In einer Woche ist Anpfiff. Die deutsche Nationalmannschaft wird die Europameisterschaft im eigenen Land im Spiel gegen Schottland eröffnen. Die Hoffnungen im Zuge des Turniers sind groß – nicht nur aus sportlicher Sicht. Kann die Heim-EM die konjunkturelle Schwäche der deutschen Wirtschaft ausgleichen, ja gar für einen Aufschwung sorgen?
Mit dieser Frage befassen sich derzeit mehrere Konjunktur- und Arbeitsmarktforscher. Und wenig in den Ergebnissen ihrer Analysen lässt auf ein „Sommermärchen“ für die heimische Wirtschaft hoffen.
Nicolas Ziebarth beispielsweise, Leiter des Forschungsbereichs Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen am Leibniz Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), weist auf die Kosten im Zuge des Turniers hin: „Die Ausrichtung der Fußball-EM wird den deutschen Steuerzahler voraussichtlich 650 Millionen Euro kosten. Das ist ein hoher Betrag, den der Bund, die Länder und die Städte in Zeiten klammer Haushaltskassen stemmen müssen.“ Hinzu komme ein dreistelliger Millionenbetrag für die Übertragung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Einige Unternehmen würden vom Turnier zwar profitieren. Der Tourismus in den Austragungsorten durch höhere Übernachtungszahlen beispielsweise oder auch Merchandise-Anbieter wie etwa der Ausrüster Adidas. Doch unter dem Strich hat die EM wohl nicht die Kraft, für einen wirtschaftlichen Aufschwung im krisengebeutelten Land zu sorgen.
„Ökonomische Studien kommen einheitlich zu dem Schluss, dass jene positiven Wirtschaftsimpulse durch Großveranstaltungen lediglich die üblichen Tourismuseffekte verdrängen und es keinen Nettoeffekt auf die Wirtschaftsleistung gibt“, bilanziert Ziebarth.
Auch auf dem Arbeitsmarkt sind bislang keine großen Effekte durch das Turnier zu erkennen. Die Frühjahrsbelebung fällt sogar schwächer aus als sonst üblich, wie Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), sagt. Der zusätzliche Bedarf an Sicherheitskräften, Ordnern und Angestellten in der Gastronomie dürfte eher ein kurzfristiger bleiben, wie Ökonom Ziebarth sagt.
Genau das unterstreicht eine Umfrage unter den Jobcentern und Arbeitsagenturen der zehn Austragungsstädte von WELT AM SONNTAG aus dem vergangenen Monat. „Keine nennenswerten Stellenzuwächse zur EM“, vermeldete Köln, die Nachfrage sei „marginal“ und beschränke sich auf Service und Sicherheit. Der kurzfristige Personalbedarf könne über Minijobs gedeckt werden, hieß es aus Leipzig.
„Grundsätzlich sollten die potenziellen Arbeitsmarkteffekte der EM 2024 nicht überschätzt werden“, sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). „Selbst wenn es zusätzliche Wertschöpfung und Jobs gibt, werden diese höchstwahrscheinlich nicht dauerhaft sein“, sagt er.
Ein vergleichbares Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit liefert das Nachbarland Frankreich. So hat die Fußball-Europameisterschaft im Jahr 2016 der französischen Wirtschaft 1,2 Milliarden Euro eingebracht. Etwas mehr als die Hälfte davon ist auf Ausgaben der Besucher aus dem Ausland zurückzuführen, wie das Zentrum für Recht und Wirtschaft des Sports (CDES) damals berechnete.
Allerdings: Im Verhältnis zur gesamten Wirtschaftsleistung des Jahres 2016 fiel der Betrag kaum ins Gewicht: 1,2 Milliarden Euro entsprachen rund 0,05 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Auch deutsche Ökonomen registrieren kaum spürbare Effekte bei vergangenen Turnieren. Die Stimmung in der deutschen Volkswirtschaft hat sich bei vergangenen Turnieren demnach kaum verbessert, wie eine neue Analyse des ifo-Instituts zeigt. „Bei der WM 2006 in Deutschland gab es zunächst eine Vorfreude in den ifo-Konjunkturumfragen. In den sechs Monaten zuvor stieg die Wahrscheinlichkeit für ‚bessere Geschäfte‘ in den kommenden Monaten um 1,1 Prozent“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo-Umfragen.
„Nach der WM fanden die Firmen ihre Geschäftslage tatsächlich etwas besser, für ‚gut‘ stieg die Wahrscheinlichkeit um 1,1 Prozent. Während der WM und danach gab es dann aber keinerlei Effekte mehr bei den Erwartungen“, so Wohlrabe. „Wir vermuten Ähnliches jetzt zur EM.“
Deutsche Unternehmen sind nach EM etwas optimistischer
Auch der ökonomische Effekt durch die Hunderttausenden Gäste, die 2006 zur Heim-WM nach Deutschland reisten, ist der Studie zufolge eher ein gefühlter gewesen. Untersucht hat das ifo Institut das Gastgewerbe, also Hotels und Gaststätten, sowie die Branche Nahrungsmittel und Getränke während der Weltmeisterschaft 2006. „Dort haben wir keinerlei bedeutsame Auswirkungen gefunden“, sagt Wohlrabe.
Analysiert haben die Ökonomen auch die Europameisterschaften der vergangenen 20 Jahre. Dabei hat sich gezeigt: Die deutschen Unternehmen waren im Zuge der Turniere etwas zufriedener mit der aktuellen Geschäftslage und etwas optimistischer für die kommenden Monate.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei der Frage nach der aktuellen wirtschaftlichen Lage „gut“ ankreuzen, war während einer EM um 0,5 Prozent höher. Bei den Erwartungen stieg sie um ein Prozent, wie die Langzeit-Analyse zeigt. „Nach einer EM sinkt dann die Wahrscheinlichkeit leicht, dass die Firmen die beiden guten Kategorien ankreuzen. Eine Vorfreude gab es ohnehin nicht“, so das ernüchternde Fazit Wohlrabes.
Ökonom Ziebarth weist jedoch auf den Effekt in der Außenwahrnehmung hin. Die WM 2006 habe gezeigt, dass scheinbar irrelevante Ereignisse, wie die Ergebnisse von Fußballspielen, die persönliche und gesellschaftliche Wahrnehmung über die wirtschaftlichen Aussichten positiv beeinflussen könnten. „Gerade in Zeiten, in denen der wirtschaftliche Abstieg Deutschlands diskutiert wird und die Transformation der Wirtschaft vielen Menschen Sorge macht, kann ein kollektives Ereignis dazu beitragen, dass ein positiver Ruck durch Deutschland geht und das Gemeinschaftsgefühl gestärkt wird.“