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Wirtschaft Trotz Sanktionen

„In Russland wächst nicht nur die Rüstung. Fast alle Branchen profitieren“

Redakteur Wirtschaft & Innovation
ST Basil's Red Square . Moscow. ST Basil's Red Square . Moscow.
Quelle: Getty Images/Grant Faint
Die russische Wirtschaft und die Verbraucher profitieren vom Krieg, sagt der Ökonom Vasily Astrov, der russische Wirtschaftsdaten für das Wirtschaftsministerium trackt. Im Interview erklärt er, wie Putin das geschafft hat und was das für die Ukraine bedeutet.
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Die russische Wirtschaft steht so gut da wie selten – trotz der westlichen Sanktionen. Das zeigt eine neue Website, die Vasily Astrov mit aufgebaut hat. Der Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche hält die Sanktionen für weitgehend wirkungslos – zumindest auf kurze Sicht.

WELT: Sie haben im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ein Monitoring für russische Wirtschaftsdaten aufgebaut. Es zeigt entgegen den Erwartungen, dass die russische Wirtschaft trotz Sanktionen wächst und gedeiht. Versagen die Sanktionen?

Vasily Astrov: Andere Faktoren machen die Sanktionen mehr als wett. Staaten wie China, Indien und die Türkei ersetzen als Handelspartner Europa. Und die hohen Staatsausgaben kurbeln die inländische Wirtschaft an.

WELT: Wie kann Russland sich das leisten?

Astrov: Vor dem Krieg lag der Fokus des Kreml auf Sparsamkeit und dem Abbau von Auslandsschulden, um die Erpressbarkeit durch den Westen zu reduzieren. Russland hat ein großes finanzielles Polster aufgebaut, das es nun für Staatsausgaben nutzen kann.

WELT: Wie sieht dieses Polster aus?

Astrov: Es gibt zwei Arten von finanziellen Reserven: den staatlichen Wohlfahrtsfonds und die niedrige Staatsverschuldung. Der liquide Teil vom Wohlfahrtsfonds hat immer noch Mittel im Wert von drei Prozent der Wirtschaftsleistung, nachdem er teilweise in den vergangenen beiden Jahren genutzt wurde, um Budgetdefizite zu decken. Die Staatsverschuldung liegt bei nur 15 Prozent der Wirtschaftsleistung, was im internationalen Vergleich extrem niedrig ist. Zum Vergleich: In Deutschland sind es etwa 67 Prozent, in den USA 125 Prozent. Dies gibt der russischen Regierung Spielraum, um sich etwa bei den inländischen Geschäftsbanken Geld zu leihen und so die Wirtschaft zu stützen.

WELT: Wie lange halten diese Reserven?

Astrov: Wenn die Budgetdefizite auf dem Niveau von 2022 bleiben, wird der Wohlfahrtsfonds bis Ende 2025 ausreichen. Die niedrige Staatsverschuldung bietet jedoch langfristig die Möglichkeit, weiterhin Kredite aufzunehmen.

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WELT: Russland konnte vor dem Krieg so viel Geld ansammeln, weil es Europa Öl und Gas verkauft hat. Damit ist es vorbei.

Astrov: Öl ist weiterhin entscheidend. Russland hat seine Ölexporte nach Asien, insbesondere nach China und Indien, umgeleitet. Mengenmäßig hat die Ölindustrie nicht gelitten, jedoch mussten Preisabschläge akzeptiert werden. Die Gasexporte konnten allerdings nur teilweise nach Asien umgeleitet werden. In den ersten Monaten 2023 hat sich das im Haushalt klar abgezeichnet. Doch die Verluste beim Ölpreis und beim Gas wurden seitdem durch ein stärkeres Wirtschaftswachstum und damit durch höhere Steuereinnahmen aus anderen Sektoren ausgeglichen.

WELT: Westliche Finanzsanktionen sollten Russland isolieren. Warum funktioniert das nicht?

