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Wirtschaft Wutrede vom Börsenchef

„Kurs Entwicklungsland“ – die beispiellose Abrechnung des Dax-Managers mit Deutschland

Sonderkorrespondent Unternehmen
„Sind auf dem Weg zum Entwicklungsland“

Börsenchef Theodor Weimar rechnet in einer Brandrede mit der deutschen Wirtschaft ab. Die Rede wurde im April aufgezeichnet und kürzlich vom Wirtschaftsbeirat Bayern veröffentlicht. Im vergangenen Jahr ist Deutschland als einziges Land der G-7-Staaten geschrumpft.

Quelle: Wirtschaftsbeirat Bayern

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Derartige Töne hat es aus dem innersten Kreis der deutschen Wirtschaftselite noch nicht gegeben: Ein 20-minütiger Vortrag von Börsenchef Weimer sorgt für große Aufregung. Vertreter der Wirtschaft zeigen sich von den deutlichen Worten begeistert.
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Das gediegene Luxushotel „Bayerischer Hof“ mitten in München ist alles andere als eine revolutionäre Adresse, und die Veranstaltung, die hier bereits Ende April stattfand, stand eigentlich nicht im Zeichen des Aufruhrs. Geladen hatte der Wirtschaftsbeirat Bayern, gekommen war eine überschaubare Zahl vorwiegend älterer, vorwiegend im Anzug gekleideter Männer.

Einer von ihnen hielt einen rund 20 Minuten dauernden Vortrag – und der hatte es derart in sich, dass ein Mitschnitt des dröge anmutenden Termins vieltausendfach in den sozialen Medien geteilt und kommentiert wird.

Der Mann heißt Theodor Weimer, steht seit 2018 an der Spitze der Deutschen Börse und zählt seit vielen Jahren zu den wichtigsten Wirtschaftslenkern des Landes. Was er in München präsentiert hat, ist nichts weniger als eine allumfassende, in dieser Form beispiellose Abrechnung mit dem Standort Deutschland und der verantwortlichen Regierung in Berlin.

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Wirtschaftspolitik, Zuwanderung, Innovation – wohin Weimer auch blickt, überall sieht er Zeichen fortgeschrittenen Niedergangs. „Wir sind auf dem Weg zum Entwicklungsland“, mahnt er. Um umzukehren seien radikale Handlungen vonnöten.

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Unternehmer müssten aufhören, wie Kaninchen vor der Schlange vor der Regierung zu sitzen und zu warten, dass diese zubeiße. Sie sollten sich stattdessen im Widerstand üben und ein Beispiel an den USA nehmen. „Es ist uns doch egal, welcher alte Mann Präsident wird“, heiße es bei dortigen Topmanagern. „Wir führen das Land.“

Derartige Töne hat es aus dem innersten Kreis der deutschen Wirtschaftselite bisher nicht gegeben. Sicher, bei vielen Unternehmenslenkern hat sich eine Menge Frust über die Ampel-Koalition angestaut, BDI-Präsident Siegfried Russwurm hat erst kürzlich „zwei verlorene Jahre“ beklagt.

Und doch mühten sich Vorstandschefs selbst in vertraulichen Gesprächen darum, ein Mindestmaß an Contenance zu wahren und keinen offenen Bruch mit Berlin zu riskieren. Wenn sie litten, litten sie still – und investierten im Ausland. Weimer hat diesen Nichtangriffspakt gebrochen. Er hat die Regierung beispiellos offen und umfassend attackiert – ganz besonders eines ihrer Mitglieder.

„So schlecht wie jetzt war unser Ansehen in der Welt noch nie“

Er habe gerade sein 18. Treffen mit Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck hinter sich, berichtet er: „Und ich kann Ihnen sagen, es ist eine schiere Katastrophe.“ Zu Beginn von Habecks Amtszeit sei er sogar begeistert gewesen, der Minister habe gut zugehört und ein paar Dinge richtig gemacht. Mittlerweile aber kämen „die Fundamentalisten immer mehr durch“.

„Sind auf dem Weg zum Entwicklungsland“

Börsenchef Theodor Weimar rechnet in einer Brandrede mit der deutschen Wirtschaft ab. Die Rede wurde im April aufgezeichnet und kürzlich vom Wirtschaftsbeirat Bayern veröffentlicht. Im vergangenen Jahr ist Deutschland als einziges Land der G-7-Staaten geschrumpft.

Quelle: Wirtschaftsbeirat Bayern

Später, in der Diskussion mit dem Publikum, wird Weimer noch einmal ähnlich deutlich. Wenn Habeck sage, dass ihm vor allem 40 Milliarden Euro für ein Konjunkturpaket fehlten, stelle sich die Frage, „wes Geistes Kind der ist“. Es fehle in Deutschland an vielem, aber sicher nicht an Kapital. Davon sei reichlich vorhanden, es stehe sofort bereit, wenn Aussicht auf Gewinne bestehe. „Am Ende ist Kapital eine Hure“, sagt Weimer.

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Mehrmals verweist er darauf, dass er nicht bloß seine, sondern die Meinung großer, internationaler Investoren wiedergebe, mit denen er ständig spreche. Und die sei ebenso bitter wie eindeutig. „So schlecht wie jetzt war unser Ansehen in der Welt noch nie. Noch nie!“, ruft Weimer.

