Meinung

Spardiktat, Hetze und Peitsche: Die Ampel im neoliberalen Kürzungsrausch

Harte Sanktionen, Zwang zu stundenlangen Arbeitswegen und Wegfall des "Schonvermögens": Die Ampel plant eine neue Sozialabbau-Agenda, um die "deutsche Wirtschaft zu retten". Zur Begründung liefert sie vor allem neoliberale Märchen. Teilen und Herrschen ist mal wieder angesagt.
Spardiktat, Hetze und Peitsche: Die Ampel im neoliberalen KürzungsrauschQuelle: AFP © RALF HIRSCHBERGER / AFP

Von Susan Bonath

Die Hetze gegen Arbeitslose eskaliert. Die vom Axel-Springer-Blatt Bild vor 20 Jahren als "Florida-Rolf" und "Mallorca-Karin" personifizierten Sündenböcke beschimpft man heute pauschal als "Totalverweigerer", die schuld am wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands seien. Die Ampel setzt wieder mehr auf Erpressung, schürt Missgunst und zückt die Peitsche. 

Mit "schärferen Regeln", wie harte Sanktionen, Zwang zu stundenlangen Arbeitswegen und Verringerung des Schonvermögens, will die Regierung Bürgergeldbezieher "zur Arbeitsaufnahme bewegen". Das besagt ein Maßnahmenkatalog des FDP-geführten Bundesfinanzministeriums unter dem Titel "Wachstumsinitiative – neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland", auf den sich die Koalitionsfraktionen nun einigten. Damit beerdigen sie auch die geplante Kindergrundsicherung. 

Härter bestrafen 

Im gewohnten Slang der für diverse Großkonzerne tätigen Lobbyistenpartei FDP fordert die Ampel-Regierung in ihrem Programm das neoliberale Standardprogramm: mehr Freiheit (und Steuererleichterungen) für das Kapital, mehr Härte gegen Arbeitslose. Ihr Motto "Keine Hilfe ohne Gegenleistung" gilt freilich nur für Letztere.

Sie will Bürgergeldbezieher, die "Angebote" der Jobcenter für Arbeitsstellen oder Maßnahmen ablehnen, wieder härter bestrafen: "Wer eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne triftigen Grund ablehnt, wird mit erhöhten Kürzungen des Bürgergeldes rechnen müssen", heißt es.

Wie einst unter Hartz IV will die Regierung derart Ungehorsamen für drei Monate 30 Prozent der Grundsicherung streichen. Damals waren auch Totalsanktionen erlaubt, die unter 25-Jährige am häufigsten und schnellsten trafen. 2019 wertete das Bundesverfassungsgericht dies als grundgesetzwidrig. Durch die Hintertür führte die Ampel aber kürzlich die Totalsanktionen in leicht abgewandelter Form wieder ein. 

Drei Stunden Arbeitsweg "zumutbar"

Was "zumutbar" oder ein "triftiger Grund" ist, sollen vor allem die Jobcenter entscheiden. In den letzten 20 Jahren fielen diese Behörden, die zum Teil den Arbeitsagenturen sowie den Landkreisen unterstehen, vor allem mit der Vermittlung von Erwerbslosen in prekäre Niedriglohnsektoren auf. Denn für die Qualifizierung fehlte schon im Hartz-IV-System das Geld.

Eine verschärfte Zumutbarkeitsregel legt das Regierungspapier allerdings fest: Eine Pendelzeit zum Job von bis zu drei Stunden täglich müssen von der Behörde Vermittelte hinnehmen, sofern die tägliche Arbeitszeit mindestens sechs Stunden beträgt. Bei Teilzeitjobs mit geringerer täglicher Beschäftigungsdauer sollen Anfahrtswege von bis zu 2,5 Stunden verpflichtend zumutbar sein.

