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Wirtschaft Erdbeerhof Karls

Eine spektakuläre Erfolgsstory der Nachwendezeit

Spielplatz, Ponyreiten, Karussellfahren, Erdbeeren essen: Karls Erdbeer Höfe bieten alles in einem Spielplatz, Ponyreiten, Karussellfahren, Erdbeeren essen: Karls Erdbeer Höfe bieten alles in einem
Spielplatz, Ponyreiten, Karussellfahren, Erdbeeren essen: Karls Erdbeer Höfe bieten alles in einem
Quelle: Karls.de
Nach dem Mauerfall zog der junge Landwirt Robert Dahl in die mecklenburgische Heimat seiner Vorfahren und eröffnete einen kleinen Erdbeerhof. Es begann eine verrückte Unternehmergeschichte.

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Der gepflasterte Hof ist riesig und bietet einen leicht verstörenden Anblick. Denn zwischen zwei Lagerhallen hat eine Hundertschaft aus rot lackierten Riesenerdbeeren Aufstellung genommen. In langen Reihen stehen dort übermannsgroße Früchte, in deren Haut aus Plastik Tür und Tresen herausgeschnitten sind. Es wird Herbst und die Verkaufsstände von „Karls“ sammeln sich für den Winterschlaf.

Auf dem übrigen Gelände des Erdbeerhofs an der Bundesstraße 105 nach Rostock ist von Saisonende hingegen wenig zu spüren. Auf dem Parkplatz stehen Hunderte von Autos. Von Weitem hört man Kinder auf einem Karussell namens „Fliegender Kuhstall“ kreischen, andere drehen mit entrücktem Lächeln auf der Traktorbahn ihre Runden, sausen die Kartoffelsackrutsche hinunter oder verlieren sich im Maislabyrinth.

Im Hauptgebäude füllen Touristen die Einkaufswagen mit frisch gebackenem Brot, Bonbons aus der Hausmanufaktur, Seifen aus der Seifenküche, Blumen, Tassen, Souvenirs. In „Fietes Schuppen Schuppen“ gibt es ein geflutetes Bauernhaus samt Fischbesatz zu bestaunen, in der Eiswelt märchenhafte Skulpturen und Eisrutschen. Und, und, und. Ganz schön was los hier, für einen Bauernhof.

Mit der Erdbeere fing es an: Robert Dahl, Inhaber von Karls Erlebnishof in Rövershagen
Mit der Erdbeere fing es an: Robert Dahl, Inhaber von Karls Erlebnishof in Rövershagen
Quelle: picture alliance / ZB

Der Mann, der diesen ganzen Wahnsinn und noch einiges mehr erdacht hat, trägt Jeans, Hemd, ausgelatschte Boots und gießt sich gerade einen Becher Kaffee ein. Robert Dahl, 43 Jahre alt, stammt aus Schleswig-Holstein, ist gelernter Obstbauer und hat eine der verrücktesten Unternehmergeschichten der deutsch-deutschen Nachwendezeit zu erzählen. Sie begann mit einer Hiobsbotschaft.

Neuanfang in Ostdeutschland

„Meine Eltern waren Vertragsanbauer eines großen Marmeladenherstellers“, erzählt Dahl. Nach der Ernte 1989 kündigte dieser alle Verträge und ließ sich stattdessen aus Osteuropa beliefern. „Wir waren über Nacht erledigt.“ Eine Fehleinschätzung, wie sich bald erwies. Denn statt den Betrieb aufzugeben, tat Dahls Vater Karl-Heinz zweierlei. Er ließ einen Bootsbauer aus der Gegend Verkaufsbuden in Erdbeerform fertigen, wie er sie auf Fotos vom Tennisturnier in Wimbledon gesehen hatte, um seine Feldfrüchte ab sofort selbst an den Kunden zu bringen. Und er schickte seinen Sohn nach Ostdeutschland.

„Idee zum Aufbau eines Beeren- und Obstanbaus in Mecklenburg“ betitelte der Senior einen handgeschriebenen Aufsatz, in dem er seinem Sohn in akkurater Schrift darlegte, was er zu tun hatte. Robert sollte in der ehemaligen Heimat seines Großvaters Karl auf zehn Hektar Land einen eigenen Erdbeerhof aufmachen. Startkapital: 576.000 D-Mark. „Die endgültige Betriebsgröße wird vom Absatz bestimmt“, schrieb der Vater in einem Papier. Und konnte nicht ahnen, auf welche Weise sich dieser Satz bewahrheiten sollte.

