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Wissenschaft Fischsterben

„Die Salzbelastung war in diesem Jahr schon häufiger im kritischen Bereich“

Redakteurin im Ressort Wissen
Ein toter Fisch und eine tote Muschel treiben im Nebenarm der Oder Ein toter Fisch und eine tote Muschel treiben im Nebenarm der Oder
Ein toter Fisch und eine tote Muschel treiben im Nebenarm der Oder
Quelle: picture alliance/dpa
In der Oder wurden nun, zwei Jahre nach dem großen Fischsterben, erneut hunderte Kilo toter Tiere gefunden. Der Grund scheint dieses Mal ein anderer zu sein, sagt der Gewässerökologe Christian Wolter. Er warnt vor einer neuen Umweltkatastrophe – und übt heftige Kritik an den Behörden.
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WELT: Polnische Behörden teilten mit, sie hätten kürzlich innerhalb von drei Tagen 600 Kilogramm toter Fische aus der Oder geborgen. Das weckt Erinnerungen an die Katastrophe vor zwei Jahren. Auch bei Ihnen?

Christian Wolter: Ich war natürlich besorgt, als ich davon gehört habe. Polnische Kollegen haben mir dann aber berichtet, dass die toten Tiere in den Nebenarmen der Oder gefunden wurden, nicht im Hauptstrom selbst.

WELT: Was bedeutet das?

Wolter: Eine kleine Erleichterung, zumindest vorerst. Im Hauptstrom selbst gibt es also bislang noch keine giftproduzierende Welle an Goldalgen wie 2022. Nur in den Nebengewässern hat man überhaupt die Chance, etwas gegen die Goldalge zu tun. Als die Art bereits im vergangenen Jahr wieder in den Nebenarmen auftrat, haben die polnischen Behörden Bleichmittel und andere Chemikalien eingesetzt, um sie dort zu vernichten. Die Mittel schädigen zwar massiv die Tiere und das Ökosystem in diesen Nebenarmen. Man konnte aber dadurch das Flusssystem als Ganzes retten. Im Strom selbst ist das undenkbar. Wegen der großen Wassermengen wären enorme Mengen an Chemikalien notwendig, die allen anderen Arten extrem schaden würden.

Christian Wolter 2023
Der Gewässerökologe Christian Wolter
Quelle: frei im IGB-Kontext

WELT: Im August 2022 hatte ein hoher Salzgehalt durch die Einleitungen salziger Abwässer aus Kohlegruben und Industrien in Kombination mit niedrigen Pegeln und hohen Wassertemperaturen diese giftige Goldalge massiv wachsen lassen. Was ist bisher über die aktuelle Ursache für die toten Fische bekannt?

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Wolter: In den Nebengewässern, in denen das Wasser oft steht, herrschen aktuell sehr günstige Bedingungen für Algenblüten aller Art. Wir wissen in dem Falle nicht, ob es von denen wieder die Goldalge war, die die Fische sterben ließ. Die bisherigen Bilder und auch die Schilderungen der Angler deuten aber darauf hin, dass es diesmal etwas anderes war.

WELT: Aha?

Wolter: Es sieht eher so aus, als wären die Fische an Sauerstoffmangel gestorben. Es herrscht in diesen Nebengewässern eine Situation, die wir relativ häufig in verschmutzten, stehenden Gewässern beobachten: Die entstandenen Algenblüten zehren sehr viel Sauerstoff. Bei bedecktem Wetter wie in den vergangenen Wochen produzieren sie tagsüber nicht viel Sauerstoff, ohne Sonne ist die Photosynthese weniger effektiv. Nachts nutzen die Pflanzen dann aber selbst den wenigen Sauerstoff, sodass der am Morgen nahezu komplett aufgebraucht ist. Als die toten Fische gefunden wurden, hat leider hat niemand den Sauerstoff-Gehalt in den Nebengewässern gemessen, um das eindeutig zu belegen.

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WELT: Die Goldalge hat noch keine Rolle gespielt? Auf deutscher Seite hat das Brandenburgische Landesamt für Umwelt kürzlich festgestellt, dass sie sich bereits wieder massenhaft ausgebreitet hat.