Das heißt im Klartext: Vermitteln Behörden Betroffene zum Beispiel als Teilzeit-Putzkräfte mit einer 30-Stunden-Woche, darf der Arbeitsort so weit entfernt liegen, dass die Anfahrtszeit dahin theoretisch eineinhalb Stunden beträgt. Im Papier ist von verpflichtender Jobsuche im Umkreis von 50 Kilometern die Rede. Wie Betroffene vom Land ohne Auto und Nahverkehr in dieser Zeit dort hingelangen oder wovon sie das bezahlen sollen, erläutern die Autoren nicht.

Hartz IV 2.0

Auch an das vor dem Jobverlust erarbeitete "Schonvermögen" will die Regierung verstärkt ran. Unter Hartz IV durften Betroffene pro Lebensjahr 150 Euro angespart haben. Mit dem Bürgergeld erhöhte sich der Betrag auf 40.000 Euro und 15.000 Euro für weitere Familienmitglieder. Die Bezieher müssen dies seither erst ein Jahr nach Beginn des Bezugs aufbrauchen. Nun soll diese "Karenzzeit" auf ein halbes Jahr sinken.

Mit anderen Worten: Wer entlassen wird und binnen anderthalb Jahren keinen neuen Job gefunden hat, verliert fast alles: Das zu große Haus, die zu kostspielige Mietwohnung, das zu teure Auto, die Sparrücklagen für die Kinder und so weiter. Das müssen Betroffene dann auf Sozialhilfeniveau "aufessen".

Zurückkehren sollen überdies die sogenannten "Ein-Euro-Jobs". Für einen Salär von einem bis zwei Euro pro Stunde sollen Jobcenter schwer Vermittelbare wieder verstärkt dazu heranziehen. Dabei handelt es sich nicht um Arbeitsverhältnisse ‒ bezahlten Urlaub und Entgeltfortzahlung bei Krankheit gibt es nicht.

Im ersten Hartz-IV-Jahrzehnt waren diese Ein-Euro-Jobs ein Dorn im Auge einiger Branchen. Ganze Heerscharen von Ein-Euro-Jobbern ersetzten Festangestellte in der Grünanlagenpflege und beim Winterdienst, in Sportvereinen, Jugendclubs oder bei der Seniorenbetreuung.

Kindergrundsicherung ist tot

Das Gerede im Papier von 30-Prozent-Sanktionen für Leute, die beim Schwarzarbeiten erwischt wurden, kann man indes als blanken Populismus werten, der einen Generalverdacht erzeugen soll und unterstellt, dass dies ein massenhaftes Phänomen sei. Wird jemand bei Schwarzarbeit erwischt, ist das bereits heute strafbar. Auch das Bürgergeld kann dann komplett gestrichen werden.

Man kann konstatieren: Das im Koalitionsvertrag vollmundig versprochene, aber schon bei seiner Einführung einer Hartz-IV-Attrappe gleichende "Bürgergeld" ist völlig  tot – es lebe Hartz IV 2.0.

Tot ist auch die von SPD und Grünen propagierte Kindergrundsicherung, um die Armut bei den Jüngsten zu bekämpfen. In den Haushaltsplanungen der Koalition taucht sie auch für kommendes Jahr nicht auf. Schon im vergangenen Jahr widersetzte sich die FDP mit Unterstützung der Unionsfraktion vehement dem Vorhaben. Heraus kam eine schlechte Symbolattrappe. Auch die wird offensichtlich niemals umgesetzt werden.

Stattdessen bleibt's beim Alten: Eine mickrige Kindergelderhöhung von fünf Euro soll kommen. Nun ist anzumerken, dass jeder Cent des Kindergeldes vom Bürgergeld wieder abgezogen wird. Genau wie unter Hartz IV hat also ohnehin nichts davon, wer auf diese Leistung angewiesen ist. Für alle anderen mit Nachwuchs ist Kindergeld sozusagen ein bedingungsloses Grundeinkommen – egal, wie dick das Konto ist. Wer wohlhabend genug ist, soll dann auch von einer Erhöhung des Kinderfreibetrages profitieren.

