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Wirtschaft Bedrohter Welthandel

„Made in Germany“ flüchtet nach Osten

Finanzredakteur
Der Handelskrieg scheint seinen Schrecken zu verlieren

Seit über einem Jahr überziehen sich die USA und China mit gegenseitigen Sonderzöllen. Das bremst die Weltwirtschaft und belastet vor allem exportstarke Staaten wie Deutschland, aber offenbar kann die deutsche Wirtschaft damit umgehen.

Quelle: WELT

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Die hiesigen Unternehmen beurteilen ihre Wachstumschancen zunehmend schlechter. Trotzdem verfallen sie nicht mehr so schnell in Panik vor Brexit, Bürokratie und Zöllen. Denn sie haben einen neuen Partner gefunden.

Der Protektionismus zeigt an immer mehr Orten seine hässliche Fratze. Aber Deutschlands Unternehmen glauben zunehmend, mit einem blauen Auge davonzukommen. Das Gespenst eines Handelskriegs, noch vor kurzem die große Angst der Exporteure, scheint an Schrecken zu verlieren.

Quelle: Infografik WELT

Die Protektionismusängste der hiesigen Firmen haben sich in den vergangenen drei Jahren spürbar verringert. Wie aus dem HSBC TradeNavigator, einer internationalen Umfrage zum Welthandel hervorgeht, machen sich deutsche Unternehmen deutlich weniger Sorgen um protektionistische Anfechtung ihres Geschäfts als Firmen in anderen Nationen.

Das überrascht umso mehr, als die Bundesrepublik ökonomisch viel stärker auf den Export ausgerichtet ist als andere Volkswirtschaften. Die Deutschen hätten also allen Grund, sich für den Notfall zu rüsten.

Sahen sich 2017, im ersten Amtsjahr von US-Präsident Donald Trump, laut HSBC noch 47 Prozent aller befragten Unternehmen in Deutschland mit verschärften protektionistischen Maßnahmen konfrontiert, so sind es 2019 noch 42 Prozent.

Nicht minder verblüffend: Von den Firmen, die von einem Anschwellen des Protektionismus überzeugt sind, glaubt die Hälfte, dass sie von diesem Trend profitieren kann. Sie gehen zum Beispiel davon aus, dass Zollmauern ihnen eher helfen werden, Wettbewerbsvorteile auszuspielen.

Als größte Negativpunkt vermerken die befragten Unternehmen höhere Kosten. Knapp ein Drittel (31 Prozent) würde auf mehr Protektionismus mit Kostensenkungen reagieren. Doch gut ein Viertel könnte sich auch den Rückzug aus dem kompletten Markt vorstellen, wenn dieser durch Zölle zunehmend abgeschottet wird. Insgesamt beurteilen die Deutschen ihre Wachstumschancen im weltweiten Maßstab eher pessimistisch.

„Die deutschen Unternehmer bleiben bei der Beurteilung der Wachstumschancen vorsichtig, sehen sich aber gegen die Risiken von Protektionismus gewappnet“, fasst Nicolo Salsano, Leiter des Firmenkundengeschäfts und Investmentbanking bei HSBC Deutschland, die Ergebnisse zusammen.

Quelle: Infografik WELT

Manchmal müssen Zollmauern und bürokratische Handelserschwernisse noch nicht einmal akut sein, um den Austausch von Gütern zu dämpfen, es reicht die schiere Unsicherheit. Wie das Beispiel Großbritannien zeigt. Noch ist die Insel-Ökonomie Teil des europäischen Binnenmarkts. Doch schon jetzt zeigen die Zahlen zu Ein- und Ausfuhren deutliche Bremsspuren.

Wie aus aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden hervorgeht, verliert das Vereinigte Königreich als Handelspartner Deutschlands mehr und mehr an Bedeutung.

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In der ersten Hälfte des Jahres 2019 war Großbritannien mit einem Außenhandelsumsatz (Import und Export) von 69 Milliarden Euro nur mehr der siebtwichtigste deutsche Geschäftspartner. Inzwischen ist der Güteraustausch mit der Insel hinter den mit Polen zurückgefallen. Im Jahr 2015 – dem Jahr vor dem Brexit-Referendum – hatte das Vereinigte Königreich noch Rang fünf bekleidet.

Einen ähnlichen Rückgang erlebt der deutsch-amerikanische Handel trotz Donald Trump nicht. Die USA bleiben für die Bundesrepublik ein Geschäftspartner von zentraler Bedeutung. Vergangenes Jahr haben die Deutschen Waren für insgesamt 113 Milliarden Euro in die Vereinigten Staaten geliefert, und auch für einen Gegenwert von 65 Milliarden Euro Waren importiert. Von einem Einbruch im transatlantischen Handel ist bisher nichts zu spüren, allenfalls eine Verlangsamung zeichnet sich ab.

Euro-Zone leidet unter der Demografie

Gleichzeit nimmt die Bedeutung Chinas für den deutschen Handel immer mehr zu. In absoluten Zahlen waren die Ausfuhren in die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit 93 Milliarden 2018 zwar noch ein gutes Stück kleiner als die Exporte in die USA, doch die Dynamik ist gewaltig. Seit dem Jahr 1999 konnten Deutschlands Unternehmen ihre Ausfuhren in das Reich der Mitte verzwanzigfachen.

Um das ganze Ausmaß dieser Verschiebung wird deutlich, wenn man ihr die Entwicklung der Exporte in der Euro-Zone gegenüberstellt. Die Länder der Währungsunion unterhielten bereits vor Einführung des Euro enge Handelsbeziehungen, und der grenzüberschreitende Güterverkehr wurde durch das gemeinsame Geld noch einmal intensiviert.