Astrov: Russland war auf die Sanktionen vorbereitet, insbesondere durch die Entwicklung eines alternativen Zahlungssystems zum westlichen System Swift. Außerdem ist Russland schlicht wenig auf ausländisches Geld angewiesen.

WELT: Gibt es genug Arbeitsplätze?

Astrov: Ja, sogar mehr als genug. Der Krieg hat zu einem Arbeitskräftemangel geführt, insbesondere in der Rüstungsindustrie. Um genügend Arbeitskräfte zu gewinnen, mussten die Löhne in diesen Bereichen zum Teil verdoppelt werden. Dies hat zu einem Wettbewerb um Arbeitskräfte zwischen Rüstungsunternehmen und zivilen Firmen geführt, was insgesamt zu höheren Löhnen führte. Dies kommt vor allem den unteren Einkommensschichten zugute, die nun mehr Geld ausgeben können.

WELT: Ist das starke Wachstum nicht ein Schein-Boom, der nur durch den Krieg getrieben ist? Das Deutsche Reich hat auch kurz vor Ende des Kriegs im Jahr 1944 den Höhepunkt seiner Industrie-Produktion erreicht. Auf dem Papier sah es super aus, in der Realität stand der Zusammenbruch kurz bevor.

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Astrov: Nein, das ist nicht vergleichbar. Es ist in Russland nicht nur der Rüstungssektor, der wächst. Auch andere Industrien profitieren indirekt. Das gilt für Zulieferer wie Stahlwerke, aber auch für fast alle anderen Branchen. Die realen Löhne sind trotz der hohen Inflation gestiegen, was den privaten Konsum ankurbelt. Die Gastronomie profitiert, der Inlandstourismus blüht. Das Wachstum ist also breit abgestützt und nicht nur kriegsgetrieben. Die deutschen Nationalsozialisten forderten Verzicht unter dem Slogan „Kanonen statt Butter“. In Putins Russland gibt es momentan beides: Kanonen und Butter.

WELT: Der Rückzug von westlichen Marken sollte die ganz normalen Russen im Alltag treffen und sie zum Widerstand gegen den Kriegskurs bringen.

Astrov: Nur etwa zehn Prozent der westlichen Unternehmen haben Russland tatsächlich verlassen. Schließlich lässt sich dort noch gutes Geld verdienen, und die Behörden erschweren den Rückzug. Auswirkungen gibt es vor allem bei langlebigen Konsumgütern und Autos. Fast alle westlichen Hersteller haben Russland aufgegeben, was zu einem deutlichen Einbruch der Autoproduktion geführt hat. Chinesische Hersteller füllen diese Lücke teilweise, aber die Qualität hat nachgelassen.

WELT: Wie wirkt sich das auf die russischen Konsumenten aus?

Astrov: Die Auswirkungen sind vor allem für die relativ schmale Mittelklasse spürbar, die sich westliche Autos oder Reisen nach Europa kaum noch leisten kann. Für die ärmeren Bevölkerungsschichten hat sich wenig geändert, da sie sich diese Dinge ohnehin nicht leisten konnten. Sie merken die Sanktionen im Alltag kaum. McDonald’s hat sich beispielsweise zurückgezogen, aber ein russisches Unternehmen hat die Filialen übernommen und betreibt sie weiter, ohne dass die Burger viel anders schmecken.

WELT: Das greift die an Deutschland gerichtete russische Propaganda auf. Auf TikTok zeigen deutschsprachige Russen den anscheinend normal weiterlaufenden Alltag. Dabei ist die russifizierte Burger-Kette ein Paradebeispiel. Die Botschaft ist: Die Sanktionen schaden dem Westen mehr als Russland. Ist das tatsächlich so?

Astrov: Kurzfristig kann man das schon sagen, dass die Sanktionen Europa mehr geschadet haben als Russland. Langfristig glaube ich nicht, dass es so sein wird.

WELT: Ist Russland schlicht zu groß für schnell wirksame Sanktionen?