Der Russe sei schuld

All die neuerlichen Sozialabbaupläne deklariert die Ampel in ihrem Papier als alternativlosen Sparzwang. Schließlich gehe es der Wirtschaft schlecht und schuld sei, wie man es erahnen kann, weder die Politik noch die kapitalistische Krisendynamik, sondern, neben Bürgergeld beziehenden "Faulpelzen", der "Übeltäter" schlechthin: der Russe.

So haben also in der Ampel-Fantasie weder die extremen Corona-Einschränkungen noch die absurden Sanktionen gegen Russland etwas mit der Energiepreis-Explosion und der folgenden Abwanderung großer und der Schwächung kleiner und mittelständischer Unternehmen zu tun. Nein, zu Sündenböcken erklären die "Ampel-Experten" Arme, das Coronavirus und "den russischen Einmarsch in die Ukraine".

Und weil eben nicht mehr so viel da sei, das man in die aufzurüstenden Kriegskassen umschichten kann, sollen die Armen ihre Gürtel noch enger schnallen. Wenn dann die Kriminalität weiter steigt, weil manch ein Verarmter auch ein Stück vom Kuchen begehrt, können die Regierenden ja gleich den Überwachungsstaat ein wenig weiter ausbauen.

Wie wäre es, sarkastisch gefragt, mit einer ein- und ausschaltbaren "Bezahlkarte" für alle Lohnabhängigen? Vorschläge, dieses Repressionsinstrument gegen Flüchtlinge auf Bürgergeldbezieher auszuweiten, tragen diverse Politiker und Medien bereits seit einiger Zeit vor.

Weniger offene Stellen

Die Peitsche, die FDP, SPD und Grüne unter Beifall der Unionsfraktion schwingen, um Bürgergeldbezieher in den Arbeitsmarkt zu zwängen, krankt an vielen Stellen. So steigt, trotz Klagen über Fachkräftemangel, schon jetzt die Arbeitslosigkeit in Deutschland wieder. Immer mehr dieser Betroffenen rutschen am Ende in das Bürgergeld. Und das hat seinen Grund.

Denn die Zahl der bei der Arbeitsagentur gemeldeten offenen Arbeitsstellen sinkt seit Monaten. Mitte 2022 war deren Zahl kurzzeitig auf fast 900.000 hochgeschnellt, in diesem Juni aber wieder unter 700.000 gerutscht – bei 2,73 Millionen als arbeitslos und erwerbsfähig registrierten Erwachsenen.

Kein Geld für Qualifizierung

Betrachtet man die "offenen Arbeitsstellen" vom Juni dieses Jahres genauer, sieht es noch düsterer aus. Zieht man Teilzeit- und befristete Arbeitsstellen ab, bleiben etwas mehr als eine halbe Million sozialversicherungspflichtige Jobs übrig, davon lediglich gut 130.000 Helferstellen. Der Rest waren Stellen für "Experten/Spezialisten" und spezifische Fachkräfte.

Da die Regierung auch 2,6 Milliarden Euro bei der Qualifizierung Arbeitsloser streichen will, kommen für die meisten offenen Stellen schwer vermittelbare Bürgergeldbezieher von vornherein also gar nicht infrage. Dagegen hilft auch die Sanktions- und Erpressungspeitsche wenig.

Populistisches Täuschungsmanöver

Bestenfalls nur Peanuts werden die verschärften Sanktionen in die Kassen spülen. Der größte Posten im Sozialhaushalt ist nämlich die Rente. Für die Bürgergeld-Leistungen beinhaltet der Etat in diesem Jahr gerade einmal 26,5 Milliarden Euro. Das ist weniger als ein Drittel der Ausgaben für den Militäretat von rund 90 Milliarden Euro.

Allein diese Zahlen zeigen: Es handelt sich um ein populistisches Täuschungsmanöver, bei dem es wohl ausschließlich darum geht, Neid und Missgunst unter Lohnabhängigen zu schüren. Während sich die "kleinen Leute" gegenseitig die Butter auf dem Brot neiden und "Faulheit" vorwerfen, knallen oben vermutlich längst die Champagnerkorken.

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