Am Ende dreijähriger Verhandlungen stand das, was Diplomaten in Brüssel als „German Vote“ verspotten: die Enthaltung Deutschlands. Die Botschafter der 27 EU-Staaten stimmten kurz vor dem Wochenende über die europäische Lieferkettenrichtlinie ab. Doch die Berliner Koalition hatte sich nicht auf eine gemeinsame Position einigen können. SPD und Grüne befürworteten das Gesetz, die FDP bekämpfte es. Und so konnte Deutschland weder dafür votieren noch dagegen.
Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann wollten die Lieferkettenrichtlinie unbedingt verhindern. Und kurze Zeit sah es so aus, als würde ihnen das gelingen. Bei einem Votum Ende Februar – Deutschland enthielt sich auch da – fand sich keine Mehrheit für das Vorhaben. Doch nun schwenkte mindestens ein großer EU-Staat um. Für die FDP eine schwere Niederlage.
Die Liberalen hatten immer wieder gewarnt, das Gesetz drohe die Wirtschaft zu überfordern. Unternehmen, so die Idee der Richtlinie, müssen kontrollieren, ob ihre Geschäftspartner in anderen Teilen der Erde Menschenrechte einhalten und die Umwelt schützen. Und zwar über die gesamte Wertschöpfung hinweg, vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt.
Die Firmen sollen sicherstellen, dass es bei ihren Zulieferern keine Kinderarbeit und Ausbeutung gibt, dass keine Flüsse verschmutzt und keine Wälder abgeholzt werden.
Für viele Manager und FDP-Politiker ging es am Ende um mehr als eine neue Richtlinie aus Brüssel. Das Lieferkettengesetz wurde mit der Zeit zu einem Symbol: für eine Kommission, die alles bis ins Detail regulieren will, für eine Politik, die sich nicht groß um die Interessen der Wirtschaft kümmert und die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents riskiert.
Das Gesetz wurde abgeschwächt
Vor der Abstimmung an diesem Freitag hatte die belgische Regierung, die die Verhandlungen leitete, eine abgeschwächte Version des Gesetzes vorgelegt. Ursprünglich sollte es Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz erfassen. Nun liegt die Grenze bei 1000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Umsatz.
Es ist aber weiterhin vorgesehen, dass Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten verklagt werden können. Vor allem diesen Punkt hatte die FDP kritisiert. Nun muss noch das EU-Parlament den Kompromiss bestätigen.
Die Wirtschaft ist von dem Ergebnis enttäuscht. „Das ist ein rabenschwarzer Tag für den Mittelstand“, sagt Marie-Christine Ostermann, Präsidentin der Familienunternehmer. „Es wurde die letzte Chance vertan, aus einem wichtigen Anliegen kein gewaltiges Bürokratiemonster, sondern doch noch ein praktikables Regelwerk zu machen.“
Auch die Liberalen sind unglücklich. „Es ist der klaren Haltung der FDP zu verdanken, dass das Gesetz an vielen Stellen verbessert wurde“, sagt die Europaabgeordnete Svenja Hahn. „Unterm Strich bleibt das Lieferkettengesetz aber praxisfern, weil grundlegende Probleme wie unklare Haftungsregeln bestehen bleiben.“
Für Deutschland ist das Resultat der Abstimmung eine doppelte Niederlage. Erstens dürfte das Lieferkettengesetz tatsächlich die Wirtschaft belasten. Wie soll etwa ein niedersächsischer Maschinenbauer prüfen, ob die Schrauben, die er verwendet, nicht Kupfer aus einem afrikanischen Bergwerk enthalten, das einen nahegelegenen See verschmutzt? Es drohen Bürokratie und Kosten.
Zweitens verspielte Deutschland bei den Verhandlungen viel Glaubwürdigkeit in der EU. Ende des vergangenen Jahres stimmte die Bundesregierung der Richtlinie zunächst zu. Im Januar dann schwenkte die FDP um. Kritiker warfen der Partei vor, sie blockiere einen längst beschlossenen Kompromiss, agiere erratisch.
Zur Wahrheit gehört, dass die Liberalen in Brüssel hinter den Kulissen mehrfach Bedenken angemeldet hatten, die nicht berücksichtigt wurden. Doch am Ende blieb der Eindruck: Auf Deutschland ist kein Verlass mehr.
Nun hat Berlin nichts erreicht. Der deutschen Wirtschaft werden neue Lasten aufgebürdet. Und das Vertrauen der anderen EU-Staaten in die Bundesregierung ist angekratzt. Zweimal verloren mit dem „German Vote“.