Was er höre, habe „fatalistischen Charakter“, in Singapur werde er gefragt, was sich Deutschland da eigentlich für eine Regierung leiste, anderswo schüttele man nur noch den Kopf und frage sich, wo die deutschen Tugenden geblieben seien. „Was ihr macht, ist einfach bekloppt“, laute eine verbreitete Diagnose, verbunden mit der Ankündigung, „noch weiter rauszugehen aus Deutschland.“ Dass der Dax auf Rekordhöhen steht, irritiert Weimer nicht. Wer hier investiere, tue das „nur noch opportunistisch“, weil es so günstig sei. „Wir sind zum Ramschladen geworden“, sagt er.

Dass der Börsenchef so frei drauflos redet, mag auch am weit fortgeschrittenen Stadium seiner Karriere liegen. In wenigen Monaten endet nach gut sechs Jahren seine Amtszeit an der Spitze der Börse. Im Dezember wird er 65 Jahre alt, er muss also keine Rücksicht mehr nehmen. Es ist aber auch nicht wirklich überraschend: Der frühere Investmentbanker ist schon immer als Freund von Klartext aufgefallen.

In der von Medientrainern und Kommunikationsberatern bis zur Unkenntlichkeit glatt geschliffenen Welt der Topmanager ist er damit seit Jahren eine Ausnahmeerscheinung. Das gilt auch für sein offen zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein. Bei dem Termin in München stellt er sich als „Mister Dax“ vor, der die Hälfte der wichtigsten deutschen Vorstandschefs „auf Vornamensbasis“ kennt und in Berlin und Brüssel ein „gefragter, aber nicht geliebter Gesprächspartner“ sei.

Später klagt er darüber, dass ihm der Aufsichtsrat der Börse aus Gründen der Nachhaltigkeit keinen richtig großen Dienstwagen mit Verbrennungsmotor mehr genehmigen will. „Wir müssen die Dienstwagen wieder groß machen, das schafft Wachstum“, sagt er.

„Ausrichtung am Gutmenschentum“

Mit dieser Breitbeinigkeit ist Weimer immer wieder angeeckt, aber selbst seine Gegner können ihm kaum vorwerfen, dass er mit seiner Politikschelte von eigenen Versäumnissen ablenken will. Das Geschäft der Börse floriert, Weimer hat es mit zahlreichen Übernahmen ausgebaut, das „Manager Magazin“ wählte ihn 2022 zum „Manager des Jahres“.

Der Aktienkurs des Unternehmens hat sich unter seiner Führung fast verdoppelt, der Dax hat im gleichen Zeitraum um gut 40 Prozent zugelegt. Die Differenz rühre auch daher, dass die Börse als Softwareunternehmen bewertet werde und damit besser abschneide als viele andere Branchen – vor allem eine: „Wir haben die Automobilindustrie kaputt gemacht“, sagt Weimer – und deutet dann dunkel auf das unheilvolle Wirken „bestimmter Kreise“ hin.

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Für ihn ist das jedoch nur ein Glied einer langen Kette gravierender Fehler. Die „Ausrichtung am Gutmenschentum“ in der Migrationspolitik werde „allseits als vollkommen falsch“ empfunden, statt um Fleiß gehe es um Work-Life-Balance und Homeoffice.

Das alles seien Indizien dafür, dass „wirtschaftspolitisch der Kompass“ fehle. In der Folge greife der Staat immer tiefer ins Wirtschaftsgeschehen ein und bevormunde die Bürger. „Verdammt, ich will gar nicht geschützt werden von dieser Regierung“, ruft Weimer. Der Staat müsse sich zurückziehen, Steuersenkungen sollten intelligente Investitionen ermöglichen, in der Digitalisierung sei ein „richtiger Sprung nach vorn“ erforderlich. Und Unternehmer müssten mehr Selbstbewusstsein wagen.

Mehrere internationale Investoren wollen Weimers Aussagen zur angeblichen Abkehr von Deutschland nicht kommentieren, „so pauschal ist das sicher nicht richtig“, heißt es im Umfeld einer großen Anlagegesellschaft. Einige Ökonomen zeigten sich wenig angetan, Achim Truger, Mitglieder des Sachverständigenrats nannte den Vortrag „völlig substanzloses Politik-Bashing.“ Manche Vertreter der Wirtschaft zeigen sich von den deutlichen Worten jedoch begeistert.

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„Bei der sonst immer sehr gemäßigten deutschen Wirtschaft ist der Geduldsfaden gerissen“, sagt Thorsten Alsleben, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). „Diese Regierung muss sofort umsteuern hin zu mehr Wachstum, oder wir brauchen eine neue Regierung.“

Weimer treffe „den Nagel auf den Kopf“, meint die Unternehmerin und Aufsichtsrätin Sarna Röser. Sie sei viel im Ausland unterwegs und könne die Analysen des Börsenchefs bestätigen. „Mit ideologischer links-grüner Politik, moralischem Zeigefinger und feministischer Außenpolitik wird Deutschland im In- und Ausland nicht mehr ernst genommen und weiter abrutschen.“ Deutschland brauche schleunigst einen Kurswechsel, hin zu einer pragmatischen Wirtschaftspolitik. Lange Zeit habe sie die Stimme der Vorstandschefs und Manager vermisst. „Jetzt spricht endlich einer Klartext!“

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