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Wolter: Im Hauptstrom ist die Goldalge tatsächlich aktuell die dominierende Art unter den Algen. Wäre deren Blüte, also massenhafte Vermehrung, momentan toxisch, würde man auch dort tote Fische finden. Die ungewöhnlich niedrigen Temperaturen verlangsamen ihr Wachstum und womöglich die Giftproduktion.

WELT: Würde es in den kommenden Tagen wärmer werden, könnte das Gift der Goldalge dennoch kommen?

Wolter: Das können wir nicht ausschließen. Wir hoffen natürlich, dass es nicht passiert und stattdessen mehr Regen das Wasser weiter verdünnt. Generell wissen wir aber noch zu wenig darüber, wann die Alge ihr Gift produziert. Wir haben jetzt erstmals Daten, die erklären, wie sich eine Blüte wie die vom August 2022 entwickeln kann. Davor hatten wir solche Umstände ja noch nicht erlebt.

WELT: Was sagen diese Daten?

Wolter: Die müssen wir nun vertiefend analysieren, um den Verlauf einer solchen Blüte besser zu verstehen und herauszufinden, welche Faktoren, neben Temperatur und Salzgehalt, die Wachstumsgeschwindigkeit bestimmen, um daraus vielleicht Anzeichen zur Früherkennung möglicher Giftproduktion abzuleiten.

WELT: Könnten diese Goldalgen-Blüten auch in anderen deutschen Flüssen auftreten?

Wolter: Erst seit der Katastrophe wird auch in anderen Flüssen intensiver nach dieser Alge gesucht. Seither wissen wir, sie kommt auch in anderen Gewässern vor, beispielsweise im Oder-Spree-Kanal und in der Havel. Dort war sie womöglich auch schon vor 2022. Schon einige Jahre früher hatte ein Algenspezialist davor gewarnt, dass sie in Brandenburger Gewässern vorkommt, für ihre Fischtoxizität bekannt ist und zum Beispiel in den Braunkohlerestseen ein Fischsterben auslösen könnte.

Salze aus den Kohlegruben

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WELT: Wieso wird die Alge plötzlich häufiger zum Problem?

Wolter: Vor der Goldalge waren vor allem sogenannte Blaualgen das Problem, insbesondere in stehenden Gewässern. Die führen aber nur örtlich zu Sauerstoffmangel und lassen dadurch lokal begrenzt Fische und andere Tiere absterben. Die Goldalge braucht eine höhere Konzentration an Natriumchlorid zum Wachsen, sprich Salz. Dass es in der Oder genügend Salz für sie gab und gibt, hat mit den zahlreichen Kohlegruben auf polnischer Seite zu tun. Die leiten ihre Sümpfungswässer, also das Wasser aus den Gruben, in die Oder. Bei extrem niedrigen Pegeln wie sie vor zwei Jahren herrschten, führt das zu besonders hohen Salzkonzentrationen. Solche Einleitungen von Sümpfungswasser gibt es auch an anderen Flüssen, in der Lausitz und im Ruhrpott etwa, selbst nach Stilllegung des Bergbaus.

WELT: Warum kam es dort bis jetzt nicht zum massenhaften Fischsterben?

Wolter: Zum einen war es wohl schlichtweg Zufall. Niemand weiß bislang, wie oft diese einzellige Alge mit Wind und Wasser über zig Kilometer auch in viele andere Gewässer verfrachtet wurde. In den allermeisten Fällen ist sie irgendwo gelandet, wo sie sich nicht weiterentwickeln konnte – statt in stehenden Salzgewässern. Zum anderen wissen wir, dass die Art zum Wachsen das als Kochsalz bekannte Natriumchlorid benötigt. Viele Flüsse sind durch Abwässer der Kali-Industrie aber mit einer anderen Ionenzusammensetzung versalzen, die der Goldalge nichts nützt.

WELT: Wie geht es der Oder heute insgesamt?

