässig

Christian Beneker

Interessenkonflikte

1. Juni 2022

Der Stand der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung in Deutschland lässt zu wünschen übrig. Das ist keine Neuigkeit. Aber für die Delegierten des 126. Deutschen Ärztetages, der am vergangenen Freitag in Bremen zu Ende gegangen ist, ist die schleppende und holprige Einführung der digitalen Anwendungen in Praxen und Krankenh��usern ein Quell steten Ärgernisses [1].

Dr. Peter Bobbert, Vorsitzender des Ausschusses „Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung“ der Bundesärztekammer, erinnerte in seinem Sachstandsbericht vor den Bremer Delegierten an den Ärztetag 2017 in Freiburg. „Damals haben wir entschieden, dass die Digitalisierung für uns mehr Chance als Risiko bedeutet. Außerdem fuhr der Zug der Digitalisierung sowieso. Aber heute sind viele Erwartungen zu Enttäuschungen geworden“, sagte Bobbert. 

Schon in seiner Ansprache zur Eröffnung des Ärztetages hatte BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt wegen der Probleme bei der Digitalisierung analog zum Krankenhauszukunftsgesetz ein „Praxiszukunftsgesetz“ gefordert. Schließlich würden die digitalen Anwendungen tagtäglich in den Praxen millionenfach zur Anwendung kommen. Das kostet. Elektronische Patientenakte (ePA) und elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und Co. müssten dauerhaft, störungsfrei und sicher im Praxisalltag funktionieren, betonte Reinhardt.

Statt erprobter Lösungen kämen Geräte zu Einsatz, die noch nicht ausreichend getestet wurden. „Es ist das Gegenteil von verantwortungsbewusster Gesundheitspolitik, wenn nicht ausreichend getestete Anwendungen auf Biegen und Brechen eingeführt werden, nur damit die politisch Verantwortlichen einen Haken auf ihrer To-Do-Liste machen können“, schimpfte der BÄK-Präsident. Es sei eine große Gefahr, auf diese Weise das Wohlwollen der Ärzte für die Digitalisierung mit unreifer Technik zu verspielen, so Reinhardt.

Mängel an allen Enden

Ähnlich äußerte sich Erik Bodendieck, Präsident der sächsischen Ärztekammer. Die Lesegeräte funktionierten immer noch nicht reibungslos, oft fehle das Netz, die Praxisverwaltungssysteme kommunizierten nicht mit den Schnittstellen und die Ärzte seien der Marktmacht der Hersteller ausgeliefert.

 
Am Ende muss der Nutzen stehen – das ist unsere politische Forderung! Dr. Peter Bobbert
 

Kein Wunder, dass Bobbert in seinem Vortrag von der Digitalisierung einen höheren Nutzen forderte. „Am Ende muss der Nutzen stehen – das ist unsere politische Forderung!“ Leider seien viele Anwendungen aber immer noch falsch oder schlecht gemacht, so Bobbert. Zwar sei das Wort Digitalisierung oft in der Grußbotschaft des Bundesgesundheitsministers Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) vorgekommen. „Aber jetzt müssen den Worten Taten folgen!“, so Bobbert. Um den Einfluss der Ärzteschaft auf die Digitalisierung zu steigern, erklärte Bobbert, die Ärzte bräuchte eine stärkere Position in der gematik.

Konkret diskutierten die Delegierten besonders die Opt-out-Regel bei der elektronischen Gesundheitsakte (ePA). Die Opt-out-Regel besagt, dass die ePA-Daten eines Patienten etwa der Forschung grundsätzlich zur Verfügung stehen sollen, es sei denn, er widerspricht ausdrücklich (opt out). Bobbert verwies auf die vielen Behandlungsdaten, die etwa bei den Universitätskliniken gesammelt würden. „Es ist frustrierend zu sehen, wie wenig wir aus unseren Datenschätzen machen“, so Bobbert.

 
Es ist frustrierend zu sehen, wie wenig wir aus unseren Datenschätzen machen. Dr. Peter Bobbert
 

Bodendieck erklärte, man sei in Deutschland, was die Datenlage angeht, immer noch schlecht aufgestellt, zum Beispiel in Hinblick auf ein Corona-Impfregister.

Gesundheitsdaten sind „ein Teil unserer selbst“

Aber es gab auch deutliche Kritik am Opt-out-Verfahren bei den ePA-Daten. Vor allem psychisch kranke Patienten dürften mit der Wahlmöglichkeit Probleme bekommen, kritisierte etwa Dr. Christiane Groß, Präsidentin des Ärztinnenbundes. „So lange psychisch Kranke diskriminiert werden, habe ich mit dem Opt-out-Verfahren ein Problem.“ Ärztinnen und Ärzte seien dazu aufgerufen, die Daten ihrer Patienten zu schützen, so die Kritikerinnen. Die Gesundheitsdaten seien „ein großer Teil unserer selbst. Diese Daten darf man nicht einfach weitergeben!“, so eine Stimme aus den Reihen der Delegierten.

 
Ich bin für die Opt-out-Lösung. Sonst wird man in 30 Jahren feststellen, dass der Datenschutz zur häufigsten Todesursache geworden ist. Dr. Peter Bobbert
 

„Die Daten von psychisch kranken Kindern würden für immer aufbewahrt werden“, mahnte auch Christian Messer aus Berlin. Von der praktischen Seite her kritisierte Dr. Robin Maitra aus Baden-Württemberg: Kein Arzt habe Zeit, die ePA von 1.000 Patientinnen und Patienten zu befüllen. „Außerdem verstehen die meisten Patienten sowieso nicht, was opt-out ist!“

Michael Lachmund aus Nordrhein indessen konnte sich einen Kompromiss vorstellen: „Ich bin eigentlich gegen eine Opt-out-Lösung. Aber wenn sie sich nur auf neu erhobene Daten und nicht auf die Bestandsdaten bezieht, dann wäre es schon etwas anderes.“

Die Befürworter unter den Delegierten betonten dagegen die Solidarität der Patientinnen und Patienten. „Datensolidarität und die Datensouveränität müssen Hand in Hand gehen“, argumentierte Bobbert. Die Opt-out-Regelung sei vertretbar und geboten.

Bobbert: „Ich bin für die Opt-out-Lösung. Sonst wird man in 30 Jahren feststellen, dass der Datenschutz zur häufigsten Todesursache geworden ist.“ Nach lebhafter Diskussion entschieden sich die Delegierten schließlich für die Opt-out-Regelung.

 

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