Dennoch haben sich die deutschen Exporte in den Euro-Raum in den letzten 20 Jahren nur um 139 Prozent erhöht und damit nicht einmal so stark wie in die Vereinigten Staaten (238 Prozent).

Quelle: Infografik WELT

„Die wachsende Bedeutung Asiens ist absolut nachvollziehbar. Im kommenden Jahrzehnt wird etwa drei Viertel des globalen Wachstums aus Asien stammen“, sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und Experte für internationale Handelsbeziehungen.

Die Euro-Zone leide vor allem unter den absehbaren Folgen der demographischen Alterung: „Dadurch wird Europa sowohl als Produktionsstandort als auch als Absatzmarkt weniger attraktiv.“ Dies gelte selbst dann, wenn die zusätzlich belastenden Faktoren – Brexit, fehlende Reformen in vielen Staaten – beseitigt werden.

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Das ist derzeit aber nicht abzusehen. Der Studie zufolge schätzt nur noch ein Drittel der deutschen Unternehmen die aktuelle Lage optimistischer ein als vor einem Jahr. Das ist ein deutlich schlechtere Einschätzung als die der Wettbewerber auf internationaler Bühne: Global sehen 47 Prozent aller Konzerne bessere Wachstumschancen als 2018.

Auch ihre Erwartungen ans Tempo der Umsatz- und Gewinnexpansion haben die hiesigen Firmen deutlich zurückgenommen. Wachstumsraten von mehr als 15 Prozent innerhalb der nächsten fünf Jahre hält die große Mehrheit der hiesigen Firmen (85 Prozent) jetzt nicht mehr für realistisch.

„Diese pessimistische Einschätzung könnte ein Spiegelbild der anhaltenden globalen Schwäche des verarbeitenden Gewerbes sein, wie sie sich in der rückläufigen Investitionstätigkeit ausdrückt“, heißt es in der Einschätzung von HSBC. Bei alledem ist es verblüffend, dass die deutsche Wirtschaft, die so stark auf den Export ausgerichtet ist, sich weniger Sorgen um protektionistische Eingriffe macht als andere Ökonomien.

So stellen sich in Europa immerhin 55 Prozent aller Firmen auf neue Ausgangsbedingungen für ihre Geschäftstätigkeiten ein, global sind es sogar 65 Prozent. In entsprechende Wert in Deutschland nimmt sich mit 42 Prozent eher niedrig aus. „Gründe für diese Zuversicht könnten in den langfristigen Wachstumsperspektiven Asiens und in der bereits vollzogenen Anpassung der internationalen Wertschöpfungs- und Lieferketten zu finden sein“, vermuten die Autoren der HSBC-Studie.

Konflikt zwischen Washington und Peking entscheidet

„Hiesige Firmen haben die globale Entwicklung beobachtet und ihre Chancen außerhalb Europas neu sondiert, um in den wachstumsstarken Ländern zu profitieren“, merkt HSBC-Manager Salsano an. Doch nicht nur Deutschlands Wirtschaftsführer setzen auf den Faktor Fernost, auch andere Länder hoffen auf gute Geschäfte mit China und den Tigerstaaten. So hält sich Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron gerade in China auf.

„Asien ist eine sehr attraktive Region mit großem Wachstumspotenzial. Die Region birgt jedoch auch große Risiken, denn viele Länder sind stark abhängig von dem Handelsgeschäft mit China“, sagt Galina Kolev, Ökonomin beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Gerade auf Spannungen in den Handelsbeziehungen reagieren viele der dortigen Ökonomien empfindlich. Nicht zuletzt als Folge des Handelskonflikts sind die Exporte der asiatischen Schwellenländer ohne China zuletzt um 1,7 Prozent geschrumpft.

„Das Geschäft mit der Region ist stark abhängig von der globalen Handelspolitik – in dieser Hinsicht ist die EU wesentlich verlässlicher, dafür aber mit weniger Wachstumspotenzial“, sagt die Ökonomin: Größere Chancen bedeuten auch größere Risiken – das ist aus der Finanzwelt bekannt, und dies gilt derzeit auch im Bereich des internationalen Handels.

Wie aussichtsreich die Asien-Strategie ist, hängt nicht zuletzt vom Konflikt zwischen Peking und Washington ab. „Im Moment gibt es Anzeichen für eine gewisse Entspannung“, konstatiert Felbermayr mit Blick auf den Handelsstreit: Der amerikanisch-chinesische Konflikt habe offenbar seinen Höhepunkt überschritten, und ein „kleiner Deal“ scheine im Bereich des Möglichen liegen.

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Im Moment sehe es außerdem so aus, als ob die angedrohten Autozölle der USA gegen die EU nicht kommen: „Zwar bleiben die bisher eingeführten Zölle und die hohe Unsicherheit bestehen, aber die Unternehmen haben sich auf die neue Realität eingestellt, in dem sie ihre Wertschöpfungsnetzwerke angepasst haben.“

An der HSBC-Handelsumfrage haben sich global 9130 Unternehmen beteiligt, darunter 350 in Deutschland. Es ist die umfangreichste Erhebung dieser Art weltweit.

Das größte Problem ist der Fachkräftemangel

Eine Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, Unternehmen sehen im Fachkräftemangel das größte Problem für ihre Geschäfte. Und das noch vor Handelskriegen und Protektionismus.

Quelle: WELT / Sebastian Struwe

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