Mit dem Premierenflug der Ariane6 bekommt Europa wieder einen eigenen Zugang zum Weltraum. Marktführer im kommerziellen Satellitengeschäft ist allerdings längst das US-Unternehmen SpaceX von Elon Musk. Der warnte die Europäer bereits vor einem Jahrzehnt vor dem drohenden Rückstand.
Seit Jahresbeginn haben die USA 79 Raketen gestartet. Jede Woche werden es mehr. China kommt auf 30 Starts, Russland auf acht. Für Europa steht eine Null in der Statistik. Diese Schockstarre soll jetzt gelöst werden: Europas neue Schwerlastrakete Ariane6 steht endlich vor ihrem ersten Flug. Am Dienstag soll sie vom Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana in Äquatornähe abheben. Wenn das Wetter mitspielt und alles klappt, wird die Rakete zwischen 20 und 24 Uhr deutscher Zeit starten. Es ist ein sogenannter Qualifikationsflug. Bei der knapp dreistündigen Mission will Europas Raumfahrtbehörde ESA sehen, ob alles funktioniert.
Die Rakete ist für den Transport ausgelegt: An Bord sind kleinere Satelliten und Nutzlasten, von denen einige in 600 Kilometern Höhe ins All ausgesetzt werden. Der erste kommerzielle Start ist dann bis Jahresende vorgesehen. ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher erklärte vor wenigen Wochen auf der Berliner Luftfahrtausstellung ILA das Ziel: „Die Ariane6 markiert eine neue Ära der autonomen, vielseitigen europäischen Raumfahrt.“
In praktisch allen Statements vor dem Start wird der Aspekt des wichtigen souveränen Zugangs zum Weltraum betont. Dass vor Jahren das Vorgängermodell Ariane5 einmal Weltmarktführer für den Start kommerzieller Nachrichten- und TV-Satelliten war und Europa diese Position wohl für immer verloren hat, verschwieg er.
SpaceX-Gründer Elon Musk prophezeite den Europäern bereits im Jahr 2012, dass es so kommen würde. Sie sollten nicht die Ariane5 in einer modernisierten Version bauen, die etwas billiger ist – sondern etwas radikal Neues entwickeln. Die neue Ariane6 ist aber genau das geworden: eine etwas verbesserte Version des Vorgängermodells.
Trotzdem ist vieles nicht nach Plan gelaufen. Der Erstflug hat sich um vier Jahre verzögert. Weil die ESA nicht rechtzeitig weitere Ariane5 als Lückenfüller bestellt hat und nach der Invasion Russlands in die Ukraine der Zugang zu russischen Sojus-Raketen gekappt wurde, konnte Europa für ein Jahr überhaupt keinen Satelliten mehr selbst ins All transportieren. Auch verfehlt die neue Ariane6 die selbst gesetzten Sparziele, 50 Prozent günstiger als das Vorgängermodell zu sein. Im Wettbewerb mit Musks SpaceX unterliegt das europäische Projekt bei den Kosten.
Elon Musk als Gründer des Raumfahrtkonzerns wurde als Neuling in der Branche von den Europäern hochnäsig belächelt. Sein Konzept der Wiederverwendbarkeit von Raketen zur Senkung der Startkosten und späteren Flügen zum Mars, wurde als nicht sinnvoll und schwer umsetzbar zur Seite geschoben. Eine fatale Fehlentscheidung. An der neuen Ariane6-Rakete ist praktisch nichts wiederverwendbar – noch nicht einmal die Nutzlastverkleidung. Sie wird bei SpaceX nach dem Absprengen aus dem Meer gefischt, um sie erneut einzusetzen. Auch das spart Geld und senkt Startkosten.
Doch Elon Musk ist die Raketenklasse der Ariane6 nicht genug. Mit seiner weltgrößten Rakete Starship stößt er bereits in andere Dimensionen vor, auch bei der Technik. Anfang Juli, also nur wenige Wochen nach dem anstehenden Ariane-Premierenflug, ist der fünfte Starship-Testflug geplant, mit einem diesmal extrem spektakulären Drehbuch.
Elon Musk ist Europäern weit enteilt
Zur Einordnung: Die Ariane6 ist 62 Meter hoch – die Monsterrakete Starship mit 121 Meter beim Start praktisch doppelt so groß. Der Ariane6 Durchmesser beträgt 5,4 Meter – Starship kommt auf neun Meter. Damit können Satelliten komplett anders gebaut werden, weil es mehr Platz gibt. Die neue Ariane kann in der leistungsstärksten Version Ariane64 bis zu 20 Tonnen Nutzlast in eine erdnahe Umlaufbahn transportieren – bei Starship sind es 100 bis 150 Tonnen.
Beim nächsten Starship-Flug wagt Elon Musk zudem ein Manöver, das die Europäer in ihren kühnsten Träumen nicht riskieren würden: Die aus dem Weltraum zurückkehrende 71 Meter hohe Antriebsstufe (Super Heavy) soll senkrecht zur Startplattform zurückkehren und im langsamen Sinkflug bei gezündeten Triebwerken von zwei riesigen Umklammerungsarmen aus Stahl aufgefangen und fixiert werden. Diese Auffangarme werden als Chopsticks oder Mechazilla bezeichnet. Somit wäre die Antriebsstufe nach der Rückkehr aus dem All bereits wieder auf dem Startgerüst – bei der Ariane6 fällt die Antriebsstufe in den Atlantik und versinkt. Auch dazu muss der jetzt anstehende Premierenflug reibungslos klappen.
Die Ariane6 muss also verbessert werden. Der Hauptauftragnehmer für den Bau der Rakete, die ArianeGroup, ein Gemeinschaftsunternehmen von Airbus und dem französischen Triebwerkhersteller Safran, soll dafür vorübergehend jährlich 340 Millionen Euro an Staatshilfe erhalten. Im vergangenen Jahr schrieb die ArianeGroup sogar rote Zahlen.
Die Entwicklung der Rakete und der Bau eines neuen Startplatzes kosteten gut vier Milliarden Euro Steuergeld. Den Großteil trägt Frankreich, Deutschland bezahlt 23 Prozent der Ausgaben. 15 Flüge der Ariane6 sind binnen zwei Jahren geplant, also etwa sieben Starts pro Jahr. Die Kapazitäten sind auf bis zu zwölf Starts im Jahr ausgelegt.
Konkurrent SpaceX wiederum strebt diese Zahl pro Monat an. Der Wettbewerbsdruck für die neue Ariane6 ist also groß. Ein Auftraggeber hat sich schon festgelegt: Ein Satellit der internationalen Organisation Eumetsat wird im nächsten Jahr mit SpaceX gestartet. Kein gutes Omen für Europas neue Weltraum-Offensive.