Noch vor dreieinhalb Jahren schien es, als stünde die israelische Firma Sodastream kurz vor dem Bankrott. Seit dem Börsengang im Jahr 2010 war der Aktienkurs um mehr als die Hälfte gefallen. Das war zum Teil Resultat der Bemühungen der palästinensischen Boykottbewegung BDS, die dem Image der Firma enormen Schaden zufügte. Sodastream war Ziel ihrer Angriffe, weil sie ihre wichtigste Produktionsstätte im von Israel besetzten Westjordanland betrieb. BDS porträtierte Sodastream als Instrument der Unterdrückung und Ausbeuter armer Palästinenser, und überzeugte damit immer mehr potenzielle Kunden.
In London entfernte das Kaufhaus John Lewis nach Protesten von BDS-Aktivisten 2014 alle Sodastream-Wassersprudler aus seinem Sortiment. Ein Jahr zuvor hatte die kanadische Kirche eine Boykottkampagne gestartet. Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch meldete sich zu Wort und erklärte, es sei „unmöglich, das israelische System illegaler Diskriminierung, Beschlagnahme von Land, Diebstahl natürlicher Ressourcen und erzwungener Vertreibung von Palästinensern im besetzten Westjordanland zu ignorieren, in dem Sodastream agiert“.
Die Firma mutierte zu einem derart verschmähten Symbol der Besatzung, dass das internationale Hilfswerk Oxfam 2014 die Zusammenarbeit mit der Schauspielerin Scarlett Johansson einstellte, nur weil diese in einer Werbung für Sodastream erschienen war.
Dreieinhalb Jahre später scheinen diese Probleme vergessen. Der Aktienkurs ist auf mehr als das Vierfache des ursprünglichen Werts geschnellt. Der Konzern wurde so erfolgreich, dass er für traditionelle Softdrinkimperien eine Bedrohung darstellte. PepsiCo erwarb ihn deshalb im August 2018 für umgerechnet 2,8 Milliarden Euro.
Dabei stellt Sodastream seit mehr als 100 Jahren im Prinzip dasselbe Produkt her: Eine Maschine, die Wasser mit Kohlensäure versetzt, und Kapseln, mit denen man dem Sprudel zusätzlich Geschmack verleihen kann. Was sich indes bedeutend verändert hat, ist die Marketingstrategie. Das schlechte Image, das der Firma – sie meint, vollkommen zu Unrecht – so lange anhaftete, wurde umgekrempelt, dank einer progressiven Personalpolitik, die Sodastream in Israel fast einzigartig macht.
Der Vorstandsvorsitzende Daniel Birnbaum wies 2015 die neue Richtung, als er die Produktionsstätte nahe der Siedlung Maale Adumim vom Westjordanland ins Kernland Israels verlegte. Lieber hätte er auf den Umzug verzichtet, denn die Firma musste sich dadurch von etwa 500 palästinensischen Angestellten aus dem Westjordanland trennen. Israelische Behörden gewährten ihnen aus Sicherheitsbedenken keine Einreisegenehmigung. Nur 150 von ihnen konnten bislang eine solche Erlaubnis erhalten und kehrten zu ihrem alten Arbeitsplatz zurück.
Iftar-Mahlzeit für 3000 Juden und Muslime
Dennoch hielt Birnbaum an seiner Idee fest, dass Juden und Araber weiter zusammenarbeiten sollen. Deshalb zog Sodastream nach Rahat, eine Stadt im Süden Israels, die fast ausschließlich von muslimischen Beduinen bewohnt wird. Wie erfolgreich sein Konzept ist, das demonstrierte er vergangene Woche auf dem Firmengelände, das Birnbaum in die Stätte der „größten Iftar-Mahlzeit Israels“ verwandeln ließ. Rund 3000 Juden und Muslime feierten hier gemeinsam den Ramadan und beendeten das tägliche Fasten mit einem von Sodastream gestifteten Festmahl.
