Der Siegpunkt für die Location geht an die Konservativen. Das Wahlprogramm für die bevorstehende Abstimmung zu Parlament und Regierung in Großbritannien hat die Partei am Dienstag an der Formel-1-Rennstrecke in Silverstone vorgestellt. Die oppositionelle Labourpartei hat mit der Hauptverwaltung der genossenschaftlichen Handelskette Co-operative Group in Manchester am Donnerstag eine deutlich weniger glamouröse Bühne gewählt.
Wirtschaftliches Wachstum ist ein zentraler Fokus der beiden großen britischen Parteien vor der Wahl am 4. Juli. Die konservative Partei von Premierminister Rishi Sunak, die seit 14 Jahren das Land regiert, verspricht einen „klaren Plan, mutiges Handeln, sichere Zukunft“. In den Vordergrund stellt die Partei dabei Steuersenkungen im Wert von 17 Milliarden Pfund (20,2 Milliarden Euro), die vor allem kleinen Gewerbetreibenden, Rentnern und jenen, die eine erste Immobilie erwerben, zugutekommen sollen.
„Change“ oder Veränderung stellt die Labourpartei in ihrem Programm als Überschrift in Aussicht und kündigt an, die Bevölkerung wirtschaftlich besserzustellen. „Vermögen schaffen ist unsere oberste Priorität. (…) Wir sind Pro-Business und für die arbeitende Bevölkerung. Ein Plan, Wachstum zu schaffen“, sagte der Partei-Vorsitzende Keir Starmer. Steuern spielen auch für Labour eine wichtige Rolle. Die Partei verspricht, dass sich an der Steuerbelastung für Beschäftigte nichts ändern werde.
Die britische Wirtschaft kämpft seit Jahren mit schwachen Wachstumsraten, noch verschärft durch ausgesprochen magere Fortschritte bei der Produktivität. Regelmäßig warnen Politiker, dass die polnische Wirtschaft bald größer sein könnte als die Großbritanniens, wenn die Wachstumstrends der vergangenen Jahre in beiden Staaten anhalten.
Wachstum ist entscheidend, um den stagnierenden, teilweise rückläufigen Lebensstandard wieder anzustoßen. Aber auch, um geplante Steuer- und Ausgabenpläne umsetzen zu können. Laut den Wahlumfragen werden dabei ab dem kommenden Monat mit hoher Wahrscheinlichkeit die geplanten Labour-Reformen zum Tragen kommen. Seit eineinhalb Jahren liegt die Partei in der Gunst der Wähler mit mehr als 20 Prozentpunkten in Führung.
Wenig überraschend, dass das Labour-Programm keine größeren Überraschungen bereithält. „Für Labour scheint es, als sei weniger mehr: Wer eine Ming-Vase über einen polierten Fußboden trägt, der möchte mit nichts anderem jonglieren“, urteilte Sarah Coles, Analystin bei Hargreaves Lansdown.
Ausdrücklich betont haben Starmer und sein Schattenkabinett immer wieder, dass sie Einkommenssteuern, Sozialversicherungsbeiträge und die Mehrwertsteuer nicht anheben werden. Andere Bereiche müssen sich aber durchaus auf höhere Steuern und Abgaben einstellen. 8,6 Milliarden Pfund im Jahr sollen so zusätzlich in die Kassen fließen, um eine Dekade „nationaler Erneuerung“ anzustoßen.
Die steuerliche Sonderbehandlung sogenannter Non-Domiciled, Personen, die in Großbritannien leben, aber das Land nicht als ihre Heimat betrachten, soll komplett fallen, ebenso wie die Mehrwertsteuerbefreiung für die Gebühren von Privatschulen. Angehoben werden die Steuern, die Direktoren von Private-Equity-Gesellschaften für Gewinne aus erfolgreichen Deals zahlen, ebenso die Sondersteuern auf die Gewinne von Öl- und Gasunternehmen.
Die meisten der auf 134 Seiten des Wahlprogramms ausgeführten Maßnahmen hatte die Partei bereits angekündigt: Darunter zusätzliche Ausgaben von knapp zehn Milliarden Pfund im Jahr, unter anderem für die Einstellung Tausender Lehrer und deutlich mehr Termine im staatlichen Gesundheitssystem, um den seit Jahren aufgelaufenen Rückstau an medizinischer Versorgung abzubauen.
Sunak verspricht Aufstockung der Verteidigungsausgaben
Starmer gab selbst zu, dass er mit dem Labour-Wahlprogramm keine Überraschung geliefert und keinen Hasen aus dem Hut gezaubert habe. „Ich trete als Kandidat für den Posten des Premierministers an, nicht als Zirkusdirektor.“
Sunak hat für den Fall eines Wahlsieges eine weitere Senkung der Sozialversicherungsbeiträge in Aussicht gestellt, finanziert unter anderem durch eine deutliche Kürzung bei Sozialhilfeleistungen um zwölf Milliarden Pfund. Außerdem versprach er eine Aufstockung der Verteidigungsausgaben auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sowie eine jährliche Obergrenze für die Zuwanderung.
Doch die großen Probleme der britischen Wirtschaft würden sich mit beiden Programmen nicht lösen lassen, sind Ökonomen überzeugt. „Beide Parteien flicken nur an Rändern herum“, sagte Stephen Millard, stellvertretender Direktor des National Institute of Economic and Social Research (NIESR). Die schwache wirtschaftliche Leistung der vergangenen Jahre habe zu einem erheblichen Reformrückstau geführt.
Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, das Gesundheitssystem, die Bildung seien lange vernachlässigt worden. Mit den geltenden fiskalischen Grenzen, die beide Parteien einhalten wollen, seien die Probleme nicht zu lösen. „Wir werden zusätzliche Ausgaben brauchen, und das bedeutet entweder höhere Steuern oder höhere Verschuldung oder beides.“
Damit Labour den versprochenen Wandel liefern könne, „muss Kapital auf den Tisch“, urteilte auch Paul Johnson, Chef der Denkfabrik Institute for Fiscal Studies. Er lobte den Fokus auf Wachstum, doch es werde dauern, bis dieser durchschlage. Das Wahlprogramm verspreche zwar eine Vielzahl von Strategien, um die Probleme des Landes anzupacken. Doch „das Wahlprogramm gibt keine Hinweise darauf, dass es einen Plan gibt, wo das Geld herkommt, um das zu finanzieren.“
Nicht besser beurteilte Johnson das Programm der Konservativen. Die Partei verspreche niedrigere Steuern und höhere Ausgaben. „Das sind eindeutige Versprechungen, finanziert durch ungewisse, unkonkrete Einsparungen. Verzeihen Sie meine Skepsis.“
Immerhin ist es Labour gelungen, zahlreiche Wirtschaftsvertreter von ihrem Programm zu überzeugen. In der City gilt die designierte Finanzminister Rachel Reeves als zuverlässige Ökonomin, die einem soliden Haushalt verpflichtet ist.
„Nur Labour ist in der Lage, die düstere Lage zu verbessern, die die wirtschaftliche Entwicklung des Landes genommen hat“, sagte Richard Walker, Vorstandschef der Supermarktkette Iceland, als einer der Redner bei der Vorstellung des Labour-Wahlprogramms. Bis zum vergangenen Jahr war Walker Mitglied der Konservativen und ein regelmäßiger Geldgeber gewesen. Doch von der Partei seien keine neuen Ideen mehr zu erwarten.