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Wirtschaft Stabilitäts- und Wachstumspakt

Nord gegen Süd, arm gegen reich – die Gräben der Eurokrise reißen wieder auf

EU-Korrespondent in Brüssel
Finanzminister Christian Lindner (links), Bruno Le Maire, Wirtschafts- und Finanzminister von Frankreich und die niederlängische Außenministerin Sigrid Kaag während des Treffens in Santiago de Compostela Finanzminister Christian Lindner (links), Bruno Le Maire, Wirtschafts- und Finanzminister von Frankreich und die niederlängische Außenministerin Sigrid Kaag während des Treffens in Santiago de Compostela
Finanzminister Christian Lindner (links), Bruno Le Maire, Wirtschafts- und Finanzminister von Frankreich und die niederländische Außenministerin Sigrid Kaag während des Treffens
Quelle: picture alliance/dpa/EUROPA PRESS
Die EU-Staaten streiten gerade über neue Schuldenregeln. Während Deutschland sich für harte Auflagen einsetzt, wollen Frankreich, Italien und Spanien mehr Spielraum für Investitionen aushandeln. Die Debatte spaltet die EU – und die Zeichen stehen auf Fiasko.
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Die Spitzenpolitiker reisten an einen Ort, der als Symbol des Scheiterns gilt. Sie trafen sich in der Cidade da Cultura, das ist eine Ansammlung von Hallen für Konzerte und Ausstellungen am Rand der spanischen Stadt Santiago de Compostela.

Der Komplex sieht aus, als sei er aus dem Erdboden gewachsen, seine Dächer sind geschwungen wie Hügel, seine Fassaden bestehen aus Naturstein. Ein imposanter Anblick, doch viele Spanier halten die „Stadt der Kultur“, eröffnet im Jahr 2011, für ein Desaster: Die Anlage wurde viermal teurer als geplant – und doch nie ganz fertig. Ein geplantes Opernhaus fehlt bis heute.

In Santiago de Compostela also, dem alten Pilgerort, sprachen Europas Wirtschafts- und Finanzminister am Wochenende über die Zukunft. Eine große Frage lautete: Nach welchen Regeln dürfen ihre Regierungen in den kommenden Jahren Geld ausgeben und Schulden machen?

Es handelt sich um eine der wichtigsten Debatten in der EU. Und um eine der emotionalsten. Sie droht, alte Gräben aus der Zeit der Eurokrise aufzureißen: zwischen reichen und armen Staaten, zwischen Nord und Süd, zwischen jenen, die sparen wollen und jenen, die Austerität für gefährlich halten.

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Konkret ging es in Spanien um eine große Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Der sieht vor, dass die EU-Staaten ihre Defizite auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung und die Verschuldung auf 60 Prozent begrenzen müssen. Nach dem Beginn der Pandemie hatte Brüssel den Pakt ausgesetzt.

Ab 2024 soll er wieder gelten, aber in veränderter Form. Die EU-Kommission und mehrere Staaten wollen die Regeln aufweichen, darunter Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland. Andere pochen auf harte Vorschriften, etwa Deutschland, Österreich und die Niederlande.

In der Cidade da Cultura sprachen sie nun alle miteinander. Paolo Gentiloni, der EU-Wirtschaftskommissar, ein Italiener, mahnte zur Eile. „Wir benötigen die neuen Regeln dringend“, sagte er. Als Begründung nannte Gentiloni die Schocks, die Europa erlebt habe, erst die Pandemie, dann Russlands Angriff auf die Ukraine, damit verbunden die hohen Energiepreise. In einer solchen Lage, meinte er, bräuchten die Staaten „Raum für Investitionen“.

Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, sah es ähnlich. „Europa muss in grüne und digitale Technologien investieren“, sagte sie. Und Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire versicherte, er lege großen Wert auf gesunde öffentliche Finanzen, glaube aber, Europa müsse Geld in die Hand nehmen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Es sind Sätze, die der deutsche Finanzminister Christian Lindner nicht gerne gehört haben dürfte.