Karls bietet vor allem Entertainment für die Kleinen
Karls bietet vor allem Entertainment für die Kleinen
Quelle: Karls.de

Der zweiseitige Businessplan hängt heute in Rövershagen hinter Glas. „Ich zeige ihn gerne den Leuten von der Bank, um ihnen zu zeigen, wie einfach so etwas sein kann“, sagt Dahl, und sein Lachen klingt sehr gelöst. Heute ist er der sicher umtriebigste Obstbauer Deutschlands, und wohl auch der erfolgreichste. Er führt nicht nur einen der größten Obstanbau- und Vermarktungsbetriebe des Landes, der in der Saison allein in Berlin 60.000 Kunden pro Tag mit Erdbeeren versorgt.

Karls ist heute zu einer Art Mischkonzern angewachsen mit Geschäftszweigen in Landwirtschaft, Handel, Gastronomie und Entertainment, die allesamt Profite abwerfen. Wie viel Geld das Unternehmen womit verdient, das will Dahl nicht sagen, aber er gewährt eine grobe Vorstellung. Im ersten regulären Geschäftsjahr habe der Betrieb umgerechnet 440.000 Euro umgesetzt, verrät er. Und: „Inzwischen haben wir den Umsatz mehr als verhundertfacht.“

Aufschwung Ost erreichte Karls

Der fliegende Kuhstall: Karls Hof verwandelte sich über die Jahre immer mehr in einen Freizeitpark
Der fliegende Kuhstall: Karls Hof verwandelte sich über die Jahre immer mehr in einen Freizeitpark
Quelle: Karls.de

Wo sich heute das Kuh-Karussell dreht, war nichts als ein riesiges, unbebautes Feld, als Dahl hier im August 1992 aufschlug. Der 21-Jährige bezog einen alten DDR-Wohnwagen, die eine Hälfte war sein Schlafzimmer, die andere das Büro. Dann machte er sich daran, einen Erdbeerhof aus dem Boden zu stampfen. „Wir haben gearbeitet und gefeiert. Es war ein riesiges Abenteuer“, erzählt Dahl.

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Ein knappes Jahr später holte der Jungbauer die erste Ernte ein. Es war der 5. Juni 1993. Zehn zum Startkapital beigesteuerte Erdbeerverkaufshütten standen abweichend vom väterlichen Plan nicht etwa in der Rostocker Innenstadt, sondern zur Eröffnung im Kreis neben dem Erdbeerfeld. Dann nahm das Rövershagener Wirtschaftswunder seinen Lauf.

Vielleicht war es das leuchtende Rot der Hütten, vielleicht auch bloß der Umstand, dass es sonst nichts gab. Irgendetwas jedenfalls muss eine magische Anziehungskraft auf die unendliche Autokarawane ausgeübt haben, die sich auch im Sommer 1993 noch Wochenende für Wochenende über die Bundesstraße schob, um den Osten zu beschauen. Ein Neugieriger nach dem anderen fuhr rechts ran, um Ost-Erdbeeren zu kosten. „Nach einer Stunde war alles ausverkauft“, erzählt Dahl.

Rückbesinnung auf die großväterlichen Wurzeln

Und weil die Leute mehr kaufen wollten, gab er ihnen mehr. Er besorgte sich eine Rowenta und schenkte Filterkaffee aus – die Zonentouristen schlürften ihn dankbar am Stehtisch. Er stellte ein Gartenklettergerüst von Kettler auf – die Kinder kletterten. Er tat regionale Bezugsquellen auf und bot Wurstwaren von einer Landschlachterei und Apfelsaft einer Mosterei aus der Nähe an – die Westler rissen ihm die Ware aus den Händen.

Als Dahl fünf Jahre später „zum ersten Mal hochschaute“, hatte er einen brummenden Obstbauernhof, 50 oder 60 Verkaufshütten in Berlin und Umgebung und einen ganzen Bauernmarkt voller Produkte, von denen der Unternehmer nicht genau wusste, ob er mit ihnen unter dem Strich eigentlich Geld verdient oder verliert. Er überlegte kurz, ob er das Ganze nicht lassen und einfach nur Erdbeeren anbauen sollte. Dann tat er das Gegenteil.