„Was wir hier herstellen, ist Frieden und Nächstenliebe, und ganz nebenbei entsteht auch noch Sprudel“, so Birnbaum in seiner Ansprache bei der Betriebsfeier, in der er ausführlich den Koran zitierte. Dieser Gedanke findet sich auch als Werbeslogan auf den Verpackungen von Sodastream: „Macht Sprudel statt Krieg“, heißt es hier über einer prominent platzierten israelischen Flagge, unter der der Hersteller versichert: „Dieses Produkt wurde von Arabern und Juden produziert, die Schulter an Schulter in Frieden und Harmonie arbeiten.“
Sprudel als Friedensstifter, und das in einem Land, in dem die Regierung zu den Spannungen zwischen Juden und Arabern beiträgt und die Hoffnung auf ein Abkommen mit den Palästinensern fast vollkommen erloschen ist. Ist das Werbung oder Wahrheit?
„Alles, was Birnbaum sagt, stimmt“, sagt Muhammad Abu Dablus, 28. Früher war er ein ungelernter Fliesenleger, heute leitet er als Teil des Managements die Qualitätskontrollen in der Fabrik. „Keiner schaut hier darauf, woher du kommst, sondern was für ein Mensch du bist“, so Abu Dablus. Er wurde bereits vier Mal befördert, seit er hier vor vier Jahren die Arbeit antrat. Wie alle Angestellten wird auch er alljährlich großzügig an den Profiten des Unternehmens beteiligt. Doch er ist nicht nur wegen der finanziellen Vorteile zufrieden, die er genießt, seit er hier angestellt ist.
Der junge Beduine aus Rahat kannte früher keine Juden, genau wie der russisch-stämmige Israeli On Salzum in seiner Jugend Vorurteile gegenüber Arabern hegte: Im nahen Beerscheba hieß es, „dass überall, wo Beduinen auftauchen, es bald zu Problemen kommt“. Heute sind beide nicht nur Kollegen, sondern enge Freunde.
Den Iftar feiern sie nicht nur auf dem Firmengelände zusammen, sondern oft auch privat mit ihren Familien. „Wenn man hier lang genug arbeitet, beginnt man daran zu glauben, dass Wandel und Frieden wirklich möglich sind“, sagen beide einhellig. Sodastream begnügt sich nicht damit, Juden und Araber zusammenzubringen, es beschäftigt Frauen in führenden Rollen, hat eine Produktionsstätte in einem Gefängnis eröffnet. Einer der ehemaligen Insassen ist hier inzwischen ebenfalls ins Management befördert worden. Dass alle drei zur Zeit des Ramadan gemeinsam im Fuhrpark von Sodastream sitzen, wirkt wie eine politische Fata Morgana im Negev.
Wie einzigartig die Personalpolitik von Sodastream auch sein mag, ausschlaggebend für den Erfolg der Firma dürfte Birnbaums Beschluss gewesen sein, die Firma als umweltfreundliche, gesunde Alternative zu Softdrinks zu positionieren. Wer Flaschen wieder benutzt und Sprudel selbst herstellt, lässt den weltweiten Plastikmüllberg schrumpfen, so die Logik.
In Europa, wo viele Menschen in hohen Gebäuden ohne Aufzug wohnen, ist das kleine Gerät zudem eine weniger schweißtreibende Alternative dazu, Sprudelkästen Treppen hochzuschleppen. Die Firma, die 1903 in England begann, Sprudelmaschinen für das Königshaus herzustellen, und später nach Israel zog, betreibt heute weltweit 13 Fabriken, in denen mehr als 100 verschiedene Geschmackszusätze hergestellt werden.
In mehr als 80.000 Geschäften in 45 Ländern werden die Produkte vertrieben. Aus Israels Problemkind ist ein Musterknabe geworden, der auch dank seiner progressiven Personalpolitik seine Position als Marktführer weltweit weiter ausbaut.