Im Pakt geht es um Zukunftstechnologien

Eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakt – das klingt abstrakt, technisch, aber am Ende geht es um die Frage, wie die Staaten Europas ihre Budgets managen und die großen Aufgaben der Zukunft finanziell bewältigen. Im Zentrum stehen jetzt andere Themen als in der Eurokrise.

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Damals wurde viel über Sozialleistungen diskutiert, etwa in Griechenland. Nun geht es vor allem um den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft, die Forschung an künstlicher Intelligenz und – nach Russlands Angriff auf die Ukraine – die Modernisierung von Armeen. Deshalb, so erzählen es Insider, sei der Ton der Gespräche hier in Santiago de Compostela auch nicht so hart wie bei Verhandlungen in der Zeit nach 2010.

Wie weit also liegen die beiden Lager – das eine angeführt von Deutschland, das andere von Frankreich – auseinander? Also die Gruppe, die Sparsamkeit fordert, und jene, die mehr Geld ausgeben will? Als Lindner das in Santiago de Compostela gefragt wird, lacht er und entgegnet: „Die einen sagen so, die anderen sagen so.“ Dann fügt er vage an: Es gebe noch viel zwischen den Regierungen zu besprechen.

In vertraulichen Gesprächen werden Offizielle aus anderen EU-Staaten – aus dem Norden wie aus dem Süden – gegenüber WELT deutlicher. Die Verhandlungen seien vollkommen festgefahren, heißt es. Man müsse damit rechnen, dass es dieses Jahr nicht zu einer Einigung auf neue Schuldenregeln komme. Die alten Gräben zwischen Nord und Süd bestünden nahezu unverändert fort.

Niemand will ein Scheitern der Verhandlungen. Denn in diesem Fall würden ab 2024 wieder die alten Regeln gelten. Doch die haben nie richtig funktioniert. Viele Staaten ignorierten sie einfach. Und die EU setzte sie kein einziges Mal durch. Seit der Einführung des Stabilitäts- und Wachstumspakts vor mehr als 25 Jahren leitete die Kommission 37 Verfahren gegen Länder ein, die zu viele Schulden machten. 37 Mal endete die Sache ohne Konsequenzen.

Auch deshalb fordert Brüssel nun ein neues Regelwerk. Die bekannten Werte – drei Prozent für die Defizite, 60 Prozent für die Verschuldung – bleiben zwar. Doch wie genau die Last verringert werden soll, will die Kommission künftig flexibler handhaben.

Sie möchte nicht länger europaweit einheitliche Regeln vorschreiben, sondern lieber mit jedem Land – so nennt sie es – „individuelle Pfade“ zum Abbau der Schulden verhandeln, also von Fall zu Fall entscheiden. Bei Deutschland anders als bei Italien, Frankreich oder Griechenland. Ein solches Vorgehen würde der Behörde viel politischen Spielraum verschaffen.

Deutschland hält davon nicht viel, will die Macht der Kommission beschränken und verbindliche Regeln für alle EU-Staaten. Nach den Plänen aus Berlin sollen die Regierungen zum Beispiel dafür sorgen, dass das Wachstum der Ausgaben geringer ist als das Wachstum der Wirtschaft unter normalen Bedingungen. Als Differenz der beiden Raten schlägt Deutschland ein Prozentpunkt vor.

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Frankreich fürchtet, zu hartes Sparen könnte negative Folgen für das Wirtschaftswachstum haben. Lindner und Le Maire bieten der Öffentlichkeit oft eine Show deutsch-französischer Einigkeit, aber nicht in Santiago de Compostela, nicht bei dem Thema Schulden.

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Es könnte daran liegen, dass Frankreich die Grenzen des Stabilitäts- und Wachstumspakts weit überschreitet. Die Schuldenquote des Landes ist höher als 110 Prozent. Insgesamt liegen der Kommission zufolge zwölf EU-Staaten über dem 60-Prozent-Ziel. Dazu zählt auch Deutschland. Doch in der Cidade da Cultura von Santiago de Compostela kündigt Lindner zumindest an, Berlin werde sich an die eigenen Empfehlungen halten und die Quote verringern.

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