Wolter: Im August 2022 sind nicht nur massenweise Fische gestorben, sondern auch zahlreiche Großmuscheln. Dem Nahrungsnetz fehlen damit effektive Filtrierer, die sich nicht einfach ersetzen lassen. Dadurch können sich aktuell Algen aller Art vermehren, das Wasser ist trüber. Trotzdem hatten wir 2023 Glück: Durch das lang anhaltende Frühjahrshochwasser boten sich den Fischen gute Laich- und Aufzuchtbedingungen, der Jahrgang war damit ein erstaunlich guter. Dieses Jahr herrschten schlechtere Bedingungen. Das Hochwasser kam schon im Winter. Als die Temperaturen dann im Frühjahr für die Fische geeignet waren, fielen die Wasserstände zu schnell, sodass es wenige überschwemmte Bereichen und somit Aufwuchsgebiete gab.

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WELT: Ist trotzdem bald alles wieder beim Alten?

Wolter: Nein. Wir hatten ein Jahr nach der Katastrophe einen relativen Verlust von bis zu 76 Prozent bei der Fischdichte und bis zu 62 Prozent bei der Fischbiomasse gegenüber dem langjährigen Mittelwert vor 2022. Generell erreichen nur ein Prozent der jungen Fische das Erwachsenenalter. Sie allein machen also noch keine Erholung der Oder aus.

WELT: Was ist bislang geschehen, um ein erneutes verheerendes Fischsterben zu verhindern?

Wolter: Man versucht leider vor allem, die Symptome zu bekämpfen. Die Behörden haben auf deutscher und polnischer Seite Messtechnik installiert, um die Wasserwerte besser zu kontrollieren. Sind diese bedenklich, wollen die polnischen Behörden laut ihrem Alarmplan Notmaßnahmen ergreifen, um das Schlimmste zu verhindern: In den besonders gefährdeten alten Flussarmen sollen dann etwa die Fische verscheucht und die Algenblüten mit chemischen Mitteln eingedämmt werden.

WELT: Und was ist mit dem eingeleiteten Salz?

Wolter: Polnische Behörden berichteten zwar, dass einige illegale Einleitungen aufgespürt und Genehmigungen eingeschränkt worden. Laut polnischen Umweltverbänden wird kaum etwas dafür getan, dass wirklich weniger Salz eingeleitet wird. Messstellen des Brandenburgischen Umweltamtes zeigen, dass die Salzbelastung in diesem Jahr schon häufiger im kritischen Bereich lag. Polnische Kollegen und Umweltverbände haben zudem berichtet, dass der Winter – mit den günstigen hohen Pegeln und Kälte – kaum genutzt wurde, um die Speicherbecken der Kohlegruben zu leeren und darin Stauvolumen für den Sommer zu schaffen. Womöglich wird man also wieder bei Hitze und Niedrigwasser einleiten. Und an den Gruben direkt hat man bislang auch nichts unternommen, um das Wasser darin irgendwie zu reinigen. Die Gefahr für die nächste Goldalgen-Blüte ist hoch.

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WELT: Was müsste getan werden, damit es nicht dazu kommt?

Wolter: Das Allerwichtigste wäre, die Salzeinleitung stark zu drosseln. Gleichzeitig müsste man die Menge an Nährstoffen, vor allem aus der Landwirtschaft senken, die generell Algen sprießen lassen. Langfristig müsste die gesamte Struktur der Oder wieder naturnäher werden – mit mehr Nebenarmen und aktive Auen, viel mehr Inseln, Totholz und flache Uferbereiche. Dadurch vergrößert sich die Oberfläche, und die Oder könnte sich besser selbst reinigen.

Zur Person

Christian Wolter leitet die Arbeitsgruppe „Fließgewässerrevitalisierung“ am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Seit 30 Jahren erforscht er die Oder, vor zwei Jahren war er maßgeblich an der Untersuchung der Umweltkatastrophe beteiligt. Damals waren fast 400 Tonnen Fisch – beinahe die Hälfte der Bestände – sowie 60 Prozent der Großmuscheln verendet.

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