Astrov: Anders als etwa der Iran oder Kuba hat Russland eine eigene breite industrielle Basis – auch bei Rüstungsgütern. Die Situation erinnert an Südafrika in den 1980er-Jahren. Trotz umfangreicher Sanktionen blieb die Wirtschaft relativ stabil, weil sie technologisch weiter entwickelt war als andere sanktionierte Länder. Langfristig könnten aber Sanktionen den Zugang zu westlicher Hochtechnologie erschweren, was das Wachstumspotenzial der russischen Wirtschaft mindern könnte. Allerdings bezieht Russland westliche Hochtechnologie etwa bei Chips für seine Waffensysteme inzwischen einfach über Drittstaaten wie China. Nur bei großen Gütern wie Gasturbinen oder Flugzeugmotoren ist der Schmuggel schwierig.

WELT: Was bedeutet das alles für die westliche Sanktionspolitik?

Astrov: Wenn das Ziel der Sanktionen war, den Krieg zu stoppen, dann ist das nicht gelungen. Langfristig könnten gezielte Sanktionen auf Hochtechnologie aber die russische Wirtschaft schwächen – etwa weil Technologien für neue Gasfelder oder Flüssiggas fehlen. Wir reden da allerdings über einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren. So lange wird der Ukrainekrieg ohnehin nicht dauern. Es wird also eine diplomatische oder militärische Lösung erforderlich sein, um den Krieg zu beenden. Über die Wirtschaft geht das nicht.

WELT: Raten Sie dem Westen, seine Sanktionen abzubauen?

Astrov: Politikberatung ist nicht Teil unseres Projekts. Sicherlich verpuffen aber etliche Sanktionsmaßnahmen wirkungslos.

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WELT: Wenn es vor allem die Kriegsproduktion ist, die die russische Wirtschaft antreibt: Kann Putin dann überhaupt Frieden schließen, ohne einen Wirtschaftseinbruch fürchten zu müssen?

Astrov: Wirtschaftliche Überlegungen waren sicherlich kein Grund für den Überfall auf die Ukraine, sondern reine Ideologie. Putins Ökonomen hatten nach Beginn des Kriegs einen wesentlich stärkeren Wirtschaftseinbruch erwartet und sind selbst von der positiven Lage überrascht. Sollte die Kriegsproduktion wegfallen, droht tatsächlich eine Flaute. Aber es sind ja inzwischen viele Panzer aus der Sowjetzeit zerstört worden. Allein das Wiederauffüllen dieser Reserve könnte die russische Rüstungsindustrie noch Jahre nach Kriegsende beschäftigen. Die Ökonomie steht also einem Kriegsende nicht im Weg.

WELT: Zeigt es wenigstens Wirkung, dass Fachkräfte abwandern und keine westlichen Spezialisten mehr ins Land kommen?

Astrov: Der Abfluss von IT-Spezialisten, Wissenschaftlern und Künstlern schwächt das Humankapital erheblich. Es wird Jahrzehnte dauern, bis diese Verluste kompensiert werden können. Historisch gesehen, haben solche Abwanderungen die Entwicklung eines Landes stark beeinträchtigt, wie man nach der Oktoberrevolution gesehen hat.

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WELT: Sie haben selbst einen Teil Ihrer Ausbildung in Russland absolviert und stammen aus Sankt Petersburg. Kommt für Sie eine Rückkehr nach Russland noch infrage?

Astrov: Früher war das zumindest theoretisch eine Option. In das heutige Russland möchte ich nicht zurückkehren. Ich habe meinen Pass zurückgegeben und bin kein russischer Staatsbürger mehr. Sicherlich wird sich die Situation eines Tages ändern, aber die Frage ist wann.

Vasily Astrov ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) und Experte für Russland. Der gebürtige Russe hat in Sankt Petersburg, Münster und Warwick studiert. Er arbeitet seit 1997 am WIIW.

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