Für einen Landwirt eher untypisch, begann Dahl damit, sein Unternehmen von Grund auf umzukrempeln und neu zu erfinden. Zuerst benannte er den Erdbeerhof nach seinem Großvater Karl und feierte unter Berufung auf dessen Hofgründung im Jahr 1921 im Jahr 2001 sein 80-Jähriges Firmenjubiläum.

Die Fahrt mit einem schienengebundenen Traktor gehört zu den etwa 30 Attraktionen von Karls Erlebnisdorf in Wustermark (Landkreis Havelland)
Die Fahrt mit einem schienengebundenen Traktor gehört zu den etwa 30 Attraktionen von Karls Erlebnisdorf in Wustermark (Landkreis Havelland)
Quelle: picture alliance / zb

Er legte einen Parcours an, auf dem Kinder auf ausgedienten Traktoren im Kreis herum fahren konnten; aus dem Erdbeerhof wurde ein Erlebnishof, der irgendwann zum Erlebnisdorf wurde, in dem die weltgrößte Kaffeekannensammlung (über 30.000 Stück) keinesfalls die schrägste Attraktion darstellt.

Nachhaltigkeit statt Kommerz

Auf dem leeren Feld an der Bundesstraße 105 ist in zwei Jahrzehnten ein bunt zusammengewürfelter Freizeitpark mit Fahrgeschäften und Erlebnisgastronomie entstanden, der jährlich 1,2 Millionen Besucher zählt. Der Erdbeerhof in Rövershagen ist heute die meistbesuchte Touristenattraktion Mecklenburg-Vorpommerns – ganz ohne Fördermittel. Konkurrenz macht Dahl sich höchstens selbst, denn er hat in den letzten Jahren weitere Karls-Standorte eröffnet.

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Erst ein Erlebnis-Dorf in Zirkow auf Rügen, dann ein Event-Pier am Kreuzfahrtanleger in Warnemünde. Und in diesem Frühjahr eröffneten weitere Erlebnisdörfer in Warnsdorf bei Lübeck und Wustermark bei Berlin. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass weitere folgen. Für das Unternehmen Karls arbeiten heute 550 feste Mitarbeiter sowie 2800 befristet beschäftigte Pflücker und Verkäufer während der Saison. Das Karls-Prinzip läuft in Ost und West gleichermaßen. Dahl müsste einfach nur so weitermachen und würde in den nächsten Jahren mit ziemlicher Sicherheit viele Millionen verdienen.

Erdbeer-Klimbim: Robert Dahl geriet in eine Sinnkrise
Erdbeer-Klimbim: Robert Dahl geriet in eine Sinnkrise
Quelle: Karls.de

Doch so läuft das nicht. Denn der Erdbeermogul will weg vom schnöden Kommerz. Vor drei Jahren, so erzählt er, hatte er seine Glaubenskrise. Das Unternehmen florierte, Dahl verdiente viel Geld mit Erdbeeren und dem übrigen Klimbim. Er aber fragte sich bloß: „Was soll das alles?“ Dahl beriet sich mit seiner Frau und seiner Schwester, die ebenfalls im Unternehmen tätig sind, und beschloss, seine Erdbeerwelt noch einmal neu zu erfinden.

„Wir wollen nur noch Sachen machen, die uns selber gefallen – und dabei nicht gleich pleitegehen“, sagt Dahl augenzwinkernd und erzählt vom Entsetzen seiner Bäcker, als er ihnen verkündete, dass sie Bauernbrot und Streuselkuchen künftig ohne vorgefertigte Backmischungen, Konservierungs- und Aromastoffe backen sollten. Dahl verwandelt seinen Erdbeer-Erlebnis-Park jetzt zur nachhaltigen Feinkost-Produktionsstätte. Es gibt eine Kaffeerösterei, eine Erdbeereismanufaktur und eine Marmeladenküche. Die Waren werden vor Ort und über einen Online-Shop vermarktet. In diesem Herbst nimmt eine Schokoladen-Manufaktur die Arbeit auf und ab kommendem Jahr soll auch ein eigenes Karls-Bier gebraut werden. Dahls Tatendurst, so ist zu vermuten, dürfte damit noch nicht gestillt sein.

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