Am 8. Dezember um Punkt 11 Uhr werden erstmals in der Mobilfunkgeschichte alle Mobiltelefone in Deutschland gleichzeitig klingeln. Denn da will die Bundesregierung erstmals ein neues Katastrophen-Warnsystem namens Cell Broadcast testen.
Cell Broadcast ist weder eine SMS noch ein Anruf, sondern eher eine Art Rundumnachricht, die alle Geräte im Netz gleichzeitig erreicht – egal ob sie bei Vodafone, O₂ oder der Telekom angemeldet sind, egal ob sie stumm geschaltet sind oder nicht, egal ob das Datenvolumen ausreicht.
„Das System funktioniert so: Die zuständigen Behörden erhalten Kenntnis über Katastrophen und legen ein Gebiet fest, für das die Warnung gilt“, erklärt Mobilfunkbetreiber Vodafone. „Diese Informationen übermitteln sie an die Mobilfunkbetreiber und verschicken die Warnmeldung als Textnachricht über das Mobilfunknetz an die Endgeräte der Mobilfunkkunden.“
Relevant dabei ist, dass das Mobilfunknetz nicht überlastet wird – das wäre anders, wenn etwa per SMS jedes Telefon einzeln kontaktiert würde. Denn dann würden die Nachrichten – ähnlich wie jedes Jahr zu Silvester um Mitternacht – dank Netzüberlastung nur verzögert ausgespielt.
„Anders als bei einer SMS, aber ähnlich wie beim Radio, empfangen alle Geräte, die in den Funkzellen der jeweiligen Region eingebucht sind, die Warnmeldung – daher der Name Cell Broadcast. Je nach Warnstufe geben die Geräte sogar im lautlosen Modus einen Warnton aus“, erklärt Vodafone.
Anders als bei SMS oder bei den Warn-Apps muss nicht jedes Telefon einzeln per Internet angesprochen werden, deswegen wird der Flaschenhals der Internetanbindung der Funkzellen im Mobilfunknetz umgangen. Zudem müssen die Nutzer eben nicht zuvor extra eine App installieren. Die Technik wird in europäischen Nachbarländern wie auch in den USA bereits länger eingesetzt.
Wie gut das neue System funktioniert, wird erst der Test zeigen. Eine „eigentliche Katastrophe“ nannte die Welt das Ergebnis des letzten bundesweiten Warntages im September 2020. Damals sollten alle Zivilschutz-Systeme zur Warnung der Bevölkerung im Katastrophenfall getestet werden, trotz monatelanger Vorbereitung klappte nur wenig.
Viele bekamen gar keine Warnung, sondern nur verspätet eine Entwarnung per Warn-App. Sirenen heulten nicht rechtzeitig oder gar nicht. Daraufhin brach erst hektischer Aktivismus aus, dann aber passierte nur noch wenig. Der in Folge geplante Warntag 2021 wurde kurzerhand abgesagt – und bei der Flutkatastrophe an der Ahr und der Eifel im Sommer 2021 versagten die Systeme erneut, diesmal bei einer realen Katastrophe.
Das neue System wird am 8. Dezember erstmals getestet, erklärt Kilian Hofmeister vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. (BBK) „Mit dem Warntag beginnt die Testphase, Ende Februar kommt Cell Broadcast in den regulären Wirkbetrieb.“
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Ab Ende Februar sollen alle Rettungsdienst-Leitstellen Warnungen über Cell Broadcast ausspielen können
Das Bundesamt will bei dem Test am Donnerstag auswerten, wie viele Endgeräte die Warnung tatsächlich anzeigen. „Last-Erprobung unter Realbedingungen“ nennt das Amt das. Anschließend wollen die Katastrophenschützer die neue Technik weiter optimieren – und etwa Empfehlungen geben, wie die Mobiltelefone konfiguriert sein müssen.
„Der Erreichungsgrad wird ab dann sukzessive gesteigert, auch durch das Aussortieren alter, nicht Cell-Broadcast-empfangsfähiger Handys“, hoffen die Experten. Ab Ende Februar 2023 können bundesweit alle Rettungsdienst-Leitstellen eine Warnung durch Cell Broadcast auslösen. Die dazu notwendige Technik ist bereits installiert – sie heißt „Modulares Warnsystem des Bundes“.
Wer auf seinem Smartphone zusätzlich noch die Katastrophen-Warnapps NINA des BBK installiert hat, der wird am Warntag voraussichtlich doppelt gewarnt. Denn auch die Apps lösen weiterhin Alarm aus, sie funktionieren unabhängig vom Cell Broadcast System.
Die App jedoch versagte in der Vergangenheit des Öfteren, wenn bei größeren Gefahrenlagen für ganze Gebiete gewarnt wurde – etwa bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021. Beim Warntag-Test im Jahr 2020 erreichten viele App-Warnungen die Nutzer gar nicht oder zu spät – ein wichtiger Grund für die Investition in Cell Broadcast.
Welche Smartphones genau die neuen Warnmeldungen anzeigen können, erklärt Google: Smartphones, die über das Betriebssystem Android 11 oder eine neuere Version verfügen, zeigen die Testwarnung automatisch an.
Dazu müssen die Besitzer keine zusätzliche App installieren, die Software dafür ist bereits im Betriebssystem integriert. Google hat dafür gemeinsam mit den Betreibern der Mobilfunknetze und Smartphone-Herstellern die Entwicklung des Warnsystems unterstützt.
Auch iPhones mit aktuellem Apple-Betriebssystem haben die Cell-Broadcast-Technik bereits an Bord, sie ist standardmäßig eingeschaltet – wer das prüfen will, findet den Schalter dafür unter dem Suchwort „Offizielle Warnmeldungen“ in den iOS-Einstellungen.
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